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Sport: Am Zug

Vorsorglich gibt Susi Erdmann erst einmal den Gesprächsinhalt vor: "Kommen Sie mir bitte nicht mit Fakten aus dem Munzinger-Archiv. Von dem, was darin über mich steht, stimmt doch kaum etwas.

Vorsorglich gibt Susi Erdmann erst einmal den Gesprächsinhalt vor: "Kommen Sie mir bitte nicht mit Fakten aus dem Munzinger-Archiv. Von dem, was darin über mich steht, stimmt doch kaum etwas. Von wegen, ich würde an keinem Schmuckladen vorbeikommen und mich anschließend behängen, oder Placido Domingo sei einer der wichtigsten Männer in meinem Leben gewesen. So ein Quatsch. Und so etwas wird dann abgeschrieben, ohne darüber mit mir gesprochen zu haben. Dann wäre nämlich herausgekommen, dass ich kaum Schmuck trage, mich aber für Schmuckdesign interessiere und dass ich klassische Musik liebe." Punkt. So ist sie, die Susi Erdmann. Direkt und ohne Hemmungen, über schlechte Erfahrungen zu reden. Auf manch einen wirkt sie vielleicht unnahbar. Ist sie aber gar nicht.

Es macht Spaß, mit der Bobfahrerin aus dem Harz, die seit einiger Zeit in München lebt, über Gott und die Welt und den Sport zu reden. Und das, ohne vorher im internationalen Sportarchiv gelesen zu haben. Schon allein deshalb, weil das neue Leben der Bobfahrerin Susi Erdmann darin ohnehin noch nicht verzeichnet ist. Sie selbst hat ihre "Superzeit als Rodlerin", die mit zwei Olympiamedaillen, drei Weltmeister- und zwei Europameister-Titeln, sehr erfolgreich war, abgehakt. Die neue Herausforderung heißt Bobfahren, heißt das Einbrechen in eine Männerdomäne. "Mir war klar, wenn ich mich dafür entscheide, dann nur unter professionellen Bedingungen", sagt Susi Erdmann. "Blamieren ist nicht mein Ding. Das Besondere reizt mich." Fast im selben Atemzug räumt sie mit einem Vorurteil auf: "Alle reden von der Goldmedaille bei Olympia, die ich als Rodlerin nie gewonnen habe. Ich kann das nicht mehr hören. Für mich ist schon Gold wert, dass ich meinen Weg bis hierher so durchgezogen habe." Dass die Blondine für Salt Lake City bei der Olympia-Premiere des Frauenbobs als eine Favoritin angesehen wird, kann sie nach ihrem Gesamtsieg beim Weltcup-Finale in Calgary nicht verhindern. Erst recht bei der Deutschen Meisterschaft, die heute in Winterberg entschieden wird, gilt sie als erste Sieganwärterin.

Vor fünf Jahren kamen solche Chancen nicht einmal in den Träumen von Susi Erdmann vor. Selbst davor nicht, als sie noch mit Bobfahrer Christoph Langen verbandelt war. Es gab mit dem möglichen Vorbild keine privaten Gespräche darüber, es doch mal selbst zu probieren. Für Langen war Frauenbob ohnehin furchtbar, und es ist nicht lange her, dass er den aufstrebenden Damen in seinem Metier "ein grauenhaftes Niveau" bescheinigte. Heute verbindet die Berufssoldatin "eine rein geschäftliche Beziehung" mit ihrem ehemaligen Freund, dem Doppel-Olympiasieger und vielfachen Weltmeister aus Unterhaching. Mit einem mit ihm gemeinsam gebauten Bob rast die Berufssoldatin durch die Eisrinnen. Längst nicht mehr als "Susi Sorglos", wie sie früher wegen ihrer offenen, unbeschwerten Art genannt wurde, sondern als zielstrebige Frau in einem knallharten Geschäft. Die Umstellung war für die 33-Jährige riesengroß: "Es war nicht damit getan, dass ich früher meinen Sport im Liegen und mit dem Blick nach oben ausübte und jetzt nach vorne schaue. Die Athletik, der Zeitaufwand und vor allem das Finanzielle sind mit dem Rodelgeschäft nicht auf eine Stufe zu stellen." Sogar als Truckerin, die ihren Bob selbst tranportiert, fungiert Susi Erdmann. Von Königssee nach Altenberg dauert eine Fahrt mit einem 7,5-Tonnen-Laster - das Auto wurde gesponsert von einer Inkasso-Firma - auf verschneiten Straßen schon mal zehn Stunden.

Bobfahren, das heißt in erster Linie rennen. Wer mit seiner Anschieberin das sperrige Gerät auf vier Kufen auf den ersten 50 Metern am schnellsten in Schwung bringt, hat die besten Chancen. Am Rodelstart war das anders, da musste Susi Erdmann früher allein Armkraft zum Abstoßen haben, "die Beinmuskulatur hat bei mir 20 Jahre lang geschlafen". Hilfreich beim Muskelaufbau für ein erfolgreiches Bobgeschäft, in dem ein Team pro Saison locker mal 300 000 Mark umsetzen kann, war für Susi Erdmann ein Trainingsplan von Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein. Zur Trainingsgruppe gehört auch die 21-jährige Sprinterin Annegret Dietrich, die im Oktober zum ersten Mal im Bob saß und nunmehr in der internen Ausscheidung als Anschieberin binnen drei Monaten das Olympiaticket erkämpfte. Susi Erdmann verkennt nicht die technischen Defizite ihrer Kollegin aus Zwickau: "Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu." Hilfe kommt für die beiden vor allem von Bundestrainer Raimund Bethge, mit dem sie in Königssee trainieren. An den Lenkseilen ziehen muss sie allerdings allein im Eiskanal.

"Ich habe bewiesen, dass noch was geht, auch wenn eine Frau nicht mehr ganz so jung ist", sagte die aus Blankenburg stammende Erdmann nach ihrer Reifeprüfung in Calgary. Es ärgert sie immer noch, dass ihr auf dem Rennrodel vor zwei Jahren keine Perspektive mehr geboten wurde. "Darüber spreche ich nicht gern", sagt sie. Nun will sie Bob fahren - auf jeden Fall bis zu Olympia 2006. Allein das zählt. Susi Erdmann verbeißt sich nicht in ihren Goldtraum.

Torschlusspanik möchte Susi Erdmann auch im Privaten nicht aufkommen lassen, obwohl sie schon eine Scheidung hinter sich hat. "Madonna ist doch auch mit 40 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden. Bis dahin habe ich ja noch einige Zeit. Derzeit ist der Bob mein Baby."

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