zum Hauptinhalt

Sport: Ankunft der Popstars

In der Saison 2003/2004 stürmt eine neue Fußball-Generation vor: jung, selbstbewusst und medienerfahren

VOR DEM ANSTOSS: AM FREITAG BEGINNT DIE FUSSBALL–BUNDESLIGASAISON 2003/2004

Berlin. Als Uli Stielike neulich die Zeitung aufschlug, entdeckte er ein Foto, auf dem er einen seiner Spieler sah: oben ohne, mit einem 40 Zentimeter langen Tattoo auf dem rechten Oberarm und einer Jeans, die so tief hängt, dass die Marke der Unterhose zu lesen ist. So hatte der Trainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft Jermaine Jones zuletzt in der Umkleidekabine gesehen. Den 52-Jährigen lässt die jugendliche Pose seines Auswahlspielers gelassen. „Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er sich in der Unterhose zeigt“, sagt Uli Stielike, „Andreas Hinkel aus Stuttgart hat das nicht gemacht.“ Die Bundesligaspieler Sebastian Schweinsteiger, Markus Daun und Tim Wiese aber taten es Jermaine Jones gleich. Und präsentierten sich leicht bekleidet in einer „Bild“-Serie als „Boygroup Bundesliga“.

Es ist eine neue Generation, die in der neuen Bundesligasaison in den Mittelpunkt rückt. Sie ist jung, selbstbewusst und erfahren im Umgang mit den Medien. Die Spieler heißen Benjamin Lauth (TSV 1860 München), Kevin Kuranyi (VfB Stuttgart), Arne Friedrich (Hertha BSC) oder Jermaine Jones (Eintracht Frankfurt). Und sie sind bereits in jungen Jahren Stars ihrer Vereine. Tobias Rau, Sebastian Schweinsteiger und Markus Feulner zählen ebenfalls zu dieser aufstrebenden Generation. Nur konkurrieren sie beim FC Bayern München auf der Beliebtheitsskala mit alter Fußballprominenz wie Oliver Kahn oder Michael Ballack. Allen gemeinsam ist, dass sie ab Freitag beweisen müssen, dass ihr Aufstieg kein Zufall war.

„Ich hoffe, dass sie das bestätigen können, was sie in der letzten Saison gezeigt haben“, sagt Stielike. Er erwarte gar keine Leistungssteigerung von diesen Spielern, erklärt der ehemalige Bundestrainer. „Sie sollen die Leistung der letzten Saison bestätigen.“

Für die Stürmer Benjamin Lauth und Kevin Kuranyi dürfte das nicht einfach werden. Mit 15 Toren war der Stuttgarter bester Torschütze mit deutschem Pass in der Bundesliga. Lauth lag mit 13 Treffern nur knapp hinter ihm. Beide schossen sich in die Nationalmannschaft und die Herzen ihrer Fans. In dieser Spielzeit müssen sie die Hoffnungen ihres jeweiligen Klubs tragen. Die. die vorher dafür zuständig waren – Krassimir Balakow in Stuttgart und Thomas Häßler bei 1860 München –, haben sich verabschiedet. Kommt die neue Rolle als Star nicht zu früh für die 21-Jährigen? „Es kommt darauf an, wie sie damit umgehen und ob die Teamkameraden damit klarkommen“, sagt Stielike.

Der Aufstieg der Fußball-Generation, die zu Beginn der Achtzigerjahre geboren ist, gilt nicht als Zufall. Stielike sagt: „Wegen der finanziellen Misslage müssen sich die Vereine wieder mehr um ihren Nachwuchs kümmern.“ Dem Trainer der U21 kommt das gelegen. Auch in der zweiten Saison nach der Kirch-Pleite konnten die Vereine nur wenige spektakuläre Neuzugänge verpflichten (siehe Wechselliste). Viele Vereine wie der VfB Stuttgart setzen weiter auf den eigenen Nachwuchs. „Es wäre schön, wenn in der kommenden Saison noch andere Spieler hochkommen“, sagt Stielike.

Die jungen Spieler, die es zum Leistungsträger bringen, treffen auf eine Medienlandschaft, die Fußballspieler wie Popstars behandelt. „Das ist die heutige Zeit“, sagt Uli Stielike. „Das hat man doch bei David Beckham in Madrid gesehen, das war nicht mehr die Ankunft eines Fußballspielers.“ Es war ein Popkonzert. Allerdings liegt es auch an dem Spieler, ein bestimmtes Image abzulehnen oder anzunehmen. Der schüchterne Andreas Hinkel vom VfB Stuttgart hat sein Hemd angelassen, als ihn die „Bild“-Zeitung zum Fotoshooting bat. Volker Finke sagt: „Wichtig ist, wie gut du mit 25 als Fußballer bist, und nicht ob du mit 20 ein Fotoshooting bei der ,Bravo’ machst.“

Doch der schnelle Aufstieg kann auch ein Problem sein. „ Die Fallhöhe ist gigantisch geworden“, sagt Finke, „du machst drei gute Spiele und hast eine Boygroupgeschichte in der Zeitung, die dich wahnsinnig exponiert.“ Für die aktuelle Generation geht es in der kommenden Spielzeit darum, diesen Fall zu verhindern. „Das funktioniert nur über Leistung“ sagt Stielike.

Das gilt zum Beispiel für Jermaine Jones. Der 21-Jährige ist so einer aus der neuen Riege, der Schlagzeilen fördert. Mit Sprüchen wie: „Der FC Bayern kocht auch nur mit Wasser“ oder „Ich komme aus dem Ghetto“. Der Frankfurter Stürmer, der in der übernächsten Saison zu Bayer Leverkusen wechseln wird, hat erst zwei Bundesligaspiele absolviert. Trotzdem konzentrieren sich Fans und Öffentlichkeit auf ihn, wenn die Sprache auf den Aufsteiger Frankfurt kommt. Weil er als Typ aus der unauffälligen Mannschaft herausragt. Jermaine Jones ist im Frankfurter Arbeiter-Viertel Bonames aufgewachsen. Sein Vater, ein GI-Soldat, verschwand, als er sechs Jahre alt war. Die Mutter, eine Krankenschwester, musste die Kinder alleine großziehen.

Jermaine Jones ist wild, draufgängerisch und großspurig. Seine Unterhose kennt die Liga schon. Jetzt muss er Tore schießen.

Zur Startseite