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Stadtarena. Vor der Kulisse von San Francisco und 80 000 Zuschauern am Hafen sind die Teams aus Neuseeland (rotes Boot) und den USA (schwarzes Boot) meist gleichauf. Foto: dpa

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America's Cup: Attacke auf Kreuzkurs

Am Ende entscheiden die Winzigkeiten - und die sprechen bislang für den Herausforderer. Das Team Neuseeland ist dem US-Team im Finale des America’s Cup stets einen Schritt voraus.

Nun ist es doch das Duell geworden, das alle beschworen haben. Zwei Boote, gleich schnell, zwei Mannschaften, gleich gut. Und ein Kampf, der an Tempo und Belastung neue Maßstäbe setzt. Bei den ersten fünf Wettfahrten des 34. America’s Cup sind es nur Winzigkeiten, die den Rennverlauf für Titelverteidiger Oracle Team USA oder für den Herausforderer Emirates Team New Zealand entscheiden. Trotzdem fahren die Amerikaner einem deutlichen Rückstand hinterher. Vier Rennen haben sie bislang verloren, eins gewonnen. Und dann klappte am Dienstag plötzlich gar nichts mehr.

Trotz all der Technik, die diesen Cup prägt, sind es am Ende menschliche Eigenschaften, die den Ausschlag geben. Da ist der Skipper, der Neuseeländer Dean Barker, ein sanfter Kerl, aus bürgerlichem Elternhaus, gut aussehend, selbst zwei Cup-Niederlagen haben dem 41-Jährigen nichts anhaben können, seine Mitstreiter nennt er Boys – „Good tack, boys“. Er ist wie geschaffen für die Welt der superschnellen AC72-Katamarane und der Unmenge an Informationen, die auf den Steuermann gleichzeitig einprasseln. Sein „visuelles Gedächtnis“ ist phänomenal, Mediziner haben Testreihen mit ihm durchgeführt. So kann Barker große Datenmengen sehr viel schneller und präziser aufnehmen als gewöhnliche Menschen, und ohne überhaupt nachdenken zu müssen.

Sonny Boy. Dean Barker sagt, dass die Dinge gerade für sie sehr gut laufen.
Sonny Boy. Dean Barker sagt, dass die Dinge gerade für sie sehr gut laufen.

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Seine geschmeidig-routinierte Art trifft nun auf den aggressiven Segelstil Jimmy Spithills. Der gebürtige Australier hat sich in diesem Gentleman’s Sport nach oben katapultiert. Er war bei allem, was er anpackte, der Jüngste, seine Crewmitglieder im US-Team nennt er Guys – „Bad luck, guys“ ist der Satz, den er seinen geschlagenen Kameraden zuruft. Der 34-Jährige Rotschopf stammt aus einfachen Verhältnissen und ist in der Bucht von Sydney groß geworden. Zur Schule fuhr er mit dem Boot. Er erlebte als kleiner Junge, wie die Australier den Cup gewannen, nach 132 Jahren, die er im Besitz der Amerikaner gewesen war. Ein Nachbar der Spithills war Teil der siegreichen Mannschaft gewesen, er schmiss eine rauschende Party. Von da an wollte der junge James dasselbe: den America’s Cup gewinnen.

Da Spithill nichts geschenkt worden ist im Leben, so sieht er das, geht er auch mit seinen Widersachern rücksichtslos um. In seiner Freizeit boxt er, als rothaariger Bengel habe er schon früh sich zu wehren gelernt. Aber er wusste vor dem ersten Aufeinandertreffen am wenigsten, wo er steht. Zur Vorbereitung hatte das amerikanische Team lediglich interne Trainingsregatten austragen können, während die Neuseeländer das Duell der Herausforderer souverän gewonnen haben.

Im Auftaktrennen am Samstag vor 80 000 Zuschauern hält sich Spithill erstmal fern von Barker, lässt ihn in der Vorstartphase seine Kreise ziehen. In den zwei Minuten, die beiden Teams für die Suche nach einer optimalen Ausgangsposition an der Startlinie zur Verfügung stehen, kann Barker die von ihm favorisierte Luv-Seite ansteuern, die näher zum Wind liegt, sein Boot beschleunigt schneller, und weg ist er. Die Amerikaner lassen sich allerdings nicht abschütteln. Und als die Gelegenheit für eine Attacke kommt, sind sie da. Barker hat seine Aotearoa, diesen Namen trägt der Katamaran, auf dem ersten Kreuzkurs zu steil in den Wind gestellt, was Spithill erlaubt, unter ihm „durchzutauchen“.

Damit ist das Muster dieser Finalrennen geprägt. Spithill wählt die Innenbahn, auf ihr ist der Weg zur ersten Bahnmarke kürzer, die Gefahr der Windabdeckung aber größer. Er setzt auf Beschleunigung, was sich bald auch bezahlt macht. Die USA 17 sprintet besser.

