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Andy Murray

© - Foto: ddp

Andy Murray: Das Handgelenk der Nation

Großbritanniens Tennisgemeinde hofft, dass Andy Murray rechtzeitig zum Turnier in Wimbledon fit wird.

Von Markus Hesselmann

Sein erster Auftritt in Wimbledon 2007 wurde typisch britisch vorbereitet: „Was wettest du?“, fragte ein britischer Tennisjournalist den anderen. „Yesyesyes!“, war die Antwort. „Ich rechne eher mit einem ,Vielleicht‘.“ Es ging um das Handgelenk der Nation: Wird der seit Wochen an der rechten Hand verletzte schottische Tennisstar Andy Murray rechtzeitig fit, um beim Auftakt des Turniers in Wimbledon am Montag dabei zu sein? Das war die wichtigste Frage, als sich Murray gestern in Wimbledon vorstellte. Die bangende Sportnation bekam ein „Vielleicht“ zu hören mit einem leichten Hang zum „Yes“. „Ich plane zu spielen“, sagte Andy Murray. „Ich spüre beim Training zurzeit keine schmerzhafte Reaktion an der verletzten Sehne.“ Die endgültige Entscheidung falle aber erst am Montagmorgen. In der ersten Runde soll Murray gegen den Ekuadorianer Nicolas Lapentti antreten.

Verzweifelt warten die Briten seit Jahrzehnten auf einen neuen Tennishelden, der bei ihrem ureigenen Turnier im Südwesten Londons auftrumpfen kann. Seit Fred Perry im Jahr 1936 hat kein Einheimischer mehr in Wimbledon gewonnen. Mit einigen starken Auftritten hatte Murray seinen Landsleuten im vergangenen Jahr zumindest Hoffnung auf Besserung gegeben. Während die britischen Tennisfans von Tim Henman nach Jahren der Mittelmäßigkeit nicht mehr viel erwarten, steht nun Murray im Blickpunkt. Er ist zwar Schotte, doch in den Individualsportarten ist das – anders als zum Beispiel im Fußball oder Cricket – nicht so wichtig. Trotz aller separatistischen Tendenzen im Norden der Insel spielt Murray eine gesamtbritische Rolle. Zum Beispiel als Botschafter für die Olympischen Spiele in London 2012.

Belastet ihn die Erwartungshaltung seiner Landsleute? Verleitet sie ihn womöglich sogar dazu anzutreten, ohne richtig fit zu sein? „Es gibt für mich keinen zusätzlichen Druck“, sagt Murray. „Wenn ich glaube, nicht mein bestes Tennis spielen zu können, dann trete ich nicht an.“ Was kann der 20-Jährige schon dafür, dass es so lange in Wimbledon nichts zu holen gab für sein Land? Exakt 100 Jahre ist es her, dass mit dem Australier Norman Brookes zum ersten Mal ein Nichtbrite „The Championships“ gewann. Nach 30 Jahren Wimbledon war die Vorherrschaft der Gastgeber gebrochen. Seitdem gelang nur noch zwei Einheimischen der Sieg in Wimbledon: Arthur Gore gewann 1908 und 1909 und eben Fred Perry dreimal hintereinander von 1934 an, die letzten beiden Male gegen den Deutschen Gottfried von Cramm.

Die historisch überdimensionierten Erwartungen seiner Landsleute prallen bei Murray an einer Schutzhülle aus Lässigkeit ab. Fast gelangweilt blickt er in die Runde. Wenn er Dinge sagt wie: „Wimbledon war mein großes Ziel. Dafür wollte ich fit werden“, dann hört sich das vom Tonfall her an, als bitte er eine der Wimbledon-Hostessen um eine Flasche Mineralwasser. Schon bei seiner Vorstellung als Olympiabotschafter unlängst in London wirkte der schlaksige Schotte in einer Reihe mit Medienprofis wie Organisationschef Sebastian Coe oder Chelseas Trainer José Mourinho wie ein Schüler, der bei der Abiturfeier in der Aula etwas sagen soll, die ganze Veranstaltung aber eigentlich für überflüssig hält.

Doch dann kommt doch noch so etwas wie Begeisterung auf, als Murray auf seine Leistungen des Vorjahres angesprochen wird. Damals schlug er den favorisierten Amerikaner Andy Roddick in der dritten Runde in drei Sätzen, bevor er im Achtelfinale gegen den Zyprioten Marcos Baghdatis unterlag. „Es war eine großartige Erfahrung für mich, jedes Match auf dem Centre Court zu spielen. Ich habe dieselbe Energie jetzt schon wieder gespürt“, sagt Andy Murray – und gibt der Sportnation Großbritannien zumindest ein bisschen Hoffnung.

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