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Sport: Angst und Bange

Nach der grausamen Hinrunde verlangt Herthas Manager Dieter Hoeneß nun von den Spielern Opfer

Von Stefan Hermanns

und Klaus Rocca

Köln/Berlin. Die beste Nachricht des Abends wurde mit dem Meckern eines Ziegenbocks angekündigt. Im Müngersdorfer Stadion wird auf diese Weise signalisiert, dass auf einem anderen Platz der Fußball-Bundesliga ein Tor gefallen ist. Es war 21.41 Uhr, als auf der Anzeigetafel das 3:2 des Hamburger SV bei Eintracht Frankfurt vermeldet wurde, und in diesem Augenblick hatte Hertha BSC in der Tabelle einen Satz vom letzten auf den vorletzten Platz gemacht. Der Satz war so klein, dass selbst der gescheiterte Interimstrainer Andreas Thom sagte: „Es ist das Schlimmste eingetreten, was passieren konnte.“

Hertha BSC überwintert auf einem Abstiegsplatz, und mit dem 0:3 beim bisherigen Tabellenletzten 1. FC Köln haben sich die Berliner diese Platzierung auch redlich verdient. „Wir haben 13 Punkte aus 17 Spielen geholt, das sagt alles“, sagte Denis Lapaczinski. Der Auftritt in Köln wies alle Symptome eines hochgradig gefährdeten Abstiegskandidaten auf: eine mutlose Aufstellung des Trainers, eine durchgehende Verunsicherung und die allgemeine Resignation zum Schluss. Der Kölner Andrej Woronin hatte bei den Berlinern „das Gefühl, dass die 60 Minuten Angst hatten“.

Herthas Halbzeitbilanz fällt erschreckend aus: Die Mannschaft hat die wenigsten Siege geschafft (nur zwei), die wenigsten Tore geschossen (15) und die schlechteste Tordifferenz (minus 18). „Ich bin einfach leer“, sagte Bart Goor nach dem freudlosen Abschluss eines freudlosen Jahres.

Wenn man die grausame Hinrunde in einer Szene zusammenfassen wollte, könnte man das dritte Tor nehmen, das die Kölner am Mittwochabend erzielt haben: Herthas Torhüter Gabor Kiraly eilte bei einem Einwurf der Kölner an die Strafraumgrenze, versuchte dort vergeblich mit der Motorik eines Hampelmannes Matthias Scherz am Kopfball zu hindern, Niko Kovac drückte den Ball bei seiner Rettungsaktion gegen den Pfosten, von dort sprang er noch einmal gegen Kovac’ Körper und schließlich ins Tor. Ein bisschen Pech war auch dabei, aber vor allem Unvermögen und Selbstüberschätzung.

Ob der Kader zu schwach sei für den Abstiegskampf, wurde Denis Lapaczinski nach dem Spiel gefragt. „Von der Qualität her auf jeden Fall nicht“, antwortete er und folgte der immer noch herrschenden Meinung, dass Herthas Mannschaft eigentlich zu gut ist für ihre aktuelle Platzierung. Es ist eine gefährliche Einstellung. Sie hat dazu geführt, dass Huub Stevens seinen Trainerjob verlor, dass alle glaubten, ohne Stevens werde es automatisch besser – und dass schließlich auch Andreas Thom gescheitert ist.

Es gibt jedenfalls wenig, das die Ansicht von der eigentlich ausreichend gut besetzten Mannschaft stützt. Torhüter Kiraly macht inzwischen so viele Fehler, dass niemand mehr von einer temporären Formkrise sprechen kann. Fredi Bobic, immerhin Nationalspieler, schoss gegen Köln nicht ein einziges Mal aufs Tor. Immer mehr aber erweist sich Marcelinho als Herthas größtes Problem: Am Anfang der Saison war er das Problem, weil er verletzungsbedingt fehlte; jetzt ist er es, weil er spielt.

Der Brasilianer ist sicher ein begnadeter Fußballer, aber er ist kein großer Spieler. Marcelinho spielt sein eigenes Spiel, und es wird immer deutlicher, dass er Hertha davon nicht mehr profitieren lassen kann. In der vergangenen Saison hat Marcelinho 14 Tore geschossen und zwölf vorbereitet; in den acht Einsätzen in dieser Saison kommt er auf gerade zwei Vorlagen. Marcelinho kennt keine taktischen Vorgaben; das kann für den Gegner manchmal verwirrend sein. Aber die Freiheit des Einzelnen verlangt in seinem Fall von den Vielen eine hohe Disziplin. In der aktuellen Situation jedoch sind Marcelinhos Mitspieler offensichtlich nicht mehr in der Lage, diese Disziplin aufzubringen, weil sie mit sich selbst schon genug zu tun haben.

Manager Dieter Hoeneß hat den Spielern in dieser Saison schon mehrmals Konsequenzen angedroht, bis hin zum Rauswurf. Nach Marcelinhos jüngster Eskapade, dem Disko-Besuch, passierte – nichts. Anstatt den Brasilianer auf die Tribüne zu verbannen, hat Hoeneß versucht, jegliche Diskussion zu diesem Thema zu unterbinden, „damit sich die anderen nicht wieder hinter ihm verstecken können“. Für Marcelinho hat Hoeneß seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt.

Gestern nun, nach der Rückkehr, ließ Hoeneß nichts unversucht, Glaubwürdigkeit und Autorität zu demonstrieren. Das vorweihnachtliche Weißwurstessen wurde kurzerhand von der Menükarte gestrichen, stattdessen servierte der Manager „passende Worte ohne Zutaten“. Und er machte den Spielern nach ihrem „unansehnlichen Horror- und Beamtenfußball“ in Köln deutlich, dass er nun Opfer von ihnen erwarte, die weh tun. Kann nur heißen: Hoeneß verlangt von ihnen den Verzicht auf einen Teil ihres vertraglich vereinbarten Grundgehaltes. Spätestens beim Trainingsbeginn am 3. Januar erwartet er entsprechende Meldungen. Erscheinen müssen die Spieler schon einen Tag vorher, „sonst gibt es, wie bei anderen Disziplinlosigkeiten, saftige Geldstrafen“.

Kein Hehl macht Hoeneß daraus, dass er sich im Charakter des einen oder anderen getäuscht habe. In dem Zusammenhang nennt er auch Bobic und Kovac. In Köln hätten ohnehin nur Goor, Lapaczinski, Friedrich und, mit Ausnahme seiner Aktion beim dritten Tor, Kiraly gewinnen wollen. Harsche Worte von einem, der sagt, er mache derzeit „das Schlimmste durch , was ich in meinem Fußballleben bislang erlebt habe“.

Ab heute verhandelt Hoeneß mit den möglichen neuen Trainern. Was jetzt noch hilft? Eine gute Entscheidung.

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