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Hightech-Duell auf dem Wasser. Schon beim 33. America's Cup im Jahr 2010 trat Alinghi (vorne) mit einem Katamaran an.

© AFP

America's Cup: Die neuen Geschosse werden das Segeln revolutionieren

Mit futuristischen Katamaranen soll der America’s Cup actionreicher werden. Mit den neuen Booten könnten vor allem neue Teams in der Lage sein, zu den arrivierten Syndikaten aufzuschließen

Er stockt, kaut auf dem richtigen Wort. Eigentlich hat er, Russell Coutts, bester Segler der Welt, alle wichtigen Gründe genannt, warum der America’s Cup sich von Grund auf verändern müsse. Doch einer fällt ihm noch ein, und er lächelt: „Na ja, es geht auch um den Coolness-Faktor.“

Wenn Russell Coutts lächelt, verbirgt sich meist eine Kampfansage dahinter. Dann ist er wieder der kleine Junge, der allein in einer P-Jolle allen anderen kleinen Jungs im neuseeländischen Dunedin davonsegelte. Seine Boote sind seither immer größer geworden, und seine Ziele auch. Viermal hat der 48-Jährige den America’s Cup nun schon gewonnen, öfter als jeder andere. Aber was der Chef des BMW-Oracle-Teams am Montag verkündete, dürfte den Segelsport auf Jahrzehnte verändern. Denn der nächste America’s Cup wird auf Riesenkatamaranen von 21 Meter Länge ausgetragen. 2013 soll er stattfinden, wo, versprach Coutts bis Ende des Jahres bekannt zu geben.

Schon der 33. Cup, der im vergangenen Jahr in Valencia mit einem Sieg von BMW Oracle über Titelverteidiger Alinghi zu Ende ging, war auf extravaganten Mehrrumpfyachten ausgetragen worden. Im Vorfeld war es zwischen den Schweizern und ihren amerikanischen Herausforderern zu keiner Einigung über die Wettkampfmodalitäten gekommen, so dass das juristische Hickhack auf ein so genanntes „Deed of Gift“-Race hinauslief, bei dem sich beide Parteien in Ermangelung einvernehmlicher Regeln nur auf die Stiftungsurkunde des Cups von 1857 berufen konnten: Alles war erlaubt, was nicht größer als 90 Fuß war. Mit der Folge, dass BMW Oracle mit einem Trimaran antrat, einer Art schwimmendem Bat-Mobil, und Alinghi auf das Katamaran-Konzept setzte. Den Ausschlag gab das turmhohe Flügelsegel der Amerikaner. Die Segler waren Nebenfiguren.

Nach diesem ungleichen Wettkampf musste es einen Neuanfang. Dass es rasanter, fairer und kostengünstiger zugehen würde, das versprachen die Sieger noch in der Nacht ihres Triumphs. Die alte bananenförmige Cupper-Generation war damit ausgemustert. Über eine neue Bootsklasse wurde spekuliert; lange sah es nach einer Rückkehr zu einem Einrumpfformat aus, das der Open-70-Klasse des Volvo Ocean Race geähnelt hätte. Doch die neu entdeckte Begeisterung von Coutts und seinen Leuten für das Hochgeschwindigkeitssegeln hat sich durchgesetzt. Damit ist ein radikaler Schwenk vollzogen. „Das hat nichts mehr mit Segeln zu tun“, sagt Jochen Schümann, „das ist ein High-Tech-Event für die Flugzeugindustrie. Segel wird es nicht mehr geben, nichts mehr, das man hochzieht und flattert.“ Manch einer spricht gar von „Revolution“ und meint, seit langem sei die Segelszene nicht mehr „so aufgewirbelt worden“.

An der Grenze zum Fliegen

„Wir wollen Skiff-Segler, Wind- und Kitesurfer dazugewinnen“, erläutert Coutts seine Pläne. Eine jüngere Generation von artistischen Wassersportlern soll herangezogen werden, um die extremen Katamaran-Cupper ab 2012, wenn die Ausscheidungsrennen starten, beherrschen zu lernen. Es sind mehr Balletttänzer gefragt als die Kraftprotze der Vergangenheit. Der America’s Cup öffnet sich den Fun-Sportarten.

