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Sport: Alte Feindschaft neu belebt

Schalke kann ausgerechnet in Dortmund den vielleicht entscheidenden Schritt zum Meister machen

Dieses Buch hätte ein guter Lektor abgelehnt: zu lebensfremd, zu konstruiert, zu kitschig. Schalke 04 kann in Dortmund, mit einem Sieg über den verhassten Nachbarn Deutscher Meister werden, zum ersten Mal nach neunundvierzig Jahren, zum ersten Mal überhaupt seit Bestehen der Fußball-Bundesliga. Schalke müsste das Derby gewinnen, Stuttgart müsste in Bochum verlieren, Bremen dürfte daheim gegen Frankfurt nicht mehr als einen Punkt erreichen – das alles an einem Tag. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Ist die Wirklichkeit gerade auf dem Fußballplatz nicht kitschiger und absurder als die Fiktion? Sie ist es, gerade wenn Schalke mitspielt.

Vor sechs Jahren stand Schalke nach der neunzigsten Minute des 34. Spieltags scheinbar als Meister fest – bis ein Münchner Verteidiger die Geschichte nochmals umschrieb, mit einem Tor gegen Hamburg viereinhalb Minuten nach dem Ende der Partie in Gelsenkirchen. Schalke versank in einem Meer von Tränen. Diesmal können sie schon am 33. Spieltag Meister werden oder die Grundlage dafür schaffen. „Dieses Spiel ist der Schlüssel zur deutschen Meisterschaft“, sagt Andreas Müller, der Manager des FC Schalke 04. Bei einem Sieg gingen die Gelsenkirchener jedenfalls als Tabellenführer in die letzte Runde.

Egal wie es ausgeht, selbst wenn es ein klassisches 1:1 wird: Das Derby lebt wieder. Dortmund gegen Schalke, das war jahrelang ein Nachbarschaftsstreit, eine Folkloreveranstaltung, die nur in der Diktion des Boulevards stets zum „größten Hassgipfel“ aller Zeiten aufgebauscht wurde. Die Brisanz ging mit den Jahren verloren, die Rivalität wurde den Fans zuliebe gepflegt. Der Markt regelte die Missgunst auf ein angemessenes Maß. Das kollegiale Miteinander erreichte 1997 seinen Höhepunkt. Dortmund gewann die Champions League, Schalke den Uefa-Pokal. Die Rivalen begegneten einander als internationale Größen, und die Konflikte schrumpften auf den Streit um Spieler, die von beiden Klubs umworben wurden oder darüber, ob die Vorstände vor dem Derby gemeinsam zu Mittag aßen oder einander durch Nichterscheinen brüskierten.

Aber zehn Jahre nach dem gemeinsamen Beutezug durch Europa geht es wieder um etwas, um etwas Existenzielles, „um etwas Großes für Schalke 04“, wie Müller sagt, „das ist wie ein Finale“. Ein Endspiel in Dortmund, in der verbotenen Stadt, gegen einen BVB, der dem Abstieg entgangen ist und nun alle Kräfte bündeln kann, eine Saison zu retten. Die nicht mehr zu retten wäre, wenn nicht dieses eine Spiel vieles vergessen machen könnte. „Sie werden alles dafür tun, uns die Meisterschaft streitig zu machen“, sagt Müller. Er könne das verstehen, „umgekehrt wäre es doch auch so“. Schalke den Titel streitig machen? Nein, das können sie nicht, die Borussen. Das können nur der Zweite Stuttgart und der Dritte Bremen, die einen und zwei Punkte Rückstand haben. Dortmund kann Schalke die Meisterschaft nur vermiesen. Aber das reicht als Motivation.

Der brasilianische BVB-Verteidiger Dede ist mit dem Schalker Mittelfeldstrategen Lincoln befreundet. Schon als Kinder haben sie im selben Verein gekickt, daheim in Belo Horizonte. Mit Blick auf das Derby gibt Dede sich jedoch hart. Aus seinen Worten spricht nicht nur Professionalität. „Auf dem Platz gibt es keine Freunde und keine Familie. Ich werde alles dafür tun, dass Schalke nicht Meister wird.“

Etwa zwanzigtausend Fans werden den Meister in spe nach Dortmund begleiten. Zehntausende schauen das Spiel beim Public Viewing in der heimischen Arena an. Vielleicht werden sie ein wenig schneller die Informationen von den anderen Plätzen erhalten, als Slomka und Müller. Auf der Schalker Bank herrscht bis zum Schlusspfiff eine Kontaktsperre. Müller glaubt, auf Informationen von anderen Plätzen nicht angewiesen zu sein. Die Entscheidung falle doch erst am letzten Spieltag, wie immer das Derby ausgehe. Alles andere wäre vielleicht wirklich zu lebensfremd, zu konstruiert, zu kitschig. „Aber wenn es doch in Dortmund passiert, werden wir rechtzeitig Bescheid kriegen.“

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