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Sport: Am Brett mit Fritz

Schachweltmeister Kramnik kämpft gegen den Computer – die Chancen stehen schlecht

Berlin - Seit drei Wochen bereitet sich Schachweltmeister Wladimir Kramnik auf einen fast unfehlbaren Gegner vor: Ab Samstag wird der Russe in der Bonner Bundeskunsthalle versuchen, dem Computerprogramm Deep Fritz standzuhalten. Für die sechs Partien des bis zum 5. Dezember dauernden Wettkampfs bekommt er eine halbe Million Dollar; sollte Kramnik gewinnen, verdoppelt sich die Börse. Diese Verlockung erklärt seine Motivation, seine Chancen erhöht sie nicht. Kramnik hat sich intensiv mit der jüngsten Fritz-Version beschäftigt, aber „die Trainingsergebnisse sind nicht berauschend“, sagt sein Manager Carsten Hensel. „Das Ding ist rattenstark, die haben einen wahnsinnigen Entwicklungssprung gemacht.“ Hensel hofft, dass sein Mann unter Wettkampfbedingungen bessere Ergebnisse erzielen wird.

Auch Kramnik sieht sich diesmal nur als Außenseiter. Ob seine Chancen bei 20 oder 50 Prozent stehen, spiele für ihn keine Rolle. „Ich weiß, dass ich Chancen habe und werde versuchen, sie zu nutzen.“ Doch ab Samstag, wenn Finanzminister Peer Steinbrück, der Schirmherr der Veranstaltung, die erste Partie mitkommentieren soll, hat es der 31-Jährige nicht mit einem handelsüblichen Fritz-Programm zu tun, sondern mit einer viel schnelleren Version, die dank vier parallel geschalteter Prozessoren acht Millionen Züge pro Sekunde berechnet.

Kramnik schafft in der gleichen Zeit vielleicht einen Zug. Doch gerade darin sieht Matthias Wüllenweber, einer der Fritz-Väter aus Hamburg, den besonderen Reiz: „Es wird wegen der unterschiedlichen Stärken von Mensch und Maschine inhaltsreiche Partien geben und ein Ringen um den Stellungstyp.“ Kurz gesagt, der perfekt kombinierende Computer wird eher Verwicklungen anstreben, Kramnik hingegen Positionen, in denen langfristige Strategie vonnöten ist. Vor vier Jahren war ihm das gegen ein Vorgängermodell zunächst gelungen, damals führte er zur Halbzeit gegen Deep Fritz mit 3:1 Punkten. Immer wieder hatte er das Programm in Eröffnungsvarianten mit frühzeitigem Damentausch gelockt. Und nachdem die mächtigsten Figuren vom Brett verschwunden waren, spielte er seine strategische Überlegenheit aus. Dann jedoch ließ er sich einmal zu einem Opferangriff hinreißen, den Deep Fritz kühl widerlegte. Am Ende konnte Kramnik über das 4:4-Unentschieden froh sein.

Er mag daraus gelernt haben; andererseits ist Deep Fritz nun mit tieferem Verständnis ausgestattet. „Wir fürchten uns nicht vor dem Damentausch“, sagt Wüllenweber. Schließlich sei nicht allein von den vier gleichzeitig rechnenden Prozessoren mehr Leistung zu erwarten, sondern auch von der Software. Laut Wüllenweber haben die Entwickler das Programm mit derart viel Endspielwissen gefüttert, dass Fritz die Endphase einer Partie nun stark verbessert behandele. Außerdem seien bei der langfristigen Planung in geschlossenen, von blockierten Bauernketten geprägten Stellungen große Fortschritte erzielt worden. „Das ist ja das ewige Thema zwischen Mensch und Maschine“, sagt Wüllenweber. In geschlossenen Stellungen nütze selbst die größte Rechentiefe nichts, „weil die Planziele des Menschen so irre weit außerhalb des Rechenhorizonts liegen, dass nur eine korrekte Beurteilung der Stellungsmuster vor Unheil schützt.“

Trotzdem: Kramniks einzige Chance besteht darin, irgendwie hinter Fritz’ Rechenhorizont zu gelangen. Der Kölner Großmeister Christopher Lutz und der Schachprogrammierer Stefan Meyer-Kahlen haben ihm bei der Suche nach gegnerischen Schwächen geholfen. Das Fritz-Team will indes nicht verraten, welcher spielstarke Großmeister sie diesmal in Sachen Eröffnungsrepertoire berät.

Für Kramnik wird es wohl noch härter als bei seinem jüngsten WM-Sieg gegen Wesselin Topalow. Wüllenweber tippt auf einen 3,5:2,5-Sieg für Deep Fritz. Mit dem gleichen Ergebnis war Garry Kasparow schon 1997 Deep Blue unterlegen, einem im Vergleich mit Deep Fritz schnelleren, aber weniger ausgereiften Computerprogramm. Kramnik sagt, es bedeute keineswegs das Ende des Schachs, wenn eines Tages die stärksten Menschen völlig chancenlos sein sollten: „Nachdem das Auto erfunden war, ist man doch auch weiter um die Wette gelaufen.“

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