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Sport: Angriff der Viertelprofis

Eine Inselgruppe im Nordatlantik ist der nächste Gegner der deutschen Elf: Wie sich die Färöer auf die EM-Qualifikationsspiele gegen den Vize-Weltmeister vorbereiten

Von Detlef Dresslein

Torshavn. Es dauerte gut eine Stunde, bis es die Leute wirklich begriffen hatten. Die Menschen saßen zu Hause, vor dem Fernseher, als im September 1990 das erste Qualifikationsspiel zu einer Fußball-Europameisterschaft einer Nationalmannschaft der Färöer übertragen wurde. Das Spiel fand in Schweden statt, in Landskrona, und es schien die Menschen auf den Färöern nicht wirklich zu interessieren. Außer einer Niederlage war ja nicht viel zu erwarten.

Österreich bestimmte das Spiel. Die ganze Zeit. Doch die Herren Pacult und Herzog und Polster, sie trafen einfach nicht das Tor. Nach einer Stunde tauchten die Färinger plötzlich in der Hälfte der Österreicher auf. Torkil Nielsen, der Kaufmann und Schachmeister, erzielte die Führung. 1:0. Für die Färöer. Unfassbar. Als es vorbei war, da wurde es in der Hauptstadt Torshavn nur sehr zögerlich laut. Erst lange nach Spielschluss liefen die Menschen auf die Straßen. Es wurden immer mehr, viel mehr, sie umarmten sich und feierten die Nacht hindurch. Sie hatten es wirklich begriffen.

In jener Nacht saß der Russe Ivan Moskalenko in Moskau vor dem Radio und hörte die Nachrichten auf BBC World Service. Die Meldung des Resultats aus Schweden veränderte sein Leben. Er fing an, sich für diese Inseln im Atlantik, irgendwo zwischen Island und Schottland, zu interessieren. Er begann sogar die Sprache zu lernen, und er ist heute einer von etwa vierzig Auswärtigen, die färingisch sprechen. Vor sieben Jahren kam der junge Mann erstmals auf die Inseln, mittlerweile als Journalist für einen Moskauer Radiosender. Er sollte über das Länderspiel zwischen den Färöern und Russland berichten. Und er blieb. Heute heißt er Ivan Eginsson, besitzt die färingische Staatsbürgerschaft und arbeitet als Verwalter bei einer Frachtgesellschaft in Torshavn. „Ich war in vielen Ländern der Erde", sagt er. „Aber keines ist wie die Färöer.“

Ein Parlament gibt es hier. Ein Sinfonieorchester. Der Sieg über Österreich aber war so etwas wie die Proklamation eines Staates gewesen. Seit jenem Tag wurden die Färinger noch selbstbewusster und forcierten die Ablösung von Dänemark. Eginsson ist auch Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung und er weiß, welche enorme Hilfestellung der Fußball gibt. „Der Fußball macht uns bekannt, anders als etwa Liechtenstein oder San Marino. Man kennt uns nur wegen des Fußballs."

Für eine Gruppe junger Fans um den Fischer Niclas Davidsen war jene Nacht eine besondere. Sie waren sich einig: Solche Siege muss man zu Hause feiern. Ein Nationalstadion musste her, das auch den Regeln des Weltverbands Fifa entspricht, und das es möglich machte, nicht mehr nach Schweden ausweichen zu müssen. Auf den Färöern gab es einige Kunstrasenplätze. Aber keinen Naturrasen. Das liegt an den Atlantikwinden. Bäume wollen nicht so recht wachsen, ein Rasenplatz wäre dem Wind schutzlos ausgeliefert. Und dann der Regen: Er fällt reichlich, nicht nur von oben, sondern auch von links, von rechts, vorne oder hinten. Je nach Windverhältnissen sogar von unten.

Davidsen und seine Kumpels fingen an zu bauen, hoch über Toftir, etwa eine Stunde mit dem Auto von Torshavn entfernt. Sie sprengten einen Felsen. 200 000 Tonnen Gestein. Für einen Fußballplatz.

Nun hatte sie auf den Färöern einen Rasenplatz, wenn auch einen so kleinen, dass er gerade so den Richtlinien der Fifa entspricht. Eine Tribüne wird vom Felsen überragt. Auf ihm grasen die Schafe, von denen es hier ohnehin mehr gibt als Menschen. 80 000 Schafe soll es auf den Inseln geben.

