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Sport: Aufbruch in Athen

Die Paralympischen Spiele verändern die griechische Hauptstadt

Gäbe es eine Medaille für den größten Paralympics-Fan in Griechenland – Simon hätte sie wohl verdient. Der blinde und körperbehinderte 15-Jährige ist mit seinem Vater Wolfgang aus Berlin nach Athen geflogen und übernachtet während der Spiele auf der Pritsche eines Lastwagens gleich neben dem Olympiastadion im Stadtteil Maroussi. Ihre Reisespesen investierten Vater und Sohn lieber in eine Eintrittskarte für die Eröffnungsfeier als in eine teure Unterkunft. Wie die Touristen aus Berlin erlebten 75 000 Zuschauer aus aller Welt am Freitagabend ein grandios inszeniertes Fest mit den 3840 Athleten aus 136 Nationen. Als die Fernsehkameras schon längst abgeblendet hatten, feierten Samoaner und Finnen, Iraker und Kenianer immer noch im Stadionrund, wickelten sich in die weißen Tücher der Show-Tänzerinnen ein, machten Fotos, rissen Blindenstöcke in die Höhe. Viele der Athleten sind gestern am ersten Wettkampftag schwer aus den Betten kommen.

„Es wird Zeit, dass es jetzt endlich losgeht“, sagt Leichtathletiktrainer Matthias Pollich, „unsere Leute sind heiß.“ Die Hälfte der deutschen Nationalmannschaft ist in diesem Jahr erstmals bei Paralympics am Start. Das Durchnittsalter liegt bei 33 Jahren – viele beginnen nach Krankheit oder Unfall erst spät mit dem Leistungssport. Paralympics-Besucher Simon ist noch jung, aber er übt schon kräftig. Er lässt sich beim Training in seinem Rollstuhl festschnallen und auf ein Trampolin hieven. Dann geht ein Mannschaftskamerad mit ihm aufs Tuch – und ab geht es. Höher, immer höher.

Einen Aufbruch in neue Sphären durch die ersten paralympischen Spiele erhoffen sich die Griechen, wie die Präsidentin des Organisationskomitees, Gianna Angelopoulou-Daskalaki, während der Eröffnungsfeier unter dem Beifall der Zuschauer sagte: „Wir wollen Athen zu einer besseren Stadt machen, und ihr Athleten zeigt uns den Weg dorthin.“ Der Weg ist jedoch nicht einfach. „Wenn es hier mal abgesenkte Bürgersteige gibt, sind sie garantiert zugeparkt. Genauso wie die Behindertenparkplätze“, sagt der deutsche Botschafter in Athen, Albert Spiegel. Der Sprecher der deutschen Bahnradfahrer wurde am ersten Tag trotz Grünlichts an der Ampel angefahren.

In Griechenland verstecken viele Menschen Angehörige mit Handicap. Zumindest für elf Tage ist das jetzt anders. Die Athenerin Maria Theodosatou ist zum Zuschauen zur Opening Ceremony ins Stadion gekommen, „weil ich einfach stolz bin, dass wir die Paralympics zum ersten Mal ausrichten“. Als erste kommen die Australier ins Stadion – um die 250, viele von ihnen genießen daheim die gleiche Anerkennung und Sportförderung wie nicht-behinderte Leistungssportler. Ein Sportler aus Turkmenistan läuft auf Händen ein und macht Breakdanceeinlagen. Der junge Zuschauer Simon wird wie die Japanerinnen im Kimono aus Nagoya ein paar Sitze weiter ganz still, als Vicky Leandros und 500 Kinder die Nationalhymne singen. Die olympische Fackel droht mal kurz vom stürmischen Abendwind verweht zu werden – dann leuchtet das Feuer hoch oben. Staatspräsident Konstantinos Stephanopoulos erklärt die 12. Paralympischen Spiele für eröffnet.

Sie werden nicht überall zu sehen sein. 40 Länder haben die Rechte von der Übertragungsgesellschaft ISP erworben. Sportredakteur Zengshuan Wang von China Central Television hat mit seinem 30 Kollegen starken Team in Vorausschau auf Peking Kameras aufgebaut, Japan sendet, Russland, Neuseeland, Tunesien, Island. In Athen laufen die Liveberichte seit gestern in Cafés, in den Hotels beim Frühstück. Nur in den USA bleibt der Bildschirm dunkel. „Was für eine Schande für ein Land, dass so oft von Gleichberechtigung und der Anerkennung von Minderheiten redet. Ich habe schon einen Brief an NBC geschrieben, aber keine Antwort bekommen“, sagt Bobbi Tanberg. Vor vier Jahren hat die 35-Jährige aus Los Angeles noch im US-Rollstuhlbasketballteam selbst auf dem Feld mitgekämpft.

Annette Kögel[Athen]

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