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Sport: Am Rand der Kette

Philipp Lahm könnte zum Prototyp des modernen Außenverteidigers werden

Berlin - Gelegentlich legt Jürgen Klinsmann seine ganze Wertschätzung über das kleinste Mitglied seiner Projektmannschaft in ein einziges Wort. „Paolo“, ruft er dann und meint seinen linken Außenverteidiger Philipp Lahm. Paolo kommt von Paolo Maldini. Der Abwehrspieler vom AC Mailand ist so etwas wie die Mutter aller Linksverteidiger und somit das Vorbild des nur 1,70 Meter großen Philipp Lahm. „Ich finde es einfach genial, wie er spielt. Vor allem mit welcher Übersicht“, sagt der 22 Jahre alte Lahm über den 38-jährigen, knapp 1,90 Meter großen Italiener. Von der Körpergröße wird er sein Vorbild nicht mehr einholen, aber nach seinen vier vorzüglichen WM-Spielen hat Lahm selbst neue Maßstäbe gesetzt für Spieler auf dieser Position.

Noch nie haben die Außenverteidiger das Spiel so geprägt wie jetzt. Für Joachim Löw, den Assistenten von Jürgen Klinsmann, ist es eine wichtige Erkenntnis dieser WM, dass starke, offensive Außenverteidiger enorm wichtig geworden sind im modernen Fußball. „Argentinien hat auf diesen Positionen Leute, die das Offensivspiel mit prägen und permanent Überzahl schaffen. Sorin agiert defensiv ganz weit hinten, er bügelt auch mal einen Fehler aus. Er ist aber auch vorne am gegnerischen Fünfmeterraum zu finden oder kommt über die linke Seite.“ Löw hätte genauso gut Philipp Lahm als Paradebeispiel anführen können. „Die Qualität, die Philipp Lahm auf seiner Position hat, haben nicht viele auf internationalem Parkett“, sagt Jürgen Klinsmann.

„Die Bedeutung der Außenverteidiger für das Spiel nach vorne ist wichtiger geworden“, sagt Lahm und erklärt: „Wenn sich der Mittelfeldspieler mal innen anspielen lässt, kann der Außenverteidiger an der Linie lang gehen.“ So könne man im Spiel nach vorn Überzahlsituationen herbeiführen. „Meine Spielweise ist offensiv ausgelegt“, sagt der Nationalspieler vom FC Bayern. Trotz aller taktischen Zwänge sieht er noch gestalterischen Freiraum. „Im Endeffekt entscheidet der Spieler allein“, sagt Lahm.

Philipp Lahm entscheidet selbst, wann in einem Spiel für ihn der Punkt erreicht ist, seine Rolle offensiver zu interpretieren. „Das ist wie im richtigen Leben – wenn du Sicherheit hast, traust du dir etwas zu“, erzählt Lahm. Die Sicherheit für seine Vorstöße möchte sich der umgepolte Rechtsfuß möglichst früh im Spiel holen, „wenn du eine gute Aktion hast, einen Zweikampf gewinnst oder der erste Pass kommt“.

Schon bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal war zu beobachten, dass die Bedeutung derer, die an den Rändern der Abwehrketten spielen, enorm gewachsen ist. Mit ihr stiegen die Anforderungen an Außenverteidiger. Gefragt sind nicht mehr die Verteidiger der rustikalen Art, sondern multifunktionale Typen, die die ballorientierte Spielweise beherrschen, das Spiel eröffnen und jederzeit mitmarschieren können.

In Deutschland hat man sich lange schwer getan mit der Umstellung auf die Viererkette. Das defensive Spiel der meisten deutschen Mannschaften war geprägt von Manndeckern der Mannheimer Schule wie Christian Wörns, Jürgen Kohler und Karlheinz Förster. „Früher haben dort große Spieler gespielt“, sagt Lahm. Heute komme es insbesondere darauf an, dass diese Spieler „auch offensiv etwas veranstalten können“.

Einen ersten Vorgeschmack auf das, was dem Bundestrainer auf den beiden Außenbahnen vorschwebte, lieferte das Länderspiel gegen Argentinien im Februar 2005, das in Düsseldorf mit einem 2:2 endete. In Patrick Owomoyela und Thomas Hitzlsperger (Lahm war verletzt) spielten gar zwei gelernte Mittelfeldspieler auf den Endpositionen der Vierer-Abwehrkette. Im Gegensatz zum Abwehrspieler klassischer Prägung, der in erster Linie ein Torverhinderer, ein Spielunterbinder ist, setzt Klinsmann schon in der Verteidigung auf das agierende statt reagierende Element. Dass der Bundestrainer sich bei der WM für Arne Friedrich entschied und Owomoyela zu Hause ließ, ist als eine kleine Abkehr von seiner mutigen Linie zu werten. Friedrich ist vorrangig einer, der das eigene Tor verteidigt. Gegen Argentinien könnte sich aber diese Überlegung erstmals auszahlen.

Philipp Lahm erfüllt ideal-typisch das Anforderungsprofil eines modernen Abwehrspielers. „Er hat Eigenschaften, die ein Außenverteidiger heute braucht“, sagt Joachim Löw: „Er ist technisch gut, seine Pässe besitzen ein hohe Präzision, er ist ballsicher und permanent ins Spiel involviert.“

Aufgrund guter technischer Fertigkeiten sind solche Außenverteidiger in der Lage, Spielsituationen schnell zu erfassen und im Fall des Ballbesitzes sofort den Gegenzug einzuleiten. Zudem hat Lahm einen guten ersten Pass, der das eigene Aufbauspiel geschickt einleiten und so einen gefährlich Eigenangriff eröffnen kann. Genau das ist eine wesentliche Voraussetzung für ein schnelles, variables Offensivspiel, wie es Klinsmann vorschwebt. Wenn der erste Pass aus der Abwehr heraus schon ängstlich, ungenau oder umständlich ist, verringert sich das Spieltempo und der Spielaufbau ist somit für den Gegner vorhersehbar.

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