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Sport: Auf stolzem Egotrip

Die Schweizer Nationalelf glaubt fest daran, sich heute in Irland für die WM in Deutschland qualifizieren zu können

Basel - Wenn 5000 Zuschauer zu einem Länderspiel der U-21-Junioren kommen und wenn tags darauf mehr Menschen vor dem Fernseher sitzen als bei der Lauberhorn-Abfahrt, dann stellt sich die Frage: Was ist los mit den Schweizern? 100 000 Kartenbestellungen waren dem Fußball-Verband für das WM-Qualifikationsspiel gegen Frankreich ins Haus geflattert, nur 31 200 Menschen fanden vergangenen Samstag Platz im Stade de Suisse und verwandelten die nagelneue Arena auf dem Boden des legendären Wankdorf-Stadions mit tausenden, aufgeregt geschwenkten Fähnchen in ein rot-weiß wogendes Meer. Das Wunder von Bern, also mehr als das 1:1 gegen die Frankreich, blieb der beherzt auftretenden Auswahl verwehrt. Aber dass hinterher Nationaltrainer Jakob „Köbi“ Kuhn unverblümt über einen möglichen Sieg sinnierte, und das gegen Frankreich, das vor zwei Jahren bei der Auslosung noch als unüberwindliche Hürde gegolten hatte, demonstriert das gestiegene Selbstwertgefühl der Schweizer.

Auf dem Weg nach Portugal zur EM und nach Deutschland zur WM haben die Schweizer von 17 Qualifikationsspielen nur eines verloren, in der aktuellen WM-Ausscheidung sind sie in neun Spielen ungeschlagen geblieben. Und heute Abend winkt an der Lansdowne Road von Dublin der große Wurf. Gegen Irland, so posaunt der „Blick“ ins Alpenland hinaus, „ist die Zeit reif“. Seit 1966 waren die Schweizer nur einmal, 1994 in den USA, bei einer WM-Endrunde dabei. „Wir sind besser als die Iren“, sagt HSV-Profi Raphael Wicky und niemand verdächtigt ihn deshalb der Überheblichkeit.

Der Schweizer Fußball sei „auf stolzem Egotrip“, bescheinigt die nüchterne „Neue Zürcher Zeitung“. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung unter anderem mit einem Nachwuchsprogramm, das Mitte der Neunzigerjahre in Gang gesetzt wurde. Unter Hansruedi Hasler als Technischem Direktor wurden die Schweizer U-17-Europameister, ihre U 21 schaffte es bis ins Halbfinale, die U 20 war für die WM qualifiziert, und Schweizer Profis im Ausland werden immer mehr. „Einen konzeptionellen Vorsprung haben wir nicht“, sagt Hasler, „wir setzen einfach ein paar Dinge konsequenter um.“ Der 58-Jährige schildert nüchtern die Pfeiler des Konzepts: „Als ich 1993 meine Stelle angetreten habe, gab es beim Verband einen festangestellten Trainer im Nachwuchsbereich und zehn bei den Klubs. Jetzt arbeiten beim Verband zehn Profis, in den Vereinen 53.“

Der erste Spieler, der alle Stufen der Jugendförderung durchlief, ist der heute 28-jährige Patrick Müller, der es bei Olympique Lyon bis zum Mannschaftskapitän gebracht hat, ehe er zum FC Basel wechselte, und in der Innenverteidigung der Schweizer das Vertrauen des Trainers besitzt – trotz gelegentlicher Formschwankungen. Auch Kuhn arbeitete in jenem Nachwuchsprogramm, im August 2001 wurde er zum Nationaltrainer befördert. Eine umstrittene Entscheidung: Der neue Frontmann wirkte zu onkelhaft. Inzwischen müht er sich mit einer künstlichen Hüfte über den Trainingsplatz, hat aber in der Mannschaft ein Wohlfühlklima geschaffen. Der Verband hat Kuhns Vertrag kürzlich bis 2008 verlängert. Heute wird Kuhn 62 Jahre alt. Ein Grund mehr für die Schweiz, sich heute für die WM zu qualifizieren.

Christoph Kieslich

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