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© Davids

Angriffsprobleme: Hertha fackelt im Sturm

Allein Mittelfeldspieler Gojko Kacar kaschiert mit seinen Toren Herthas Probleme im Angriffsspiel.

Im Eifer des Gefechts sah sich Gojko Kacar in eine Rolle gedrängt, die ihm eigentlich überhaupt nicht liegt. Nach seinem Tor zum 1:2 war Herthas Mittelfeldspieler über die Bande gehüpft, in der Pose des Triumphators baute er sich vor der Kurve auf – es war die Kurve mit den Fans von Borussia Mönchengladbach. Wut und Hass schlugen ihm entgegen. Kacar als Einzelkämpfer gegen die breite Masse, einer gegen Zehntausend: Es war ein symbolisches Bild, auch wenn Kacar es im Nachhinein am liebsten kräftig retuschiert hätte. „Die Fans haben gedacht, die Geste war gegen sie gerichtet. Das war sie nicht. Sie haben ihre Mannschaft sehr gut unterstützt“, sagte er über seinen Ausflug auf feindliches Terrain. „Es war ein Reflex. Es tut mir leid.“

Abseits des Platzes gibt sich Kacar unbedarft wie ein Bauernjunge aus der Westschweiz; er spricht dann, als habe Lucien Favre, der Trainer von Hertha BSC, ihm einen Chip mit erlaubten Redensarten implantiert: Der Einzelne zählt nichts, nur die Mannschaft, alle elf Spieler müssen Chefs sein, nicht einer allein. Im Spiel aber tritt der Serbe mit der Attitüde eines Kriegers auf. Er stürzt sich in die Zweikämpfe, klaut Bälle, ist lästig wie eine Klette – und er schießt Tore. Nach zwei Spieltagen der Fußball-Bundesliga hat der defensive Mittelfeldspieler Kacar alle Tore für die Berliner erzielt. „Wenn das System funktioniert, kann jeder Tore schießen“, sagt er. Ein Satz, auf den vermutlich Favre das Copyright besitzt.

Die Beobachtung ist ja nicht falsch. Schon in der vorigen Saison haben sich die Berliner ein Stück von der Dominanz ihres Sturms emanzipiert. 17 Tore erzielten die Mittelfeldspieler, fast genauso viele wie Marko Pantelic und Andrej Woronin zusammen (18). Von Favre wird dieser Prozess nach Kräften gefördert. Nach dem 1:0-Sieg zum Saisonstart gegen Hannover sagte er: „Das Mittelfeld hat wieder getroffen. Das ist gut.“ Nach der 1:2-Niederlage in Mönchengladbach und Kacars zweitem Saisontor hatte sich die Perspektive allerdings etwas verschoben. Das allgemeine Empfinden war: Der Sturm hat wieder nicht getroffen. Das ist schlecht.

„Ich weiß nicht, ob uns ein richtiger Torjäger fehlt“, sagte Kacar. „Aber wir müssen auf jeden Fall mehr Tore schießen.“ Artur Wichniarek war eigentlich für dieses Fach vorgesehen, eingedenk seiner Berliner Vorgeschichte besitzen dessen Auftritte in Herthas Trikot inzwischen fast tragikomische Züge. Gegen Hannover rutschte er nach zwei Minuten um Zentimeter an seinem ersten Tor vorbei, in Mönchengladbach verpasste er ebenso knapp den Ausgleich. „So ist es bei einem Stürmer“, sagte der Pole. Mal läuft es von alleine, dann wieder geht alles schief – und niemand weiß, warum. „Artur muss seine Position noch finden“, sagte Favre.

An Eifer mangelt es Wichniarek nicht. Er lief viel, bot sich oft an, umkreiste den Gladbacher Strafraum aber immer mit gebührendem Abstand. „Es hat ein wenig die Überzeugung auf den letzten 30 Metern gefehlt“, sagte Herthas Trainer ganz generell. Das traf im Speziellen auch auf Wichniarek zu. Ganze vier Zweikämpfe bestritt er bis zu seiner Auswechslung, einen einzigen entschied er für sich. Sein Partner Raffael drängte sich auch nicht in den Vordergrund. Der Brasilianer spielt ohnehin am liebsten im Schatten. Gegen Gladbach eroberte er einige Bälle im Mittelfeld, seine Ecken waren ebenso gefährlich wie seine Fernschüsse, Aufruhr im gegnerischen Strafraum konnte aber auch Rafael nicht auslösen. Und Waleri Domowtschiski, nach Chermitis Abgang der letzte verbliebene Stürmer, ist bei Favre weiterhin nur für die Rolle des Einwechselspielers gebucht. „Er spielt richtig und arbeitet gut“, sagte Herthas Trainer. Warum er nicht einmal eine Chance von Anfang an bekommt, sagte er nicht.

„Unsere Stürmer brauchen Vertrauen. Irgendwann machen sie die Tore“, glaubt Kapitän Arne Friedrich. „Aber es wäre schön, wenn wir noch einen bekommen könnten.“ Die Suche nach einem Angreifer genießt bei Hertha jetzt höchste Priorität. „Wir arbeiten daran“, sagte Manager Michael Preetz. Favre bestätigte, dass er regelmäßig in Kontakt mit Andrej Woronin steht, der am Sonntag bei Liverpools 1:2-Niederlage gegen Tottenham bis kurz vor Schluss auf der Bank saß. Die Chance auf eine Rückkehr des Ukrainers ist aber gering. „Unsere Finanzen sind limitiert“, sagte Favre. Bis auf Weiteres muss sich die Mannschaft mit dem vorhandenen Personal behelfen. „Es wird schon jemand treffen“, sagt Gojko Kacar.

Notfalls Gojko Kacar.

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