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Analyse: Hertha in der Misserfolgsspirale

Die Krise ist für die Berliner auch deshalb so schwer zu überwinden, weil sie sich selbst verstärkt. Ein vom Misserfolg geplagter Stürmer biete sich zum Beispiel kaum mehr für Zuspiele an, erklärt Kotrainer Christoph John. Deshalb braucht Hertha dringend Erfolgserlebnisse.

Berlin - Die Schussbahn Richtung Tor ist frei, der Ball fliegt in Kniehöhe auf Herthas Mittelfeldspieler zu. Einen halben Meter über dem Boden ist dieser schwierig zu verarbeiten. Doch anstatt ihn anzunehmen, zieht der Herthaner volley mit dem Vollspann ab. Der Ball fliegt in hohem Bogen über das Tor. Es waren gleich einige solcher Szenen im Testspiel gegen den Viertligisten Türkiyemspor vor einer Woche zu beobachten – die Herthaner probierten das Schwierigste, schafften häufig aber nicht einmal das Einfachste. Um heute eine Chance im Bundesligaspiel beim VfB Stuttgart zu haben, muss sich das ändern.

Kotrainer Christoph John hatte Hertha auf das Spiel gegen Türkiyemspor vorbereitet, während Cheftrainer Friedhelm Funkel auf Reisen war und gefahndet hat nach neuen Spielern, die dem Tabellenletzten aus seiner schwierigen Lage heraushelfen können. Herthas Kotrainer hat an der renommierten Sporthochschule Köln studiert, neben seiner Arbeit als Trainer beim 1. FC Köln. Im Gespräch reißt der 50-Jährige die Augen weit auf, sein Blick ist klar. Aktionen in denen Spieler den komplizierten Weg suchen, beschreibt John anschaulich. Angenommen, ein Spieler habe zwei Möglichkeiten, einen Pass zu spielen. Es gebe eine einfache und eine schwierige Variante des Zuspiels. Insbesondere Spieler, bei denen es nicht rund laufe, würden dazu neigen, das Schwierige zu probieren. Warum? „Weil sie mit dieser einen Aktion versuchen, die vielen schlechten vorher zu kompensieren. Und weil ein simpler Pass auch das Risiko eines simplen Fehlers in sich birgt“, erklärt John. „Bei einer komplizierten Aufgabe dagegen ist niemand sauer, wenn sie nicht gelingt.“

John spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Misserfolg-Vermeidungsstrategie. So kann es sein, dass ein vom Misserfolg geplagter Stürmer sich gar nicht mehr für ein Zuspiel anbietet, um eben nicht noch weiteren Misserfolg zu riskieren. Das Gegenteil davon ist eine erfolgsmotivierte Strategie, das beste Beispiel dafür ist – Hertha. Aber nicht die Hertha 09/10, sondern die aus der abgelaufenen Spielzeit, als um die Meisterschaft mitgespielt wurde. Da lief es genau umgekehrt, erzählt John. „Der Stürmer hat ein paarmal getroffen, er hat also den berühmten Lauf. Und weil er bei den vorangegangenen Situationen erfolgreich war, geht er wieder dorthin, um erneut Erfolg zu haben.“

Nur wie kann die Hertha der aktuellen Saison zur alten Strategie zurückkehren? Die Spieler bräuchten vor allem Bestätigung für gute Aktionen, um den Trend umzukehren. „Es wäre fatal, wenn wir unsere Spieler im Training auch noch niedermachen würden“, sagt der 50 Jahre alte John. Und deshalb sei Friedhelm Funkel in Herthas Lage der richtige Mann. „Er kennt diese Situation und macht deshalb instinktiv vieles richtig.“ Funkel spreche gerade mit den Profis, die besonders tief im Leistungsloch steckten. Und die glauben ihm – Funkel hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Bundesliga.

Um sich aus der komplizierten Lage zu befreien, sind andere Persönlichkeitseigenschaften gefragt als zum Beispiel in der vergangenen Saison. Schon unter Ex-Trainer Lucien Favre hatte ein Psychologe Tests mit den Spielern gemacht, um ihre Persönlichkeit zu ergründen. Diese Ergebnisse haben sich John und Funkel angeschaut, „die haben sich aber weitgehend mit unseren Beobachtungen gedeckt“, sagt John. Der Kotrainer hält eine dauerhafte Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen zur Wettkampfvorbereitung allerdings für sinnvoll. „Und zwar nicht nur in einer Krise oder aktuell aufgrund des tragischen Todes von Robert Enke.“ Ein Sportpsychologe würde dann genauso zum Team gehören wie ein Physiotherapeut, weil Spieler oftmals nur einen kleinen Teil ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit abrufen würden.

Der Kotrainer und sein Vorgesetzter werden ohnehin noch eine ganze Weile in Berlin bleiben. Schafft Hertha den Klassenerhalt, sind sie noch mindestens eine weitere Saison beim Verein angestellt. John ist davon ebenso überzeugt wie Funkel. „Friedhelm hat sich gerade einen Kleiderschrank nach Maß in seine Wohnung einbauen lassen. Das macht keiner, der nicht langfristig vom Erfolg überzeugt ist“, sagt John.

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