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Geschafft vom Rennen, erschöpft vom juristischen Kampf. Nachdem sich Claudia Pechstein bisher erfolglos vor den Sportgerichten gegen ihre zweijährige Sperre wegen schwankender Blutwerte gewehrt hat, geht die Auseinandersetzung nun vor staatlichen Gerichten weiter. Das Oberlandesgericht München wird sich mit ihrem Fall wohl im Herbst befassen.

© Imago

Anwalt von Claudia Pechstein: „Der Sportler hat keine faire Chance“

Simon Bergmann ist der Anwalt von Claudia Pechstein. Im Interview spricht er über die Herrschaft der Sportverbände, das Unrecht im Sportrecht und die Millionenklage seiner Mandantin gegen den Eislaufverband.

Herr Bergmann, ist Jean-Marc Bosman eigentlich Ihr Vorbild?
Einerseits ja. Der ist gegen die Sportverbände vorgegangen und hat damit Geschichte geschrieben. Wir sind auch kurz davor, und es ist gut, dass diese ganze Verbandsherrlichkeit mal auf den Prüfstand kommt.

Sie haben mit Ihrer Mandantin Claudia Pechstein vor dem Landgericht München in erster Instanz erreicht, dass die Schiedsvereinbarung zwischen Verband und Athlet als unwirksam angesehen wurde. Das erschüttert das ganze Sportsystem.
Richtig, aber es geht uns um mehr. Deshalb sind wir jetzt in Berufung vor das Oberlandesgericht gegangen, und deshalb ist Herr Bosman andererseits auch ein abschreckendes Beispiel.

Warum?
Er hat zwar durchgesetzt, dass andere Fußballprofis nach ihm reich geworden sind, weil er das bestehende Transfersystem gekippt hat. Aber er selbst fand keinen Verein mehr und musste Arbeitslosenhilfe beantragen.

Auch Ihre Mandantin befindet sich im Spätherbst ihrer Karriere.
Ja, und sie hat durch die zu Unrecht erfolgte Dopingsperre einen immensen finanziellen Schaden erlitten. Die Klage lautet auf vier Millionen Euro Ausgleich für entgangene Einnahmen, Prämien, Sponsoren sowie für die erlittene Rufschädigung. Ihr geht es aber auch um Rehabilitierung. Wenn ihr ein deutsches Gericht in der Schadenersatzklage Recht gäbe, hieße das, dass ihre Dopingsperre vom Internationalen Sportgerichtshof Cas ganz offiziell ein Fehlurteil war.

Was inzwischen sogar der renommierte Dopingjäger Werner Franke sagt.
Ja, nur schade, dass er das nicht damals gesagt hat.

Könnte es Ihnen nicht auch so gehen wie Bosman: dass den Nutzen Ihres gerichtlichen Kampfes andere haben werden?
Wir wollen in der Tat nicht so enden wie Bosman. Wir haben in dem Verfahren ja drei Problempunkte. Der erste Punkt ist zunächst zu unseren Gunsten entschieden: Ein deutsches Gericht hat sich für zuständig erklärt, was in unserem Fall die höchste Hürde war. Man muss ja an sich dort Klage erheben, wo der Beklagte einen Wohn- oder Geschäftssitz hat. Wenn wir hier die ISU verklagen...

... den Eislauf-Weltverband...
... der die Dopingsperre verhängt hat, dann müssten wir das in Lausanne tun. Erfahrungsgemäß hegen Schweizer Gerichte eine gewisse Sympathie für die ansässigen Verbände. Das wäre ein klassisches Auswärtsspiel geworden. Und die sind bekanntlich schwerer zu gewinnen.

Warum sind Sie drum herumgekommen?
Wenn zwei Beklagte in unterschiedlichen Ländern sitzen, kann sich der Kläger aussuchen, in welchem Land er klagt. Mitverantwortlich für die Schäden unserer Mandantin war auch die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft, weshalb wir sie ebenfalls verklagen mussten.

Warum war die DESG mitverantwortlich?
Weil sie die Strafe umgesetzt hat. Pechstein wurde für zwei Jahre gesperrt. Dass sie in dieser Zeit nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen durfte, war klar. Aber was bedeutete das für das Training? Ein Radfahrer setzt sich auf sein Fahrrad und fährt in die Berge. Beim Eisschnelllaufen gibt es in Deutschland aber nur drei Hallen: Erfurt, Inzell und Berlin. Die DESG hat durchgesetzt, dass meine Mandantin an keiner Trainingsmaßnahme des Verbandes teilnehmen durfte.

