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Glanzvolle Tage. 2009 war Harley Marques noch Vizeweltmeister. Foto: AFP

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Sport: Aufstand der Entrechteten

Beachvolleyball-Profis wehren sich gegen die Entmündigung durch den Weltverbandspräsidenten Graca.

Münster - Was macht ein Brasilianer, wenn er nach Münster kommt? Er besorgt sich ein Fahrrad, um sich in der deutschen Fahrrad-Hauptstadt standesgemäß fortbewegen zu können. Harley Marques hat das getan, der Mann aus Rio de Janeiro war am Wochenende in Westfalen, um seinem Job als Beachvolleyballer nachzugehen. Was bringt einen der erfolgreichsten Profis dazu, in Deutschland zu tingeln, wo es doch seit fast 20 Jahren seine Berufung ist, bei den großen Turnieren der World Tour den Sand umzugraben?

Harley Marques muss das nehmen, was übrig bleibt. Als es vor einigen Wochen in Argentinien beim Grand Slam um Punkte und Preisgelder ging, war er zum Zuschauen verurteilt. „Man lässt mich nicht spielen“, sagt der 39-Jährige und lächelt gequält. Wie es in ihm drin aussieht? Was er fühlt? „Wut, Ohnmacht“ und vor allem eins: „Trauer.“ Harley Marques sitzt im Spielerzelt auf dem Schlossplatz in Münster und sagt: „Dieser Mann hat meinen Traum zerstört.“

Der Traum, das sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio, in seiner Stadt. Der Center Court an der Copacabana, das wäre der perfekte Ort, eine große Karriere ausklingen zu lassen. Harley Marques wäre dann 41, „ich traue mir das zu, dann noch gut genug zu sein, um da eine gute Rolle zu spielen“, sagt der Vizeweltmeister von 2009. Doch dazu wird es wohl nicht kommen, weil dieser Mann etwas dagegen hat. Die Rede ist von Ary Graca, ebenfalls Brasilianer und seit September 2012, als er im Disneyland Hotel im kalifornischen Anaheim zum neuen Präsidenten des Weltverbandes FIVB gewählt wurde, die neue Macht im Beachvolleyball.

Der umtriebige Geschäftsmann hat die World Tour umgekrempelt, indem er durchsetzte, dass die erspielten Punkte in Zukunft nicht mehr den Athleten gehören, die sie erspielt haben. Stattdessen erhalten die nationalen Verbände Quotenplätze, die sie nach Gutdünken verteilen dürfen. Der Sinn dieses Manövers liegt auf der Hand: alle Macht den Funktionären, keine Macht den Spielern.

Graca hat bereits mehrfach exerziert, dass er gewillt ist, sein Werkzeug einzusetzen. Zum Beispiel beim altgedienten Profi Harley Marques, der von einem Tag auf den anderen kaltgestellt wurde. Herabgestuft, gedemütigt und entmündigt. Er springt nicht mehr auf der großen Bühne, sondern auf dem Schlossplatz in Münster. Julius Brink macht das „fassungslos und wütend. So kann man doch nicht mit Menschen umgehen“, sagt der Olympiasieger und stellt die Frage: „Wo bleiben denn da die Demokratie?“ Brink berichtet, wie er als junger Bursche auf die Tour kam, „da war Harley ein Idol für mich, und jetzt servieren sie ihn einfach ab“.

Der Brasilianer erzählt, wie er auf einem Flug drei Stunden lang neben dem Mann saß, der sein Leben so nachhaltig veränderte. All seine Fragen seien an Graca abgeprallt, er habe keine Antworten gehabt, „sondern nichts als Ausflüchte“. Der Appell, „Herr Präsident, ich bin Profi, ich lebe von Beachvolleyball“, sei verhallt. Noch krasser als der Fall Harley Marques ist der seiner brasilianischen Kollegin Juliana Felisberta da Silva. Die 29-Jährige gilt als weltbeste Blockerin, sie ist Weltmeisterin 2011, sechsfache Gewinnerin der World Tour und hat 1,4 Millionen Dollar Preisgeld erschmettert.

Doch auch sie wurde von Graca mit einem Bann belegt, der einem Berufsverbot gleichkommt. Der Grund für diese rigide Maßnahme: Die Spielerin weigert sich, im vom brasilianischen Verband gesteuerten Zentrum in Saquarema zu trainieren, und übte obendrein auch noch Kritik an den neuen Zuständen. Das reichte, um sie zur Persona non grata zu degradieren. Die Zeiten sind hart, seit Ary Graca die Zügel in der Hand hält. Harley Marques berichtet von Drohanrufen durch Funktionäre, wenn unliebsame Meinungen auf Facebook erscheinen: „Das ist wie in einem totalitären Regime.“

Die Möglichkeit, ihr Recht auf freie Berufswahl vor einem Gericht zu erstreiten, haben die kaltgestellten Profis bereits erwogen. Doch im internationalen Gewerbe Beachvolleyball sei es nicht so leicht, die Zuständigkeiten zu eruieren: „Ich bin Brasilianer“, sagt Harley Marques, „und der Weltverband FIVB sitzt in der Schweiz.“

Einfach so in ihr Schicksal fügen wollen sich die entmachteten Sportler jedoch nicht. Die unmissverständliche Forderung lautet, den alten Status quo wiederherzustellen und zur sportlich fairen Regelung zurückzukehren, nach der die Punkte den Spielern gehören. Nun gelte es, Flagge zu zeigen und für die Rechte zu kämpfen. Von einem offenen Brief ist die Rede, den die olympischen Medaillengewinner gemeinsam verfassen wollen.

Auch ein Streik, wie ihn die Spieler bereits 2005 bei der WM in Berlin durchzogen, um gegen den damaligen FIVB-Präsidenten Ruben Acosta aufzubegehren, wäre eine Option. Gesprochen wird sogar von noch radikaleren Maßnahmen wie einer Revolution. Eine Abspaltung mit Gründung eines neuen Verbandes und einer eigenen Tour ist in den Achtzigern von den Profis in den USA bereits durchgezogen worden, im weltweiten Beachvolleyball ist sie allerdings noch weit entfernt. Völlig abwegig ist die radikale Lösung nicht. „Es gibt viele Szenarien“, sagt Julius Brink, „wir denken sie derzeit alle durch.“ Felix Meininghaus

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