zum Hauptinhalt

Sport: Argentiniens Opfer

Beim 2:1 gegen die Elfenbeinküste setzt der Favorit auf Effizienz statt auf Schönspielerei

Noch einmal tobte der orangefarbene Orkan, acht Minuten lang, angetrieben von einem aufgekratzten Anführer. Didier Drogba war seinem Schatten Ayala für Sekundenbruchteile entwischt und hatte den Ball zum 1:2-Anschlusstreffer über die Linie gedrückt. Die 82. Minute lief, und der Mond schien nur deshalb in voller Rundung über dem Hamburger Fußballstadion aufgegangen zu sein, weil er Zeuge sein wollte bei diesem bemerkenswerten Ereignis. Mit heißen Herzen stürmte die Elfenbeinküste in ihrem ersten WM-Spiel der Geschichte in die Hälfte des zweifachen Weltmeisters, auf den Rängen bekreuzigten sich tausende Argentinier und fürchteten um den Sieg. Dann war Schluss, zu Ende das bisher beste Spiel dieses Turniers, und Drogba gestand: „Wir haben eine große Chance verpasst, wir müssen noch lernen.“

Auf der anderen Seite versammelte sich das argentinische Team, herzte sich ausgiebig, und jeder Einzelne sprach nur noch über „diesen sehr wichtigen ersten Sieg“ in dieser schweren Gruppe C, der noch Serbien-Montenegro und Holland angehören. Selbst der ansonsten wortkarge Trainer José Pekerman plauderte über seine tiefe Zufriedenheit, dankte allen Argentiniern, vergaß nicht Diego Armando Maradona zu erwähnen, der als Glücksbringer auf der Tribüne saß, und gab ansonsten zu bedenken, dass jedes Spiel für sich zu lesen sei.

Das war eine jener Pekerman’schen Ausführungen, die die heimische Presse erzürnt, weil mit diesen Worten das Rätsel nicht zu lösen ist, ob der Mann tatsächlich ein abgebrühter Taktikfuchs ist oder als vormaliger Nachwuchskoordinator überfordert sein könnte mit seiner Aufgabe, den WM-Titel zu holen. Schließlich hatte Argentinien noch gehörig zittern müssen, und so aufregend, temporeich und technisch anspruchsvoll das Spiel auch war, es provozierte die Frage: Wie stark sind die Argentinier wirklich? Vermutlich können sie die Räume im Mittelfeld enger machen und den Gegner früher stören, damit der sich nicht wie in der ersten Halbzeit eingeladen fühlt, mit den wundervollsten Kombinationen zu glänzen. Vermutlich können sie auch das Tempo höher halten und konsequenter nach vorne spielen als in Hälfte zwei praktiziert. Darüber aber wollte Pekerman nicht debattieren, vielmehr stellte er fest: „Wir haben verteidigt, was wir verteidigen mussten, es ging hier um den Sieg.“

Dieser Satz verriet immerhin, dass die Taktik der neuen Sachlichkeit und Kühle Argentiniens geschuldet war. Während das ivorische Mittelfeld durchweg mit schnellem Passspiel und technischen Feinheiten brillierte, begnügten sich die Argentinier damit zu tun, was Not tat. Tore schießen zum Beispiel. Abgesehen davon, dass Tizié wohl schon Ayalas wuchtigen Kopfstoß im Nachfassen hinter der Torlinie hervorholte (14.), traf Crespo genau zum richtigen Zeitpunkt, und dessen Sturmkollege beim FC Chelsea, Didier Drogba, analysierte korrekt: „Der Unterschied war, dass Argentinien die Tore machte, als es wichtig war.“ Und zwar in die Drangperioden der Elfenbeinküste hinein – wie beim 1:0 (24.).

Danach drehte die Elfenbeinküste richtig auf: perfekte Doppelpässe, schnelles Umschalten, starkes Zweikampfverhalten. Eine Chance nach der anderen ergab sich, aber ob Kalou, Keita oder Drogba, niemand schaffte den notwendigen Abschluss, und Trainer Henry Michel resümierte: „Meine Mannschaft hat vergessen, dass nach einem 0:1 auch noch ein zweites Gegentor fallen kann, sie hat nur noch nach vorne gedacht.“ Hinten aber tat sich die entscheidende Lücke auf, in die Riquelme einen genauen Pass schickte, den Saviola zum 2:0 nutzte (37.).

Aber die Ivorer ließen sich nicht abspeisen mit der Rolle des aufmüpfigen Außenseiters. Sie bedrängten ihren Gegner, bis der sich Blößen gab. Wenn Argentiniens Abwehr um Sorin und Ayala nicht Schwerarbeit verrichtet hätte, es wäre wohl anders ausgegangen. So aber blieb die Erkenntnis, dass die Spieler der Elfenbeinküste zu begeistern verstehen, es ihnen aber an Effizienz mangelt, und dass der Favorit in diesem Fall die Schönheit des Spiels dem Ergebnis opferte. Aber ist es nicht die Kunst, beides zu können: schön und diszipliniert? Pekerman würde antworten: Auch im nächsten Spiel geht es um den Sieg.

Zur Startseite