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Sport: Aus dem Abseits

Im Gefängnis von Hannover werden Verbrecher zu Trainern ausgebildet – der Fußball soll ihnen die Rückkehr ins normale Leben erleichtern

Hannover. „Ihr Verbrecher!“, schreit Erwin Benkert über den Sportplatz. „Bewegt euch mal richtig!“ Das Kommando verhallt nicht ohne Folgen. Sofort rennen 22 Männer schneller dem Ball hinterher. Erwin Benkert liebt die klare, laute Sprache – und das kommt an bei den Männern, die er zu Trainern ausbildet: Verbrecher.

Das Projekt ist einmalig in Deutschland. Seit fünf Jahren gibt es in der Justizvollzugsanstalt Hannover regelmäßig Lehrgänge, in denen Häftlinge die C-Lizenz für Fußballtrainer erwerben können. Ausbilder ist Benkert, und der sagt: „Ich verhalte mich im Knast nicht anders als in den Trainerkursen draußen. Nur dass sich draußen schon mal jemand durch meine Art angemacht fühlt.“ Im Gefängnis arbeitet Benkert gern. Nach der Entlassung wollen seine Schüler einmal selbst als Übungsleiter Jugend- und Herrenmannschaften trainieren.

Das Programm und die Anforderungen sind im Gefängnis nicht anders als in der freien Welt. Der einzige Unterschied ist die Motivation der Schüler. „Die Häftlinge nehmen die Trainerausbildung viel wichtiger und tun mehr dafür“, erzählt Benkert, der seit 30 Jahren Trainer ausbildet. Vier Monate lang müssen seine „Jungs“, wie er sie nennt, in einem Büroraum im Gefängnis von montags bis freitags eine Stunde Theorie lernen. Danach wird dann zweieinhalb Stunden auf dem harten Aschenplatz der JVA geübt: Doppelpass, Zweikampfverhalten, Schulung von Taktik und Technik. Insgesamt umfasst das Programm 120 Stunden. „Die sind abends platt“, sagt Benkert und lacht. „Die Jungs haben ja vor dem Kurs schon einen ganz normalen Arbeitstag hinter sich.“

Die Häftlinge empfinden den Stress als schöne Sache. „Normalerweise kommt man ja am Tag nur eine Stunde an die frische Luft“, erzählt Torsten. „Während des Kurses waren wir mehr als drei Stunden draußen, das war schon toll.“ Torsten hat gerade die Trainerprüfung bestanden, die Urkunde hat er stolz an die Zellenwand gehängt. Jetzt träumt der 37-Jährige von einer Zukunft in Freiheit. „Ab kommendem Jahr kann ich ohne Begleitung raus“, sagt er. Er hat bereits Angebote von zwei Vereinen, die einen Trainer suchen. In der JVA will er noch den Führerschein machen, um später seine jungen Spieler fahren zu können. Hat er keine Angst vor den Reaktionen in seinem neuen Verein, wenn bekannt wird, dass der Übungsleiter lange im Gefängnis saß? Torsten ist auf diese Frage vorbereitet. Er antwortet: „Ich werde von Anfang an sagen, dass ich im Knast war, dann wissen alle, woran sie sind.“

Klarheit ist wichtig für das Projekt. Benkert, der Ausbilder mit der deutlichen Sprache, stellt klar: „Wer Kinder missbraucht hat, der kommt in diesen Kurs nicht rein.“ Ansonsten aber gibt es wenige Hindernisse. Zu Benkerts Kunden gehören Betrüger, Einbrecher, Zuhälter, Totschläger. Doch der Ausbilder interessiert sich nicht dafür, was jemand verbrochen hat; für ihn zählen nur die Leistung und das Verhalten auf dem Trainingsplatz. Dazu gehört auch der Umgang mit Konflikten. „Manche Übungseinheiten werden abwechselnd von einzelnen Teilnehmern geleitet. Dass ein anderer Häftling über sie bestimmt und sie auch kritisiert, wollten anfangs einige nicht akzeptieren.“ Doch im Laufe der Übungen hätten viele erfahren, was es bedeutet, eine Mannschaft zu führen. „Sie haben gemerkt, wie wichtig es ist, auf die Besonderheiten der einzelnen Spieler einzugehen.“

Nach Ende der Haftzeit werden viele Insassen lange suchen müssen, bis sie wieder eine Arbeit finden. Da kann der Fußball eine Hilfe sein, neue Kontakte zu knüpfen und Anerkennung zu finden. Doch werden die Fußballvereine vorbestraften Trainern eine Chance geben? Benkert ist überzeugt, dass die Fachkompetenz zählt. „Vielen Vereinen fehlen im Jugendbereich ausgebildete Trainer. Der Bedarf ist groß, auch für unsere Leute.“ Mit einigen seiner ehemaligen Schüler aus dem Knast hat er noch Kontakt, mindestens drei arbeiten derzeit als Trainer. „Gerade ist einer aus dem Gefängnis entlassen worden und hat mich angerufen. Dem werde ich einen Trainerposten verschaffen, das klappt bestimmt“, sagt Benkert. Mit seinem Enthusiasmus hat er schon viele Häftlinge motiviert, die gewohnt sind, bei der ersten Schwierigkeit alles hinzuschmeißen.

Verbrecher – können das gute Trainer sein? „Die Gefangenen sind alles Einzelkämpfer. Ich versuche, aus ihnen in den Kursen eine Gemeinschaft zu formen“, sagt Benkert. Und zum Abschied sagt der Ausbilder mit der klaren Sprache noch einen sanften Satz. „Ich habe die Hoffnung, dass ich aus schlechten Menschen gute machen kann."

Joachim Göres

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