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Sport: Als Stiftungsvorsitzende von "Children for Tomorrow" versucht sie, die Not in Südafrika zu lindern

Das nackte Elend hat sie sichtlich mitgenommen. Erschüttert sitzt Steffi Graf auf dem Rücksitz des roten VW-Busses, der über holprige Schotterstraßen des Elendsviertel Mtuleni nach Kapstadt zurückklappert.

Das nackte Elend hat sie sichtlich mitgenommen. Erschüttert sitzt Steffi Graf auf dem Rücksitz des roten VW-Busses, der über holprige Schotterstraßen des Elendsviertel Mtuleni nach Kapstadt zurückklappert. Lange Minuten herrscht bedrückende Stille in dem Bus. Dann fragt Steffi Graf leise und vorwurfsvoll: "In welcher Welt leben wir eigentlich?"

Steffi Graf ist zu Besuch in Südafrika. Ein Besuch bei "ihren" Kindern in zwei Kindergärten in den berüchtigten Townships von Kapstadt. Steffi Graf, die Stiftungsvorsitzende der "Children for Tomorrow", will ihnen die Chance für eine lebenswertere Zukunft geben. "Ich konnte etwas aus meinem Leben machen", sagt sie bestimmt, "diese Kinder haben diese Möglichkeit nicht". Es sei denn, man hilft ihnen. So wie sie.

Vor zwei Monaten ist sie zum ersten Mal nach Kapstadt gereist. Kürzlich, bei den ersten drei Spielen ihrer von der Expo 2000 gesponserten World Tour, war dann der zweite Abstecher in die Slums der Millionenstadt. Steffi Graf, hautnah mit dem Schrecken, der Armut und der Not konfrontiert, ist schockiert. Da sind Kinder, die mit zwei Jahren missbraucht und regelmäßig geschlagen werden. Kinder, die auf einer brennenden Müllkippe ausgesetzt werden. Oder viele hilflose Mütter, die ihre Neugeborenen einfach auf der Straße aussetzen und nichts mehr von ihnen wissen wollen. "Das Leben", sagt Steffi, "ist hier einfach nichts wert."

Tief drinnen rühren sich beinahe mütterliche Instinkte bei Steffi Graf. "Da kommt einem so ein Kind entgegen, mit offenen Armen und einem unglaublichen Vertrauen - und du denkst sofort: Was kannst du jetzt tun? Kannst du das Kind nicht gleich mit nach Hause nehmen", sagt sie. Zwei, drei Stunden schaukelt sie die Kinder auf den Armen, tröstet die, die weinen. Gibt einem fünf Wochen alten Baby drinnen in der Kindergarten-Hütte die Flasche. Spielt und tanzt mit den Kleinen im Hof.

Steffi Graf will vor Ort helfen. Und mit ihrer Hilfe hilft sie auch besonders einer Frau, die manche in Kapstadt schon die "Mutter Teresa der Ghettos" nennen, der 57-jährigen "Big Mama" Amelia. Sie ist die Ersatzmutter von 160 Babys und Kindern in Mtuleni. Von morgens um vier bis abends um elf ist sie auf den Beinen. Sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. "Sie ist ein Phänomen, ein ganz außergewöhnlicher Mensch", erklärt Steffi, "ich bewundere ihren Mut, sich nicht kleinkriegen zu lassen. Ich hätte an ihrer Stelle sicher schon resigniert."

Doch die Jahrhundert-Frau des Tennis, die deutsche "Sportlerin des Jahres", kann auch ein bisschen stolz auf sich selbst sein. Sagt Mama Amelia. "Steffi ist einfach wunderbar. Sie hat ein ganz großes Herz", sagt die Frau, die Tag für Tag das Überleben ihrer großen Familie sichern muss und, wenn es hart auf hart kommt, sogar die Spielzeuge der Kinder zu Geld macht. Auch dank des Grafschen Geldes haben sich die Verhältnisse schon enorm verbessert. Neue Betten wurden besorgt, neues Küchengerät beschafft. Und das Haus generalüberholt.

Die Wohltäterin Steffi Graf - das ist eine ganz andere, eine ungewohnte Steffi Graf. Für ihre Stiftung gibt sie alle öffentliche Scheu und Zurückhaltung auf. "Ich nutze meine Popularität ganz bewusst, um Geld zu sammeln", sagt sie. Dafür steht sie ausnahmsweise sogar mal "gern im Rampenlicht". Oder auf dem Centre Court, wenn ihr ein verrückter Amerikaner für eine private Trainingsstunde ein paar hunderttausend Dollar für die Stiftung verspricht.

Erst nach dem Ende ihrer großartigen Karriere hat Steffi Graf die Stiftungsarbeit so richtig begonnen. Ganz bewusst: "Nun habe ich die Zeit, um mich direkt und ständig in die Projekte einzumischen." Sie will ein Teil des Teams sein. Und nicht irgendwo aus der Ferne vom Schreibtisch regieren. Immer wieder, sagt sie, "werde ich mir ein ungeschminktes Bild von der Lage machen."

Ob in Kapstadt oder anderswo. Denn Steffi Grafs Hilfe für Kinder, die unter Kriegswirren, Familientragödien, Vertreibung oder Naturkatastrophen leiden, soll grenzenlos sein. Viel Arbeit wird dabei auch in Hamburg geleistet, in der Flüchtlingsambulanz des Uniklinikums Eppendorf. Dort betreuen Ärzte und Psychologen Familien, die nach Deutschland flüchten mussten. Und ganz besonders die Kinder, von denen die abgedankte Tennis-Königin sagt: "Sie leiden doch immer am meisten unter all diesen Tragödien."

Steffi Graf wird auch bei ihrer Abschiedstournee die "Hand aufhalten" und Klinken putzen, um das Stiftungskonto aufzufüllen. Anfang Dezember ging die letzte sportliche Reise der 30-Jährigen in Südafrika los. Es ist eine Reise rund um die Welt. Dahin, wo sie große, unvergessliche Triumphe feierte. Aber auch zu Schauplätzen, die bisher nie in ihrem Tennis-Tourkalender standen. "Ich will mich auch von den Fans, die mich nie live sehen konnten, verabschieden", sagt sie. In tausenden Briefen hatten Anhänger von allen Kontinenten "regelrecht gebettelt", so Manager Hans Engert, "dass Steffi doch auch mal abseits der früheren Tennisrouten spielen sollte." Post kam selbst von fernen Inseln wie Tonga oder Fidschi.

Für rund eine halbe Million ist auch die Expo 2000 GmbH in die World Tour eingestiegen und zeichnet nun als Namensgeber. Von der Werbefigur Steffi Graf schwärmen die Expo-Manager in höchsten Tönen: "Mit ihrer Persönlichkeit und Ausstrahlung ist sie eigentlich unbezahlbar", sagt Aufsichtsratschef Helmut Werner, früher Topmanager bei Mercedes, "wir sind sehr glücklich, dass Steffi in unserer Mannschaft ist." Schon in Südafrika erlebten die Expo-Leute das Medienphänomen Steffi Graf: Ein bis dahin völlig unbeachtetes Vorhaben der Expo geriet nach einem Besuch von "Fräulein Wunderbar" ("Cape Town News") international tagelang in die Schlagzeilen. Anderswo wird es nicht anders sein.Stiftungskonto: Children for Tomorrow, Konto: 0707000, Deutsche Bank (BLZ 200 700 00).

Jörg Allmeroth

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