Die Klage gegen die DESG eröffnete Ihnen also erst die Möglichkeit, in München zu prozessieren.
Bedeutsam daran ist, dass der Cas und die Schiedsklauseln des Sports nach meiner Kenntnis nie von einem Gericht außerhalb der Schweiz überprüft worden sind.

Der zweite Teilerfolg bei der Athletenvereinbarung

Das führte zu Punkt zwei, dem weit spektakuläreren Teilerfolg: Die Athletenvereinbarung ist nicht wirksam.
Jeder Sportler, der an einem Wettkampf teilnehmen will, muss vorher diese Klausel unterzeichnen. In dieser Vereinbarung steht, dass er das Regelwerk des Verbandes anerkennt und sich der Gerichtsbarkeit des Verbandes und des Cas unterwirft. Und diese Schiedsvereinbarung führt dazu, dass ein ordentliches, staatliches Gericht nicht angerufen werden darf.

Was ist denn, wenn ein Athlet die Schiedsvereinbarung nicht unterschreibt?
Dann wird er für die Wettkämpfe nicht zugelassen. Eindeutig, klipp und klar. Und wenn ich sie unterzeichne, unterwerfe ich mich einem Gericht, das mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht viel gemein hat. Umso wichtiger ist, dass das Landgericht München unserer Auffassung gefolgt ist und das auch noch mit einer sehr ausführlichen Begründung und nach einem schwierigen Start für uns.

Was meinen Sie damit?
Die Gegenseite hat ohne Probleme jemanden als Gutachter gefunden in Person von Ulrich Haas, der renommiert ist, aber sicherlich nicht unbefangen. Er sitzt in Zürich in einer Kanzlei mit Stephan Netzle, der bei uns Richter im Cas-Verfahren um die Dopingsperre war. So sieht man sich wieder. Die Sportrechtswelt ist klein, alle kennen sich, man duzt sich. Haas ist auch gemeinsamer Buchautor mit Dirk-Reiner Martens, der die ISU als Anwalt vertreten hat.

Von Ihrem Gutachter kennt man nicht einmal den Namen. Ist er geheim?
Er hat eine Woche vor Abgabe gesagt, dass er zwar weiterhin zu dem stehe, was er geschrieben hat, aber nicht möchte, dass sein Name genannt wird. Er sei so kritisch gegen die Sportverbände und die Schweizer Gerichtsbarkeit, dass er befürchte, künftig nicht mehr mandatiert zu werden. Als Sportrechtler in der Schweiz kann man wohl nur dann überleben, wenn man von den Verbänden Mandate bekommt. Das zeigt, wie schwer man es hat, sich in dieser Sportrechtswelt als Einzelner gegen die Verbände zur Wehr zu setzen.

Ist Ihnen so etwas auch in einem anderen Rechtsgebiet schon passiert?
Nein, das gibt es anderswo nicht. Die Sportrechtswelt ist eben monopolistisch

aufgebaut und wird von den Verbänden beherrscht. Alle, die entscheiden müssen, sind potenziell eher aufseiten der Verbände als auf der des einzelnen Sportlers. Weil es finanziell lukrativer ist. Schon bei unseren Blutgutachten im Dopingverfahren hatten wir es schwer, weil uns Experten sagten, sie würden von der Welt-Anti-Doping-Agentur beauftragt und könnten daher nicht neutral sein.

Also hat der Sportler noch bevor das juristische Rennen losgeht zehn Meter Rückstand?
Guter Vergleich. Die Richter beim Cas können Sie nicht frei auswählen. Sie sind auf einer geschlossenen Schiedsrichterliste. Diese Liste wird fast komplett von den Sportverbänden bestimmt. Auf den Vorsitzenden haben Sie als Sportler gar keinen Einfluss. Der ist aber oft entscheidend, da das Mehrheitsprinzip gilt, und der Vorsitzende die Verhandlung auch beeinflussen kann. Denn vergessen wir nicht: Wir reden hier nicht von einem staatlichen Gericht. Der Sportler hat also keine faire Chance.

