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Sport: Am Puls der Schlagfrau

Birgit Fischer führt mit 42 Jahren den Kajak-Vierer zu Gold – ans Aufhören denkt sie noch nicht

Katrin Wagner wollte „hopp, hopp“ brüllen, das Zeichen für den Schlussspurt. Aber mehr als ein paar heulende Laute brachte sie nicht heraus. Dafür war sie zu ausgepumpt. Aber ab jetzt war das Rennen sowieso reine Chefsache. Birgit Fischer, die Schlagfrau, erledigte das Wichtigste. Sie schob den Vierer Meter um Meter nach vorn, immer näher kamen die führenden Ungarinnen. Dann ertönte die Zielhupe, und die Deutschen hatten gewonnen. Olympiasieger im Kajak-Vierer der Frauen, mit sieben Hundertstelsekunden Vorsprung. Ein Sieg, so knapp wie vor vier Jahren in Sydney.

Die völlig erschöpften Frauen paddelten langsam zum Ufer. Dort stand Ulrich Feldhoff, der Präsident des Deutschen Kanuverbands und sagte: „Die Birgit hat mal wieder alles rausgerissen.“ Ein paar Minuten spielte Katrin Wagner mit ihrem Glücksbringer, einem Stofftier, und sagte: „Ohne die Birgit hätten wir hier nur Silber gewonnen.“ Birgit Fischer wieder. Wie immer. Als wäre sie jetzt nicht schon 42, als hätte sie nicht erst vor einem halben Jahr wieder mit dem Training begonnen, nach dreieinhalb Jahren Pause. Birgit Fischer hat gestern ihre achte Goldmedaille gewonnen, es sind ihre sechsten Olympischen Spiele.

Birgit Fischer konnte 20 Minuten nach dem Rennen „noch nicht richtig begreifen, was passiert ist“. Dieses Gold, sagte sie, „ist das wichtigste Gold für mich bei Olympia“. Aber das hat sie schon mehrfach gesagt. Sekunden später korrigierte sie sich: „Es ist eine große Medaille.“ Ehrlich gesagt hatte sie keine andere erwartet. „Ich gehe nicht an den Start, um Zweite zu werden“, hatte sie erklärt.

Um zu erklären, was Fischer zum Phänomen macht, muss man andere erzählen lassen. Maike Nollen etwa. Sie ist 18 Jahre jünger als Fischer, sitzt im Boot auf Platz zwei. 2003 saß sie auf Schlag, hatte die Hauptverantwortung. Das Boot landete bei der WM auf Platz sechs, der Abstand zu den Ungarinnen betrug eine Bootslänge. Es waren dieselben Ungarinnen, die gestern verloren. „Birgit ist total cool, wenn das Kommando zum Schlussspurt von Platz drei kommt“, sagt Nollen. „Die erhöht nicht hektisch die Frequenz, weil sie ganz genau sieht, dass wir die anderen noch holen können.“

Nollen weiß noch, wie es ihr ging, als sie damals als Schlagfrau das „hopp“ hörte. „Da hattte ich das Gefühl, dass ich keine Kraft mehr habe. Aber gleichzeitig haben die hinten Druck gemacht.“ Die Schlagfrau muss spüren, wie viel Kraft die drei Frauen hinter ihr noch haben. Die erhöhen den Druck auf die Paddel, aber der ist nicht immer gleich. Also muss die Schlagfrau in Sekunden diesen Rhythmus aufnehmen. Oder sie muss die Maximalfrequenz vorlegen, wenn sie spürt, dass die anderen noch Kraft haben. „Wir müssen dann nur mitpaddeln. Sie zieht uns ja“, sagt Maike Nollen.

Wenn Nollen die Verantwortung hat, schläft sie schlecht vor Rennen. Manchmal bloß drei Stunden. Aber die Nacht zum Freitag hat sie durchgeschlafen. „Ich bin aufgestanden und habe mich frisch gefühlt.“ Sie sagt nicht, dass es daran liegt, dass sie keine Verantwortung hatte. „Birgit hat das Stehvermögen, dass sie auf den letzten 150 Metern das Rennen nach Hause fährt“, bestätigt Katrin Wagner.

Birgit Fischer macht auf jeden Fall weiter nach Athen. Nur für Olympia hätte sich der Aufwand fürs Comeback nicht gelohnt, sagte sie. Wie lange macht sie weiter? Ein Jahr? Zwei Jahre? „Starten Sie vielleicht sogar in Peking 2008?“, wollte jemand wissen. Es war als Scherz gedacht, 2008 wäre Fischer 46. Aber Fischer lachte nicht mit. „Das weiß ich doch nicht“, antwortete sie unwirsch.

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