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Schmerzhafter Fehlgriff. Turner Philipp Boy stürzte am Reck. Foto: dpa

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Sport: Angeknackste Träume

Nach einer Verletzung und einem Sturz in der Qualifikation muss der deutsche Turner PHILIPP BOY seine Olympia-Hoffnungen begraben.

Es gibt viel mehr Träume als Medaillen bei den Olympischen Spielen. Das macht die Träume so groß und schwer erfüllbar. Manche Träume zerfließen langsam und dadurch vielleicht weniger schmerzhaft, andere platzen ganz plötzlich. Philipp Boy konnte sogar hören, wie sein olympischer Traum kaputtging. Es war ein Knacksen, schmerzhaft für seinen Fuß, aber vor allem für seine Seele, deshalb wird er dieses Knacksen wohl nicht so schnell vergessen.

Passiert ist es beim Sprung, dem ersten Gerät der deutschen Turner in der Qualifikation. Boy hörte das Knacksen im Fuß, musste bei der Landung noch seinen Stand mit einem Schritt korrigieren und humpelte dann von der Matte. Den Wettkampf turnte er zu Ende, aber angeknackst wie sein ganzer Fuß. Er flog sogar noch vom Reck, und hinterher stand er aufgelöst in Tränen da und versuchte, für das Geschehene Worte zu finden. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie beschissen es mir geht. Das Jahr ist für mich gelaufen.“

Boys olympischer Traum bestand aus mehreren Träumen, die auch nicht gerade klein waren. Ins Mehrkampffinale wollte er, ins Reckfinale, und wenn mit der Mannschaft noch was zu holen ist, auch gut. „Kein Mehrkampffinale, kein Reckfinale, jetzt will ich wenigstens mit der Mannschaft meine Medaille holen“, sagte er trotzig und wischte sich mit der Hand über die Augen. Doch auch das mit der Mannschaft am Montag (17.30 Uhr) wird schwer genug, gerade mit seinem Fuß. Eine Einblutung und Schwellung des Sprunggelenks hat der Mannschaftsarzt festgestellt, damit lässt sich turnen, aber wohl nicht gewinnen.

Philipp Boy aus Cottbus, 25 Jahre alt, wollte sich in London den Status in Olympiamedaillen auszahlen lassen, den er sich so hart erarbeitet hatte. Er war an Fabian Hambüchen vorbeigezogen, den alle für den deutschen Wunderturner halten, war zweimal Vizeweltmeister im Mehrkampf geworden, also in dem Wettbewerb, in dem der beste Turner der Welt gesucht wird. Da fehlte nur etwas Olympisches.

Die Qualifikation der Turner klingt so harmlos und ist doch der härteste Wettbewerb. Der mit dem größten Druck. Hier entscheidet sich, wer ein paar Tage später noch mal wiederkommen darf. Als Mannschaft. Als Mehrkämpfer. Als Gerätespezialist. Für ein Reckfinale hätte Philipp Boy seinen Fuß nicht unbedingt gebraucht, nur zur Landung, aber die Verletzung schien doch einen Platz in seinem Kopf besetzt zu haben. Als er beim Markelow-Element, einem kurzen Flug über das Gerät, nach der Reckstange griff, rutschte er ab und plumpste auf die Matte. Sein Gesicht verzog sich. Nicht vor Schmerz, sondern in der Gewissheit, eben viel von dem verloren zu haben, worauf er vier Jahre hingearbeitet hatte. „Stehgeiger“ nennen die Turner das Markelow-Element, er ist sozusagen ein Flugelement für Turner mit Flugangst, nichts Aufregendes. Und doch hat es Boy dabei erwischt.

Als Boy seine Tasche geschultert hatte und davongeschlichen war, bog Fabian Hambüchen um die Ecke. „Ich bin super zufrieden“, sagt er. Als Drittplatzierter das Mehrkampffinale erreicht. Das Reckfinale auch. So kann es weitergehen. Vor vier Jahren in Peking war es ihm ähnlich ergangen wie Philipp Boy. Gleich zwei Mal war er vom Reck gefallen, von Gold am Reck hatte er geträumt, weil er die schwierigste Übung einstudiert hatte, und von einer Mehrkampfmedaille. Am Ende war er mit Bronze am Reck nach Hause gefahren. Doch Hambüchen ist jetzt wieder da. Ob Boy in vier Jahren noch mal wiederkommt, weiß er nicht.

Mit Marcel Nguyen teilt sich Boy im olympischen Dorf das Zimmer, Nguyen hat ihn als zweitbester deutscher Turner aus dem Mehrkampffinale verdrängt und auch noch das Einzelfinale am Boden und am Barren erreicht. „Ich werde ihn erst mal in Ruhe lassen oder über etwas anderes mit ihm reden“, sagte Nguyen. Ihre Träume können die beiden nicht mehr teilen.

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