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Unter Druck: Angelique Kerber wird am Freitag 25 Jahre alt. Sollte sie in Melbourne dann schon ausgeschieden sein, wäre das nicht nur für sie selbst eine große Enttäuschung.

© dpa

Angelique Kerber: Auge in Auge mit dem Erfolgs-Hai

Für Angelique Kerber ist der Erfolg immer größer geworden. Das ist für sie sowohl faszinierend als auch beängstigend, denn bei den Australian Open in Melbourne bekommt sie nun vor allem die gestiegenen Erwartungen an ihre Leistung zu spüren.

Einfach mal abtauchen, mehr wünschte sich Angelique Kerber nach der letzten Saison gar nicht. Endlich einmal nicht mehr das ständige Ploppen von Tennisbällen hören und keine Stimmen, die ihr wieder und wieder sagten, sie müsse doch bald mal ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Es zog sie unter Wasser, hinunter in eine neue Welt. Sie gönnte sich einen Tauchkurs auf den Malediven und genoss jede stille und friedliche Minute – bis ihr plötzlich ein Hai begegnete. „Ich habe nichts mehr gedacht“, erzählt Kerber, „und ich hatte irgendwie keine Angst. Ich habe ihn nur angeschaut.“ Kaum mehr als zwei Meter sei der Meeresräuber von ihr entfernt gewesen. Doch erst, als sie wieder aus dem Wasser heraus war, wurde ihr bewusst, „dass das wohl doch gefährlich gewesen ist“. Und ihre Knie wurden etwas zittrig.

Als Kerber die Geschichte in Melbourne nach ihrem 6:2 und 6:4-Sieg über die Ukrainerin Elina Switolina in der ersten Runde der Australian Open erzählte, da hatte sie inzwischen erfahren, dass es sich wohl um eine Haiart handelte, die Menschen eher nicht gefährlich wird. Dennoch wirkte die Episode wie eine seltsame Parallele zu ihrer Karriere. Vor einem Jahr war Kerber auch in eine neue, bunte Tour-Welt eingetaucht, jene nämlich, die nur den besten Spielerinnen vorbehalten ist. Sie gehörte jetzt dazu, berauschte sich an Siegen und Glücksmomenten und schließlich war der Erfolg immer größer geworden und begegnete ihr wie der Hai im Indischen Ozean: auf eine Art faszinierend und doch beängstigend zugleich. „Die Situation ist Neuland für mich“, sagt Kerber, „ich muss mich erst daran gewöhnen, dass alle etwas von mir erwarten.“

Die Medien, das eigene Umfeld, die Spielerkolleginnen, ja sogar wildfremde Leute – sie alle setzen Kerber unter Druck. So empfindet sie es zumindest: „Jeder sagt mir: ,Deine Auslosung ist ja leicht, da musst du doch weit kommen.‘ Oder: ,Wann gewinnt sie denn endlich einen Grand Slam? Worauf wartet sie noch?‘ Das kommt alles von außen.“ Doch wäre es ihr lieber, die Schlagzeilen würden anderen gelten und niemand traue ihr den großen Wurf zu? „Nee“, sagt Kerber und grinst. Sie will ja das alles. Sie will den Druck, will zu den Besten gehören. Und sie will den Grand-Slam-Titel. Aber es macht sie nervös. Und in den Tagen von Melbourne ist ihr diese Anspannung erstmals deutlich anzumerken. Kerber versucht zwar, es mit ihrer freundlichen Art zu überspielen, es wegzulächeln. Nur gelingen tut es ihr nicht. Dabei zählte man sie schon bei den vergangen Grand-Slam-Turnieren zu den Favoritinnen, und sie sich auch. Doch da befand sie sich in diesem elitären Kreis noch in einer sicheren Außenseiterrolle. Das ist nun anders. „Ich war noch nie so hoch gesetzt“, sagt Kerber, „das ist noch mal ein ganz anderes Level an Druck.“

Sie ist die Nummer fünf der Welt nach einer Saison, die wie im Rausch für die 24-Jährige verlief: 82 Matches, 60 Siege, zwei Titel, zwei Endspiele, sechs Halbfinals – seit Steffi Graf in der Saison 1996 war keine Deutsche mehr so gut gewesen. „Es ging alles so schnell“, sagt Kerber, es war ein Aufstieg wie im Zeitraffer. Aber die Sorge, wieder abzustürzen, schwingt stetig mit. Und mancher Neider wartet darauf, dass sie es tut. „2013 wird mein Bestätigungsjahr“, sagt sie. Doch die Angst zu versagen lässt ihre Nerven flattern, wie phasenweise gegen Switolina. Die 18-Jährige ist die Nummer 127 der Rangliste und eine Unbekannte, so wie Kerber es mal gewesen ist. Eine, die in der ersten Runde eines Grand Slams einfach frech gegen eine Favoritin aufspielt, weil sie nichts zu verlieren hat. So wie es Kerber früher auch machte. „Vor zwei Jahren ist es noch so anders gewesen, eine erste Runde zu gewinnen“, sagt Kerber fast ein wenig wehmütig. Manches war damals eben noch unbeschwerter. Aber eintauschen möchte sie ihr Leben mit dem von einst nicht mehr. Sie hat genug Mut, sich ihren Ängsten zu stellen. „Wenn ich nach dem Turnier ein Zeitfenster finde, gehe ich auf jeden Fall wieder tauchen.“ Komme, was da wolle.

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