Sie müssen ziemlich verzweifelt sein

Dass Barker trotz des langsameren Starts immer wieder den Sieg holt, verdankt er seiner besseren Kreuz-Taktik. Der dafür zuständige Kopf an Bord, Ray Davies, ist seinem amerikanischen Gegenüber John Kostecki stets einen Schritt voraus. Mal lockt er ihn in eine Falle, als er die Aotearoa bis an die Bahnbegrenzung heransegeln lässt, an der andere Vorfahrtsregeln gelten, USA 17, obwohl im Vorteil, muss wegdrehen, verliert kostbare Meter. Dann wieder arbeitet Davies geschickter mit den tückischen Gezeitenströmungen vor San Francisco oder mit der schlichten Tatsache, dass seine Crew in Wenden weniger Zeit verliert als der Gegner. Erst im vierten Rennen am Sonntag geraten die „Barker Boys“ unter Druck und verlieren.

So hätte es am Dienstag weitergehen sollen und ging es auch zunächst, als USA 17 nach dem Start überlegen davonjagt, doch erneut erlebt der Cup eine dramatische Wendung. Nach einem haarsträubenden Fehler bricht das US-Team ein. Am unteren Ende der Regattabahn angelangt, entschließen sich Spithill und Kostecki nämlich zu etwas, das sie selbst über Bordfunk als „fliegende Wende“ ankündigen. Als sei es nicht schon schwer genug die Zweirumpfboote überhaupt durch den Wind zu bugsieren, leiten sie nun ein radikales 180-Grad-Manöver ein und fahren sich fest. Am Ende der Kreuz haben die Kiwis ihren Acht-Sekunden-Rückstand in einen uneinholbaren Vorsprung von über einer Minute verwandelt.

Wie das passieren konnte? Spithills Männer wissen es selbst nicht. „Wir brauchen Zeit, um uns neu zu sortieren“, sagt er. Sein Taktiker Kostecki rang erkennbar um Fassung, als er der Wettfahrtleitung den "Joker" ankündigte, der seinem Team erlaubt, die nächste Wettfahrt zu verschieben. Er, der das Volvo Ocean Race gewonnen hat, olympischer Silbermedailliengewinner ist und schon als Kind in der Bucht von San Francisco zu segeln begann, blickte verlegen hin und her, am liebsten hätte er sich irgendwo verkrochen. So dumm kam er sich vor.

Jedes Team hat in der gesamten Rennserie nur einmal die Chance, um eine Aufschiebung zu bitten. Diese "Karte" ist gedacht, um den Teams bei technischen Problemen mehr Zeit für deren Behebung einzuräumen. Aber sie müssen auch nicht begründen, warum sie sie einsetzen wollen. Spithill muss klar geworden sein, dass etwas Grundsätzliches schief läuft. Zu sehr hatten sich die Amerikaner auf Speed konzentriert und an ihrer Foiling-Technik gefeilt. Nun, da sie es perfekt beherrschen, das 22-Meter-Ungetüm "fliegen" zu lassen, zeigt sich, dass die Rennen ganz anders entschieden werden, auf konventionelle Art. Nur ein Viertel der Strecke muss gegen den Wind absolviert werden, aber hier sind die Defizite gegenüber Barkers Team am größten.

Segeln ist zu einem Laufsport geworden. Bei den vielen Wendemanöven sprinten die zehnköpfigen Crews unablässig von einem Rumpf zum anderen, federn über die gespannten Trampolinnetze, während die Elemente sie vom Boot zu wischen drohen. Man hört die Grinder an ihren Winschen wimmern wie Kinder, so anstrengend ist ihr Job und so nahe ist der Zuschauer dran an dem, was sich auf den Booten abspielt. Während es früher für die kräftigen Muskelmänner immer wieder Ruhephasen gab, sind sie nun unablässig im Einsatz. Kurbeln, rennen, kurbeln, rennen.

Es sei beeindruckend, wie schnell Team Neuseeland am Wind und bei Wenden sei, räumt Spithill ein. "Aber wir können diese Rennen gewinnen, wir müssen nur sehr sehr klug sein." Zur Zukunft Kosteckis befragt, meint Spithill, er könne nicht mal sicher sagen, dass er am Donnerstag selbst an Bord sei."

Als Alternative stünde Ben Ainslie bereit. Der viermalige Olympiasieger war Spithills Trainingspartner, aber Erfahrung im Match Racing hat er kaum. Sie müssen im US-Team schon ziemlich verzweifelt sein.

Rennen sechs findet am Donnerstag um 22.15 Uhr statt, das siebte Rennen eine Stunde später. Der Youtube-Kanal des America's Cup bietet rohe, unkommentierte Livebilder. Über die Smartphone-App sind die Rennen als Fernsehübertragung zu erleben.

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