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Der Anzug sitzt. Bei den Skispringer kommt es darauf an, dass er eng anliegt. Zentimeter können dabei entscheidend sein.

© dpa

Am Rande der Legalität: Materialkrieg und Anzugkontrollen im Skispringen

Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster kritisiert die laschen Anzugkontrollen im Skispringen. Dabei geht der Materialkrieg nicht nur während der Vierschanzentournee noch viel weiter.

Irgendwann hatte Werner Schuster genug. „So jetzt ist Schluss, keine Frage zum Material mehr“, sagte der deutsche Bundestrainer in der Pädagogischen Hochschule in Innsbruck, die einmal jährlich zum Pressezentrum der Vierschanzentournee umfunktioniert wird. Doch das Thema muss ihn in den letzten Tagen und Wochen intensiv beschäftigt haben, sonst wäre es zuvor nicht so drastisch aus ihm herausgebrochen. Von einem „Materialkrieg zwischen den besten Nationen“ hatte der Bundestrainer gesprochen und, ohne es genauer zu benennen: von der Möglichkeit, im Skispringen zu mogeln.

Schuster kritisierte, dass der Internationale Skiverband (Fis) bei der Vierschanzentournee nur einen Mann mit der Kontrolle der Anzüge betraut hat. Die Sprunganzüge mussten vor dieser Saison laut Reglement verkleinert werden, an bestimmten Messstellen dürfen sie statt sechs Zentimeter nur noch zwei Zentimeter vom Körper abstehen. Weil aber Skispringer in weiteren Anzügen auch weiter fliegen, reizen Schuster zufolge alle Nationen die neue Regel bis zur Messgrenze aus. Und gehen vielleicht auch darüber hinweg. Der Bundestrainer sagt: „Das Skispringen war ein halbes Jahr fair, und das war im Sommer.“ Doch nun ist es Winter.

Der Österreicher Andreas Kofler beispielsweise wurde beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee wegen eines zu großen Anzuges disqualifiziert. Was ihn besonders verdächtig macht: Es ist ihm zum dritten Mal in diesem Winter passiert. Schuster glaubt, dass ein Kontrolleur nicht alle Schummler erwischen kann. „Es ist wie in einer Schulkasse, in der ein Lehrer 70 Schüler überwachen soll“, sagt der Bundestrainer, „wenn einer es geschickt macht, wird er schwindeln können.“ Genauso sei es im Skispringen: „Im gegenwärtigen System können nicht alle erwischt werden.“

Der für das Skispringen zuständige Fis-Sportdirektor nimmt die Vorwürfe gelassen. „Es steht jedem frei, bei der Fis zu beantragen, dass wir noch mehr Personal einsetzen“, sagte Walter Hofer der Nachrichtenagentur dpa. Er fügte jedoch auch hinzu: „Wir haben mehr Kontrollsysteme, als den Trainern augenscheinlich zugänglich ist.“ So werde bei der aktuellen Vierschanzentournee auch die Renndirektorin des Frauen-Skispringens für Kontrollen eingesetzt. Man könne zwar nicht in jedem Durchgang alle Athleten kontrollieren. „Aber an einem Wochenende haben wir alle durch“, sagte Hofer, „und die Athleten wissen nicht, wann sie kontrolliert werden.“

Die Österreicher halten sich derzeit mit Kritik zurück

Der Materialkrieg betrifft aber nicht nur die Anzüge. Bei der Vierschanzentournee springt der Norweger Anders Jacobsen mit einem versteiften Ski und einen neuen Schuh, dessen Zunge aus einer Schiene besteht. Der Zweitplatzierte der Gesamtwertung hat damit die Möglichkeit im Sprung den Ski flacher in die Luft zu stellen und somit mehr Auftrieb zu erhalten. Die Fis hat diesen Schuh genehmigt. Weil ihn die Norweger eingereicht haben, glaubt Alexander Pointner. Wenn die österreichische Mannschaft, die in den vergangenen Jahren den Weltcup dominiert hat, eine derartige Neuerung einführen würde, würde sie die Genehmigung womöglich nicht bekommen, glaubt Pointner: „Ich würde ähnlich denken, wenn ich in dieser Position wäre.“

Die von Schuster angestoßene Diskussion will der österreichische Cheftrainer nicht führen, obwohl er sie verstehen kann. „Freut mich, dass sich endlich die deutsche Mannschaft zu Wort meldet“, sagt Pointner, „sie ist auch immer vor dem Monitor gestanden und sagte bei gewissen Sportlern: Tun wir jetzt wieder Drachenfliegen?“ Wer der Sportler ist, der offenbar mit einem zu weiten Anzug springt, wollte Pointner nicht sagen.

Überhaupt will er nicht näher auf das Material eingehen. „Wir besinnen uns auf unsere Stärke“, sagte Pointner, „das ist unsere gute Arbeit im körperlichen und geistigen Bereich.“ Gregor Schlierenzauer zum Beispiel, der die Gesamtwertung anführt und heute in Bischofshofen (16.30 Uhr, live im ZDF) erneut die Tournee gewinnen kann, sei besonders im Bereich Neurocoaching stark. „Da kennt er sich aus wie kein anderer“, sagte Pointner.

Doch nicht immer hat der österreichische Cheftrainer die Materialdiskussion so gelassen gesehen. Auf die Einführung der weiten Anzüge in der Saison 2002/03 durch die Österreicher ist er stolz. „Die Konkurrenz hat ein halbes Jahr lang nicht entdeckt, was das Wesentliche ist: Die Fläche im Schritt“, sagt Pointner, „das waren Fluggeräte!“ Und er scheint schon vergessen zu haben, dass er sich am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen sehr wohl mit dem Material der Konkurrenz, nämlich dem neuen norwegischen Schuh, beschäftigt hat. Doch in diesem Springen war Schlierenzauer auch noch bezwungen worden.

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