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Sport: Auf der Flucht vor dem Fluch

Die Schalker hadern mit übernatürlichen Mächten – dabei hat ihre Niederlage natürliche Ursachen

Auf dem Weg zum Mannschaftsbus wurde Charly Neumann noch in seiner Eigenschaft als Zeitzeuge befragt. Zeitzeuge der Geschichte von Schalke 04 zu sein, ist eine tragische Rolle. Denn zum wichtigsten Thema des Bundesliga-Betriebs, der deutschen Meisterschaft, müssen die Zeitzeugen sich 49 Jahre zurückerinnern. Die neuere Geschichte ist dagegen eine Geschichte des Leidens, auch für Neumann, 75 Jahre alt und Mannschaftsbetreuer der Schalker. Mit Tränen in den Augen beschwerte er sich nach dem 0:2 in Dortmund beim Fußballgott, der wieder einmal bewiesen hätte, dass er doch kein Schalker sei. „Der hat uns wieder mal im Stich gelassen“, sagte Neumann und schien nur noch an eines zu glauben: Der Fluch ist wieder hinter ihnen her, der Fluch, nicht mehr Deutscher Meister werden zu können.

Dieser Gedanke ist auf Schalke seit 2001 Ursache für alles Scheitern. Damals, als ihnen am letzten Spieltag und in letzter Minute der Titel vom FC Bayern weggeschnappt wurde und die Westfalen nur untröstlicher „Meister der Herzen“ waren, hatten sie sich über die unzureichende göttliche Einflussnahme beschwert. Der frühere Manager Rudi Assauer hatte damals den Hauptschuldigen ausgemacht. Spätestens seit diesem Zeitpunkt glauben sie rund um den Schalker Markt an diese Theorie. Dieses traumatische Ereignis schwang in den vergangenen Jahren stets unterschwellig mit, wenn sich die Schalker gegen Ende einer Saison auf den oberen Tabellenplätzen bewegten. Es war stets getrübter Optimismus und auch ein wenig Angst vor dem erneuten Scheitern zu spüren. Vielleicht hatte sich Mirko Slomka deshalb unmittelbar vor diesem ohnehin schon brisanten Revierderby ausdrücklich Vertrauen gewünscht.

Doch selbst seine Spieler konnten diesen Gedanken an 2001 nicht abstreifen – auch wenn sie noch nicht einmal dabei gewesen waren. Dieses Denken bestimmt noch immer die verletzte Schalker Seele. Und wie zum Beweis spielten die Königsblauen derart mutlos, gehemmt und ängstlich, als gäbe es keine andere Sichtweise. Selbst Lincoln, der 2001 noch das Trikot des brasilianischen Klubs Atletico Mineiro trug, beschäftigte sich mit diesem Thema. Nach der Niederlage in Dortmund entledigte sich der Brasilianer enttäuscht seines Trikots. Sein Unterhemd trug eine verräterische Aufschrift. „Gott ist doch Auf Schalke“, war dort zu lesen. Das machte deutlich, dass sie sich dieses Themas wieder intensiv angenommen hatten. Vermutlich wollte Lincoln dieses Shirt nach einem Sieg freudestrahlend entblößen. „Seht her, es gibt ihn nicht diesen Fluch. Und wenn doch, dann haben wir ihn jetzt besiegt“, sollte wohl die Botschaft sein.

„Ihr werdet nie Deutscher Meister“, sangen die Dortmunder Fans während der Begegnung mehrfach. Und immer wenn die Zuschauer auf der Südtribüne diesen Gesang anstimmten, wurden die fast 20 000 bis dahin stimmgewaltigen Fans der Schalker zurückhaltender. Die Ruhe wirkte wie eine Bestätigung.

Mirko Slomka will sich mit dieser Argumentation nicht zufrieden geben. „Wir haben in der Rückrunde gegen Leverkusen und den HSV zwei Heimspiele verloren. Und gegen den VfL Wolfsburg eine souveräne 2:0-Führung abgegeben. Das waren die Knackpunkte“, sagte der auch am Tag danach noch immer überaus geknickt wirkende Schalker Trainer. Deshalb müsse man jetzt auch endlich Schluss machen „mit dieser Geschichte von 2001. Bis auf Gerald Asamoah haben wir das doch nur alle vor dem Fernseher miterlebt.“

Die Schalker mussten in Dortmund gegen eine riesige Erwartungshaltung ankämpfen. Und die Partie bewies wieder einmal, dass sie zum einen der nervlichen Belastung (noch) nicht gewachsen sind. Zum anderen, dass der Erfolg der Mannschaft zu sehr von zwei Spielern abhängt.

Kann Lincoln wie in Dortmund nicht seine Offensivfähigkeiten entfalten, gibt es keinen anderen Spieler, der nur annähernd in der Lage ist, ebenfalls Gefahr zu kreieren. „Wenn man solch einen Spieler hat, dann hofft man immer darauf, dass er noch einen genialen Moment hat. Deshalb hab ich ihn auch nicht ausgewechselt“, sagte Slomka. Und bekommt Kevin Kuranyi keine Flanken von den Außenpositionen, die er mit dem Kopf verwerten kann, so taucht er meist in der völligen Unauffälligkeit ab. Das bestätigte auch die Partie in Dortmund, in der die Schalker kaum eine nennenswerte Tormöglichkeit hatten. Das ist das größte Problem der Schalker. „Wenn man die Meisterschaft in der letzten Minute verliert, dann kann man sie auch noch in letzter Minute gewinnen“, sagte Fabian Ernst mit Blick auf das Heimspiel am Samstag gegen Bielefeld. Kann man. Wenn da nicht dieser unsichtbare Gegner wäre.

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