Nach altem Reglement werden bei Match-Races zwischen 40 und 60 Prozent der Duelle am Start gewonnen. Danach muss der Führende seinen Vorsprung nur ins Ziel retten. Mit den sehr viel schneller beschleunigenden Katamaranen, kürzeren Kursen und einer großen Leistungsdichte, die auch Design-Innovationen nicht aufbrechen, wird es zu einem spannenderen, offeneren Schlagabtausch kommen, hofft Coutts. Und das auf Rennmaschinen, die auch mal umkippen können. Die den Kitzel der Grenzerfahrung in sich tragen. Wenn das nicht „cool“ ist.

„Man muss der technischen Entwicklung den Freiraum geben, um sich zu entwickeln“, lobt Tornado-Weltmeister Roland Gaebler die Entscheidung. Der Schritt sei überfällig gewesen. Jahrzehntelang ist vom Blazer-Establishment der Segelverbände ignoriert worden, welches Potenzial darin steckt, sich mit immer leichteren Geschossen an der Grenze zum Fliegen zu bewegen. „Katamaransegeln ist wahnsinnig aufregend“, schwärmt Gaebler, „wie eine Droge“. Nun würden sie als Exoten ernst genommen. Und für Gaebler heißt das auch, dass er endlich viel Geld mit seinem Können verdienen und hoffen kann, als „Spezialist“ in die mitunter über Jahre eingespielten Crews aufgenommen wird.

Dass die Profielite ihren Platz freiwillig räumen werde, glaubt Gaebler nicht. Doch bislang gibt es nicht genug flinke, behände Profis, um die elfköpfigen Crews der geplanten AC 72-Klasse zu besetzen. Deshalb schwebt BMW Oracle ein dreistufiges Modell vor: In einer ersten Phase wird ab kommenden Sommer eine Serie von Weltcup-Rennen initiiert, was einem lang gehegten Wunsch in der America’s-Cup-Szene folgt. Um den Teams die Möglichkeit zu geben, sich mit der extremen Kultur des Katamaran-Segelns vertraut zu machen, gehen zunächst kleinere 45-Fuß-Versionen an den Start. In Phase Zwei werden diese ab 2012 von den 72-Fuß-Originalen abgelöst und dienen fortan der Jugendförderung. In der dritten Phase wird 2013 der Herausforderer ermittelt, um das eigentliche Match-Race im America’s Cup gegen BMW Oracle zu bestreiten.

Coutts verspricht, dass dieses Reglement niemandem einen Vorteil verschaffe. Vor allem neue Teams seien nun in der Lage, zu den arrivierten Syndikaten aufzuschließen, die teilweise schon dreißig Jahre Cup-Erfahrung gesammelt haben. Auch die Kosten seien 20 Prozent niedriger als bei einer herkömmlichen Kampagne. Denn Mehrrumpfboote sind wie Bausätze, mühelos in Einzelteile zu zerlegen und leichter zu transportieren. Warum deshalb aber nicht auf die etwas kleinere Extreme-40-Klasse zurückgegriffen wird, bleibt schleierhaft. Nicht nur, dass diese eigens für die Beförderung in handelsüblichen Containern konstruiert wurde, einige Teams waren zuletzt bereits auf sie ausgewichen. Auch unklar ist das Verhältnis von Weltcup zu America’s Cup. Immerhin gesteht Coutts ein, dass es nicht leicht gewesen sei, überall Zustimmung für diesen „dramatischen Wandel“ zu finden.

Bei Jochen Schümann hält sich der Optimismus in Grenzen, und dabei ist die Bootsklasse nur nebensächlich. Mit dem All4one-Team arbeitet der zweimalige Cup-Gewinner an einer deutsch-französischen Kampagne. Ob sie unter diesen Umständen zustande kommt, „kann man nicht abschätzen“. Der Zeitplan sei viel zu knapp bemessen. Schon Weihnachten müssen sich die Teams auf eine Teilnahme festlegen, ohne dass potenzielle Sponsoren wüssten, auf was sie sich einlassen. Und bislang hat niemand außer BMW Oracle Erfahrung mit einem festen Flügelsegel, im Juni 2011 soll es Standard sein. So behalte Coutts die Kontrolle, sagt Schümann. Es ist dann doch die alte Taktik: Vom Start weg die Verfolger im Windschatten halten.

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