Die Fußball-Nationalmannschaft erzielt keine schlechten Ergebnisse. Eine Sensation aber wie damals gegen Österreich, sie gab es nie wieder. Gemessen an der Bevölkerungszahl von 47 000 Einwohnern und den widrigen Bedingungen ist das Interresse am Fußball enorm. Praktisch jeder der kann, der spielt auch Fußball. Es gibt rund 5500 registrierte Fußballspieler. Eine solche Quote von mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ist weltweit einmalig. „Die Bevölkerung ist verrückt nach Fußball", sagt Nationaltrainer Henrik Larsen. „Aber hier gibt es ja auch kaum etwas anderes. Zwei Kinos, aber viele Kunstrasenplätze.“

Larsen, 36, ist seit Mai Trainer der Inseln. Der ehemalige dänische Nationalspieler und Europameister von 1992 wurde von seinem Vorgänger Allan Simonsen empfohlen, der nach acht Jahren auf den Färöern nach Luxemburg wechselte. Simonsen hat die Professionalität auf die Färöer gebracht. Bis vor zwei Jahren gab es an die zehn Auslandsprofis von den Färöern, aber wegen der Rezession im Fußball sind derzeit nur zwei Nationalspieler in anderen Ligen aktiv: Ersatztorwart Jakup Mikkelsen bei Molde in Norwegen und Christian Hogni Jacobsen bei Vejle in Dänemark. Der Star der Inseln, Todi Jonsson, der beim FC Kopenhagen spielt, hat seine Karriere beendet. Die Hoffnung heißt Ingi Hojsted, er ist 16 Jahre alt und spielt in der Jugend von Arsenal London.

In der Infrastruktur hat sich einiges getan. Es gibt 18 Kunstrasenplätze und drei Rasenplätze, die sich die 22 Klubs teilen. Der Kunstrasen bewirkt, dass die Spieler technisch bestens entwickelt sind. Harte Kämpfer sind die Nachkommen und Verwandten der Fischer und Walfänger ohnehin. Bei einer Rundfahrt über die Inseln ist man erstaunt, wie die Färinger dieser welligen Landschaft, die kaum natürliche Ebenen besitzt und wo oft kaum ein kleines Häuschen Platz hat, immer wieder beachtliche Rechtecke für den Kunstrasen abringen. Hellgrüne und planierte geometrische Einsprengsel in Millionen Jahre alter, bergiger, moosgrüner und felsgrauer Landschaft. So wie in Eidi, wo der Erstligist Streymur spielt und der Platz direkt neben dem Atlantik liegt. Bei Sturm spritzt die Gischt des Meeres auf die Tribünen. Im Stadion von Gota, gleich neben einem Hafen, riechen die Fans den Gestank des Diesels von den Schiffen. Und sie riechen den Fisch.

Die nationale Liga ist ein überschaubarer Betrieb. Die Klubs haben bis zu vier Herrenmannschaften, die sich auf fünf Divisionen verteilen. Die Spieler sind „Viertelprofis", sagt Ivan Eginsson. „Sie bestreiten ein Viertel ihres Einkommens mit Fußball." Es gibt Lehrer, Architekten, Lastwagenfahrer und viele, die irgendwas mit der Fischindustrie zu tun haben. Auch drei Brasilianer sind hier gelandet. Der Präsident des B68 Toftir, gleichzeitig Besitzer der lokalen Fischfabrik, hatte es sich vor Jahren in den Kopf gesetzt, Brasilianer zu beschäftigen. Über einen Spielervermittler kamen schließlich sechs auf die Inseln, von denen drei noch heute hier spielen. Sie heißen Marlon, Messias und Marcello, waren in Brasilien in der dritten Liga aktiv und spielen von April bis Oktober in Toftir Fußball. Nebenbei arbeiten sie in der Fischfabrik. Im Winter geht es dann zurück nach Brasilien.

Der heimische Ligabetrieb ist zweitrangig. Alles Interesse gilt der Nationalmannschaft. 3000 färingische Fans werden wohl nach Hannover zum Länderspiel gegen die Deutschen am Mittwoch reisen, viele aus Dänemark. „Wir haben keine Chance, eher wird es uns so gehen, wie Saudi-Arabien bei der WM“, sagt Trainer Larsen. Deutschland siegte 8:0. Im Tor wird Jens Martin Knudsen stehen, der letzte Verbliebene des 12. September 1990. Die Pudelmütze, die er wegen einer Ohrenentzündung aufsetzte, später als Glücksbringer, die trägt er seit 1993 nicht mehr. „Die Leute nahmen mich nicht ernst", sagt er. Auf den Kollegen Oliver Kahn freut er sich. „Für ihn wird es schwerer als für mich, denn er wird viel weniger zu tun haben. Torwart bei einer Mannschaft wie den Färöern zu sein, das ist ein toller Job."

Vielleicht können die Färinger in Hannover die Faszination dieser Inseln vermitteln. Gerade an Tagen, an denen es von unten regnet, ist es so unbeschreiblich. Ivan Eginsson, der junge Mann aus Moskau, sagt: „Das ist ist eine ungewöhnliche Art von Fußball. Es ist … romantisch.“

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