Warum war dieses Sportrechtssystem dennoch so unangefochten?
Das Schweizer Bundesgericht hatte sich mehrfach mit der Frage der Wirksamkeit der Schiedsklausel beschäftigen müssen. Es sagte aber bisher immer, das Interesse an einem Cas – nämlich schnelle Erledigung, weltweite Gültigkeit und Sachverstand – mache es sinnvoll und notwendig, dass der Sportler Einbußen bei rechtstaatlichen Grundsätzen hinnehmen müsse. Das Schweizer Bundesgericht sagt auch, es sei ein Problem, dass kein Sportler diese Klausel freiwillig unterschreibe. Aber im Hinblick auf den Cas sehe man die Vorteile und diese würden die Nachteile für den Sportler überwiegen.

Mit welcher Begründung hat das Münchner Landgericht nun anders entschieden?
München sagt, wir kennen die Rechtsprechung aus der Schweiz, halten sie aber für falsch. Mittlerweile gibt es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das den Anspruch auf ein staatliches Verfahren zum Menschenrecht erklärt. Davon dürfe es nur ganz wenige Ausnahmen geben, also wenn man sich freiwillig unterwirft und wenn das Gericht, dem man sich unterwirft, rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht. Dazu gehört Öffentlichkeit, freie Auswahl der Schiedsrichter und Prozesskostenhilfe.

Jetzt könnte der Cas aber darauf reagieren und sich diesen Grundsätzen annähern.
Ich erwarte das sogar. Der Cas kann es sich nicht erlauben, das Münchner Urteil zu ignorieren. Zwar spielt ein deutsches Gericht für den Cas nicht die große Rolle, aber man riskiert viel. Einerseits werden deutsche Gerichte akzeptiert – schon wegen der Güte ihrer Rechtsprechung. Auch das Urteil ist nicht einfach mal daher geschrieben. Es ist sehr abwägend. Hinzu kommt, dass deutsche Sportler, die vor den Cas müssten, einwenden würden, dass diese Klausel unwirksam sei. Jeder würde zu einem deutschen Gericht gehen und auf die Entscheidung des Landgerichts München verweisen. Und schließlich machen solche Urteile schnell die Runde, das weiß auch der Cas. Wir haben der Kritik am Cas jetzt eine Stimme gegeben.

Pechstein dürfte es aber letztlich ums Geld gehen, nicht um die Stimme.
Verständlicherweise. Ihr erstes Interesse ist sicher nicht, Grundsatzurteile zu erreichen, aber anders geht es nicht.

Die eingeschätzten Erfolgsaussichten im Rechtsstreit

Halten Sie den Cas in Ihrem Sinn für reformfähig?
Das wird man sehen. Wenn man das Verfahren und die Urteilsgründe kennt, dann weiß man, dass der Cas kein Gericht ist, das objektiv über einen Fall wie unseren entscheiden kann. Das gibt es nirgends sonst, dass man seinen Fall vor dem gleichen Gericht noch mal beurteilen lassen muss, bei dem man schon einmal verloren hat.

Sehen Sie keine Vorteile an diesem sportrechtlichen Verfahren des Cas?
Doch. Nur muss dafür gesorgt werden, dass auch der Sportler eine faire Chance hat. Wir reden hier nicht von einer Alltagsentscheidung. Verbandsgerichte können ja wie bisher Punktabzüge im Tischtennis klären oder wie lange ein Fußballer nach einer Roten Karte aussetzen muss. Bei Verfahren aber, die existenzbedrohend sind, und das sind fast alle Dopingverfahren, geht das nicht mehr

Wie wird sich der Cas verändern können?

Zunächst einmal muss die Schiedsrichterliste offen sein und der Prozess öffentlich. Wir hatten Öffentlichkeit beantragt. Abgelehnt. Aber nur mit Öffentlichkeit kann ein Gericht überprüft werden. Unsere Gutachter wurden vor dem Cas ziemlich durch den Kakao gezogen. Mit kleinen Seitenhieben sollte ein Wissenschaftler nach dem anderen ausgehebelt werden. Das wäre nicht passiert, wenn die Öffentlichkeit zugeschaut hätte.

