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Sport: Amerika ist geschockt

Der Tour-Sieger beteuert seine Unschuld, doch in den USA wachsen die Zweifel an einem sauberen Radsport – und an Lance Armstrong

Es ist noch nicht sehr lange her, da wähnte sich der amerikanische Sportfan in einer dopingfreien Zone. Unerlaubte Mittel zur Leistungssteigerung waren ein Problem des ehemaligen Ostblocks, Chinas und vereinzelter Europäer. Amerikaner tun so etwas nicht. Erst seit dem Balco-Skandal und den Untersuchungen des Kongresses gegen den Baseballsport wacht die US-Öffentlichkeit langsam auf. Dass jetzt der neue amerikanische Tour-Sieger aufzufliegen droht, verstärkt die aufkeimende nationale Depression. Da nützte es wenig, dass Floyd Landis, der nach seiner Alleinfahrt auf der 17. Etappe der Tour de France positiv auf Testosteron getestet worden war, am Freitag ein wissentliches Doping abstritt. „Ich denke, es gibt eine gute Chance, dass ich meinen Namen rein waschen kann“, sagte Landis. „Alles, worum ich bitte, ist, mir eine Chance zu geben, meine Unschuld zu beweisen. Ich möchte als unschuldig gelten, bis die Schuld bewiesen ist – so machen wir das in Amerika“, sagte der von Phonak suspendierte Landis, der sich am Freitagabend bei einer Pressekonferenz in Madrid erneut verteidigen wollte.

Landis erklärte die positive Probe mit Tabletten, die er täglich gegen ein Schilddrüsen-Leiden zu sich nehme. Experten zweifeln diese Darstellung an (siehe Kasten). Mit einer negativen B-Probe rechnet nicht einmal Landis. Mit dem Resultat ist voraussichtlich in einer Woche zu rechnen. Der Spanier Oscar Pereiro betonte, lieber Zweiter der Tour bleiben zu wollen, als nachträglich zum Sieger erklärt zu werden.

Und so konstatieren die Radsportfans nicht nur in Europa, dass man heutzutage wohl keiner athletischen Leistung mehr trauen kann. Auch die großen seriösen Tageszeitungen Amerikas, die „Los Angeles Times“ und die „New York Times“, reagierten schockiert. Zuerst sei es der Rekord-Schlagmann im Baseball, Barry Bonds, gewesen, dann die Sprinterin Marion Jones – und jetzt noch Landis, den die Nation erst zwei Tage zuvor als Nachfolger Armstrongs und als erfrischendes neues Gesicht unter den US-Sportstars gefeiert hatte. „Die Versuchung ist groß, zynisch zu werden und einfach hinzunehmen, dass es keine Spitzenleistung ohne Doping mehr geben kann“, schrieb Times-Kolumnist William Rhoden. Selbst Lance Armstrong könne man nun wohl nicht mehr trauen. „Im Windschatten von Floyd Landis’ Leistung und seinem Dopingtest müssen wir uns fragen, ob Armstrong wirklich ein Superheld war oder nur ein Betrüger, der sich nicht hat erwischen lassen.“ Diesen Gedanken hat sich in den USA bislang kaum jemand zu formulieren gewagt. Nur das „Time Magazine“ hatte in seinem Bericht über den Skandal zu Beginn der Tour erstmals gewagt, Fragen zur Glaubwürdigkeit Armstrongs zu stellen. Ansonsten waren die Vorwürfe aus Frankreich in der US-Öffentlichkeit versickert. Armstrongs PR-Strategie, die Beschuldigungen als Anti-Amerikanismus und kleingeistige Missgunst darzustellen, war aufgegangen. Noch immer gibt es in den USA einige, die sich zumindest wünschen, dass ihr neuer Radsportheld sauber ist. „Floyd beteuert seine Unschuld. Ich würde ihm so gerne glauben“, schreibt Austin Murphy vom einflussreichen Blog von „Sports Illustrated“ verzweifelt.

Auf Landis’ positive Probe angesprochen reagierte Armstrong mit jener Vorsicht, die man von Radsportlern in solchen Fällen gewohnt ist. „Ich weiß nur, dass es eine verdächtige A-Probe gibt. Sonst weiß ich nichts über Floyds Fall. Bevor es keine B-Probe gibt, habe ich dazu nichts zu sagen“, sagte der siebenfache Tour-Champion während einer Fahrradtour durch Iowa, bei der er Mittel für die Krebsforschung sammelt.

Landis war einst Helfer von Armstrong. Wie sein Chef nahm er die Dienste des italienischen Sportmediziners Michel Ferrari in Anspruch, der in Italien der Weitergabe von Dopingmitteln überführt wurde. Armstrong nimmt für Landis, wie im Übrigen auch Jan Ullrich für sich, die Unschuldsvermutung in Anspruch. Landis will nun seine Unschuld beweisen. Doch der Imageschaden für ihn, das weiß er, ist jetzt schon irreparabel: „Das wird nicht mehr weggehen, egal, was als nächstes passiert.“

Seiten 1, 2 und 27

Sebastian Moll

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