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Sport: Auf die weiche Tour ins Mittelmaß

Die deutschen Langstreckenläufer fehlen in der Weltspitze, weil sie nach Ansicht von Fachleuten zu richtig hartem Training nicht bereit sind

Als vor 22 Jahren die Geschichte der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Helsinki begann, gehörten die deutschen Mittel- und Langstreckenläufer noch zur Weltelite. Sieben Medaillen gewannen die Athleten damals auf den Strecken zwischen 800 Meter und Marathon bei der WM-Premiere. Willi Wülbeck und Patriz Ilg holten für das bundesdeutsche Team sogar Gold über 800 Meter beziehungsweise im 3000-Meter-Hindernislauf. Kaum weniger spektakulär rannte im Trikot der DDR Werner Schildhauer zu zwei Silbermedaillen über 5000 und 10000 Meter.

22 Jahre später spielen deutsche Läufer längst keine Rolle mehr in der Weltspitze. Nur noch drei deutsche Athleten aus dem Mittel- und Langstreckenbereich werden bei der WM an den Start gehen. 36 Startplätze hätte das deutsche Team in zwölf Wettbewerben belegen können. Und die Einzige, der man vor der WM eine gute Platzierung zutraute, war Sabrina Mockenhaupt. Die 24-Jährige von der LG Sieg lief gestern im Finale über 10000 Meter aber nur auf Platz 17 in einer Zeit von 31:28,21 Minuten. Über 800 Meter bietet der deutsche Verband noch die Wattenscheiderin Monika Gradzki auf, die gestern das Halbfinale erreichte, das heute auf dem Programm steht. Und bei den Männern startet René Herms (Pirna) über 800 Meter.

Dabei ist es durchaus möglich, mit den afrikanischen Läufern mitzuhalten. Die Britin Paula Radcliffe beweist dies seit Jahren, und die beiden Olympiasieger Juri Borsakowski (Russland/800 Meter) und Stefano Baldini (Italien/Marathon) werden auch in Helsinki eine bedeutende Rolle spielen. Zu beachten sind auch der australische 5000-Meter-Läufer Craig Mottram, Frankreichs Hindernisläufer Bob Tahri und der US-Amerikaner Alan Webb über 1500 Meter.

„Ich glaube, die deutschen Läufer trainieren einfach nicht hart genug“, sagt die frühere Marathon-Weltrekordlerin Tegla Loroupe aus Kenia. Sie lebt und trainiert zeitweilig in der Nähe von Detmold bei ihrem deutschen Manager Volker Wagner. Sicher ist es aber auch ein Risiko, völlig auf das zeitintensive Langstrecken-Training zu setzen und eine Berufsausbildung zunächst zurückzustellen.

Dass Erfolge auch für europäische und amerikanische Langstreckenläufer möglich sind, davon ist auch Dieter Hogen überzeugt. Der erfahrene Coach, der die Weltklasse-Marathonläuferin Uta Pippig betreute und heute eine Gruppe von internationalen Läufern trainiert, sagt: „Viele Athleten investieren weit weniger als hundert Prozent, und durchschnittliche Leistungen gelten zu schnell als gut – in Deutschland und in den USA. Wenn man in den Leistungsbereich der Weltklasse kommen will, muss man sehr viel bedingungsloser und härter trainieren, als es sich viele vorstellen können. Doch wer bereit ist, 24 Stunden am Tag entsprechend zu leben, Geduld hat und entsprechend arbeitet, kann die Weltspitze erreichen.“ Hogen trainiert unter anderen den 3000-Meter-Hindernisläufer Bob Tahri.

Über 3000 Meter Hindernis hätte eigentlich auch ein deutscher Läufer an den Start gehen sollen. Doch der von Dieter Baumann trainierte Filmon Ghirmai (LAV Tübingen) wurde vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) kurzfristig aus dem Kader gestrichen. Er hatte einen Leistungsnachweis, der im Juli erstmals von den nominierten Athleten gefordert worden war, nicht erbracht. Neu war zudem, dass auch Langstreckenläufer bis einschließlich 5000 Meter im Vorfeld zweimal die Norm hatten laufen müssen.

Insider im Langstreckenbereich können diese Regelung nicht nachvollziehen. Derartig viele Leistungsnachweise sowie der Pflichtstart bei den deutschen Meisterschaften mögen ihrer Ansicht nach für Werfer oder Sprinter keine Hürde sein, wohl aber für Läufer. Eine langfristige, gezielte Vorbereitung, oft in Verbindung mit Höhentrainingslagern, ist so gut wie unmöglich geworden.

Hinzu kam bei Filmon Ghirmai noch ein Verletzungsproblem an der Achillessehne. Er musste das Training unterbrechen. „Man verliert dadurch nicht die Form, aber den Rhythmus“, sagt Dieter Baumann, der sich auch beklagt, dass kein Funktionär des deutschen Verbands mit ihm gesprochen habe, bevor Ghirmai aus dem WM-Kader fiel. „Hier geht es ja nicht nur um Filmon, sondern auch um die Motivation der anderen Läufer für die Zukunft“, sagte der 5000-Meter-Olympiasieger von 1992.

Auch Hogen hält die neue Qualifikationsregelung für nicht geglückt: „Athleten, die gerade so die Norm geschafft haben und sich bis zur WM noch etwas verbessern wollen, werden unter psychischen Stress gesetzt – das stört auf jeden Fall die Vorbereitung. Betroffen sind genau die Athleten, die sich entwickeln und die man eigentlich fördern möchte.“ Filmon Ghirmai hat inzwischen die Saison abgebrochen.

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