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Sport: Am Unfall vorbeifahren

Oliver Kahn spricht über Jens Lehmanns Missgeschick

Oliver Kahn trägt jetzt weiße, luftige Leinenhosen. Er hat eine Rolex mit grünem Ziffernblatt um und versucht so zu tun, als ginge ihn die Sache nichts an, die die halbe Nation daheim bewegt. „Da hat Arsenal gegen Barcelona gespielt, was hat das mit mir zu tun?“, fragt Oliver Kahn im Trainingslager der Nationalelf im sardinischen Pula. Außerdem habe er das Champions-League-Finale „nur in Auszügen“ gesehen. Doch vorsichtshalber lässt der einstige Torwart-Titan seine windschnittige Sonnenbrille vor seinen Augen. Könnte ihn sein Blick verraten?

Die neue Nummer zwei im deutschen Tor müht sich nach Kräften, seine neue Rolle auszufüllen. Seine halbwitzigen Bemerkungen und kleinen Späßchen wirken bei einem wie Kahn ein wenig aufgesetzt. Erst als ihm die vielen Nachfragen zuzusetzen beginnen, findet er zu alter Form und Rolle zurück. So ein Champions-League-Finale sei das Größte für einen Vereinsfußballer. Und so weiter und sofort. Kahn scheint zu spüren, dass er sich hinter seiner neuen Rolle als „großer Integrator“, wie er sie selbst umreißt, nicht länger verstecken kann. Natürlich muss er sich zur aufregendsten Szene mit seinem langjährigen Konkurrenten um das deutsche Tor äußern, dessen Namen er Monate lang nicht ausgesprochen hat. Er hat zwar seinen großen Kampf gegen jenen Konkurrenten verloren, aber jetzt, bitteschön, nicht alle Dinge verwechseln. „Ja, das ist schon bitter. Aber was ich schon einmal erlebt habe, ist durch nichts mehr zu toppen“, sagt Kahn. Er meint sein Champions-League-Finale gegen Manchester 1999, das in der Nachspielzeit verloren gegangen war.

Oliver Kahn räkelt sich und reibt sich am Kinn. Er wirkt, als höre seinen eigenen Worten nach. Sollte er etwa etwas milder und mitfühlender sein? Dann holt er aus: „Das ist schon ein Schlag ins Gesicht“, sagt er. Als Torwart müsse man sich in einer solchen Situation in Bruchteilen von Sekunden entscheiden. So sei Fußball. Alles gehe „so wahnsinnig“ schnell, es könne „so viel“ passieren in diesem Sport.

Und was, wenn so etwas wie mit Lehmann in Paris auch bei der WM geschieht? Kahn legt den Kopf beiseite und sagt: „Solche Gedanken hat man nicht. Das passiert, wenn es passiert.“ Kahn stellt einen gewagten Vergleich an. Das alles sei mit einem Autounfall vergleichbar. Wenn man an der Stelle des Unfalls vorbeifahre, überkäme einem ein komisches Gefühl. Man würde an dieser Stelle einfach nicht sicher vorbeifahren.

Oliver Kahn gefällt dieser Vergleich. Vielleicht nimmt er deswegen den Namen seines Konkurrenten dann doch noch einmal in den Mund: „Ich glaube, dass der Jens erfahren genug ist und mental so stabil, dass er das ablegen kann.“

Oliver Kahn lächelt. Leider sieht man seine Augen nicht.

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