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Sport: Am Anfang war die Schweiz

Am Mittwoch trifft Joachim Löw auf das Land, das ihn fußballerisch am meisten geprägt hat

Giorgio Contini hat Joachim Löw viel zu verdanken. Vielleicht wäre Contini ohne ihn nie Schweizer Meister geworden. 1994, als Löw vom FC Winterthur als Spielertrainer zum FC Frauenfeld in die erste Amateurliga wechselte, überredete er Contini, mit ihm zu gehen. „Ich war damals sehr verbissen. Löw hat mir gezeigt, dass es auch lockerer geht“, sagt Contini. „Im Grunde hat er so meine Profikarriere lanciert. Seinetwegen bin ich in St. Gallen gelandet und Meister geworden.“

Andererseits hat Joachim Löw der Schweiz viel zu verdanken. Am Mittwoch trifft der Bundestrainer mit der Nationalelf in Düsseldorf in einem Testspiel auf das Land, das seine fußballerische Sozialisation entscheidend geprägt hat. 1989, mit 29 Jahren, ging der Badener über die nahe Grenze und spielte am Ende seiner Karriere für Schaffhausen, Winterthur und den FC Frauenfeld. In einem Magazin des Schweizerischen Fußball-Verbands (SFV) wurde Löw sogar zum „ersten Schweizer Coach auf dem höchsten deutschen Trainerstuhl“ gemacht. Völlig abwegig ist das nicht. „Die Stationen in der Schweiz hatten starken Einfluss auf mich“, sagt Löw. „Dort habe ich gelernt, Verantwortung zu übernehmen.“ Contini erinnert sich noch, wie Löw als Kapitän in Winterthur seinem Trainer Wolfgang Frank entgegentrat und die Mannschaft gegen dessen Vorwürfe in Schutz nahm: „So geht’s nicht!“

Es waren vor allem zwei Schweizer Trainer, die Löws Sicht auf den Fußball maßgeblich beeinflusst haben: Rolf Fringer und Urs Siegenthaler. Unter Fringer war Löw Kapitän in Schaffhausen. „Damals hat er angefangen, wie ein Trainer zu denken und sich für die Zusammenhänge zu interessieren“, sagt Fringer, der inzwischen den FC St. Gallen betreut. Als er 1995 zum VfB Stuttgart wechselte, überredete er Löw, sein Assistent zu werden. Aus der kleinen Schweiz in die große Bundesliga – doch Löw zögerte. „Er stand vor der Mannschaft und hat uns gesagt, er sei nicht sicher, ob er das Angebot annehmen solle“, sagt Contini. Beim FC Frauenfeld hatte Löw gerade erst ein Konzept für die nächsten Jahre erarbeitet.

Dass die Deutschen lange etwas abschätzig auf den Schweizer Fußball herabgeblickt haben, hat sich zuletzt gezeigt, als der Deutsche Fußball-Bund Urs Siegenthaler als Chefscout engagierte. O Gott, ein Schweizer! Die Arroganz ist den Deutschen längst vergangen. Mit seiner Fähigkeit, ein Fußballspiel zu sezieren, die Schwächen einer Mannschaft herauszuziehen und sie dann für das eigene Spiel zu nutzen, hatte Siegenthaler großen Anteil am WM-Erfolg der Deutschen. „Er war mein Ausbilder und hat mir in vielen Dingen die Augen geöffnet“, sagt Löw.

Gerade weil das Land so klein ist und das Reservoir an Spielern beschränkt, muss die Schweiz immer kreativer sein als große Fußballnationen wie Deutschland. „Da kommen dem Land die verschiedenen Einflüsse aus vielen Kulturen zugute“, sagt Löw. Sein Kollege Fringer sieht bei seinen Landsleuten die generelle Bereitschaft, „sich überall das Beste abzuschauen“. Von den Franzosen und Italienern zum Beispiel haben sie schon früh die Viererkette adaptiert, während die Deutschen immer noch auf ihren Libero und die bewährte Manndeckung schworen. Als Fringer 1995 in die Bundesliga kam, spielte von den 18 Mannschaften nur Mönchengladbach mit einer Viererkette. „Und die Manndecker sind immer am besten weggekommen“, sagt Fringer, „dabei haben sie nur den Auftrag, das Spiel zu zerstören.“

Der deutsche Fußball hat sich lange erfolgreich gegen alle Neuerungen gewehrt. Erst Jürgen Klinsmann und Löw haben dem Land und seinem Fußball einen stabilen Reformkurs verordnet. Rolf Fringer ist „felsenfest überzeugt“ davon, dass dies bei Löw mit dem Schweizer Einfluss zusammenhängt: „Hier hat er selbst erlebt, dass man mit der nötigen Frechheit auch vorne angreifen kann.“ Löw sagt, er habe in der Schweiz die Vorteile erkannt, „wenn die ganze Mannschaft in einer gewissen Grundordnung spielt. Dort wird – auch in unteren Klassen – taktisch viel gearbeitet und diskutiert“.

Auch die ersten Trainerscheine hat er in der Schweiz gemacht, nur die A-Lizenz nicht. Den Kurs musste Löw abbrechen, weil er wegen seiner Arbeit in Stuttgart einige Veranstaltungen verpasst hatte. „Da sind wir ein wenig im Clinch mit ihm gewesen“, sagt Hansruedi Hasler, der Sportdirektor des SFV. Den Schein hat Joachim Löw später in Deutschland erworben. Im selben Kurs wie Jürgen Klinsmann.

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