Was müsste noch passieren?
Prozesskostenhilfe ist wichtig. Und die Einsetzung des Vorsitzenden ist völlig intransparent. Außerdem gibt es eine Klausel im Cas-Code, wonach das fertige Urteil dem Cas-Generalsekretär vorgelegt werden muss und der das noch mal überprüfen kann. Der Cas-Generalsekretär wird indirekt von den Verbänden bezahlt, so wie der gesamte Cas. Ich kann ihn also wegen Befangenheit nicht ablehnen, weil er ja gar nicht zum dreiköpfigen Schiedsgericht gehört. Und der soll im Nachhinein nochmal über das Urteil schauen? Der könnte das Ganze kippen, was wiederum bedeutet, dass das Urteil schon so geschrieben wird, dass es ihm genehm ist. Eine solche Klausel würden Sie nie bei einem staatlichen Gericht finden.

Was ist mit Claudia Pechstein und ihrem Verfahren? Wird sie wirklich Geld sehen oder die goldene Ananas erhalten, den Cas reformiert zu haben?
Wir haben eine Grundlage für den Schadensersatz gegen die ISU. Diese liegt vor, wenn die ISU das Fehlurteil des Cas bewusst und schuldhaft herbeigeführt hat. Man spricht hier von Prozessbetrug. Wenn die ISU also ihr Urteil gegen Pechstein durch Betrug herbeigeführt hat.

Wie wollen Sie das belegen?
Das ist der entscheidende Punkt. Die ISU sagt: Was wollt ihr denn, wir haben Pechsteins Blutwerte genommen, sie von Wissenschaftlern begutachten lassen und Klage erhoben. Entschieden aber hat der Cas. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Das Landgericht hat gesagt, es könne das nicht überprüfen. Wir sagen jedoch, die Dopingsperre ist von der ISU rechtswidrig herbeigeführt worden, weil sie unter anderem ihre Fürsorgepflicht verletzt hat.

Aber wieso?
Wenn man eine Anklage erhebt, muss man erst einmal ermitteln. Dazu gehören auch entlastende Umstände. Wenn man nicht genug Fakten gesammelt hat, muss man die Anklage sein lassen. Die ISU wusste doch gar nicht, worüber sie spricht. Sie hatte die Blutwerte und zwei Wochen Zeit, um entscheiden zu können: Ist dies ein Dopingfall oder nicht? Ein Gutachter der ISU sagte, dass die Blutwerte nur mit Doping zu erklären seien. Ich weiß nicht, was im Hintergrund passiert ist. Erst im Laufe des Verfahrens kam heraus, dass es auch eine zweite Variante gibt: eine Blutkrankheit. Damit hat sich die ISU aber nie auseinandergesetzt. Das ist mindestens grob fahrlässig. Und was den Cas betrifft: Die Wada schreibt vor, dass nicht nur ein Blutwert entscheiden darf, sondern mehrere. Diese Richtlinie trat fünf Tage nach der Verhandlung in Kraft. Der Cas sagte aber, das interessiert uns nicht. Wenn das kein Beleg von Voreingenommenheit ist…

Haben Sie schon mal in einem Fall einen solchen sportlichen Ehrgeiz entwickelt wie in diesem?
Ehrlich gesagt: nein. Ehrgeiz entwickelt man oft, das muss man auch als Anwalt. Aber hier kommt einfach hinzu, wie es zu diesen Verurteilungen gekommen ist. Man fühlt sich wie in einem closed Shop. Sie werden zuvorkommend behandelt. Bonjour hier, Häppchen da. Sie werden auch in der Verhandlung gefragt, ob man gut behandelt worden sei. Und man merkt, dass Dreiviertel der Anwesenden sich kennen, die Richter, die Gutachter, klar auch die Anwälte. Und am Ende kommt dann so etwas dabei heraus.

Wie groß ist Ihr Optimismus noch?
Es gibt halt Fälle, die muss man machen, um etwas zu bewegen. Wenn Bosman mich damals nach seinen Erfolgsaussichten gefragt hätte, hätte ich ihm gesagt: keine Chance. Aber er hat gewonnen.

Wird Pechstein nicht in jedem Fall am Ende die Verliererin sein?
Ja. Die Rufschädigung werden sie nie wieder gutmachen können. Pechstein, die Dopingsünderin, das kriegen sie bei vielen Leuten nicht mehr raus. Oder es heißt: die mit der Blutmacke.

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