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Sport: Aus der neuen Mitte nach vorn

Hertha hofft wieder auf einen Zuschauer-Boom – nur siegen muss sie noch

Von André Görke

Berlin. Der Mann hat ein klares Ziel: „Ich werde keine Ruhe geben, bis ich die Meisterschale in den Händen halte“, sagt Dieter Hoeneß, der Manager von Hertha BSC. Dabei ist dieses Gefühl für ihn gar nicht neu. Als Spieler war er fünfmal Deutscher Meister mit Bayern München. Und als Manager hat der Schwabe Hoeneß den Titel 1992 mit dem VfB Stuttgart geholt. Doch Hertha, das ist sein Ding. Diesen Verein hat Hoeneß hochgebracht. Mit diesem Verein Meister zu werden, das wäre etwas ganz anderes. Das wäre seine Meisterschaft. Dazu gehört nicht nur der sportliche Erfolg, sondern auch die zurückgewonnene Liebe der Berliner zu ihrer Hertha. Beides soll in dieser Saison gelingen. Die Kampagne beginnt heute um 15.30 Uhr mit dem ersten Heimspiel gegen den VfB Stuttgart im Olympiastadion.

Nach dem Boom des Aufstiegsjahres war die Liebe etwas abgekühlt. Manager Hoeneß sagt: „Alle unserer Zahlen steigen und steigen, und das seit Jahren. Wir sind ein Verein, der überproportional wächst. Nur die Zuschauerzahlen, die sinken. Das versteht keiner.“ Nach dem Aufstieg 1997 in die Erste Liga war Hertha BSC noch etwas Besonderes: Bundesliga-Fußball kannten die Berliner nur aus dem Fernsehen. So kamen in der ersten Saison durchschnittlich 53 000 Zuschauer zu Herthas Heimspielen. Ein Jahr später waren es ähnlich viele, aber seitdem geht es bergab (siehe grauen Kasten). Das liegt auch an den Baumaßnahmen im Olympiastadion, keine Frage. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Komfort für die Fans Woche für Woche immer weiter verschlechtert.

Doch es gibt noch eine andere Erklärung: In Berlin ist es grundsätzlich schwierig, die Aufmerksamkeit der Menschen für längere Zeit für sich zu beanspruchen. Berlin bietet viel, das musste Hoeneß mit Hertha erfahren. Und das erfährt er täglich wieder. Kürzlich saß er ziemlich einsam unter der Wasseruhr im Europacenter. Er war zu einer öffentlichen Diskussionsrunde gekommen und sprach über die großen Ziele seines Klubs. Zehn Minuten hatte Hoeneß vielleicht geplaudert, nicht länger. Dann nahmen die Passanten ihre Tüten in die Hand und gingen weiter, einkaufen. Den Hertha-Manager ließen sie einfach sitzen.

Dass die Berliner Konsumenten verwöhnt sind, weiß nicht nur Hertha. Alba Berlin etwa holte zum sechsten Mal hintereinander den Titel, trotzdem stagnieren die Zuschauerzahlen in der Max-Schmeling-Halle. Die selbst ernannte Alternative zu Hertha, der 1. FC Union, zog trotz Zweitligaaufstiegs in der vergangenen Saison kaum mehr Zuschauer als die Footballer der Berlin Thunder. Rund 9000 Fans kamen pro Spiel in die Wulhheide. Normalität ist nicht gefragt. Union muss nun schon weiter aufsteigen, um in Berlin die Leute zu interessieren.

Deshalb hat Hertha auf hohem Niveau jetzt noch einmal einen Umbruch vollzogen. Mit dem neuen Trainer Huub Stevens holte Dieter Hoeneß einen Mann, der mit Schalke 04 schon viel gewonnen hat. Und mit Luizao verpflichtete er einen brasilianischen Stürmer, der vor sieben Wochen Weltmeister geworden ist. Das ist das Gegenteil von Normalität – zumal in Zeiten der finanziellen Krise. Doch für Hertha ist es der einzige Weg. Normalität ist in Berlin nicht gefragt. Ein weiteres Jahr nur im Uefa-Cup wäre Normalität.

Die Taktik scheint aufzugehen. Hertha hat in den vergangenen Wochen 24 000 Dauerkarten verkauft – und somit fast so viele wie nach dem Aufstieg. Herthas Geschäftsführer Ingo Schiller sagt: „Wir rechnen in dieser Saison mit einem neuen Aufschwung.“ Gestern, als er sich die Bauarbeiten im Olympiastadion anschaute, da sagte er: „Die Fans sehen endlich, dass es in diesem Stadion vorangeht.“ Hertha ist auf den neuen Boom vorbereitet. Der Verein hat dazu eine Analyse über sein Potenzial an die Hand bekommen. Nach der neuesten Studie der Vermarktungsagentur Sportsfive gibt es bundesweit 980 000 Hertha-Fans. Eine gigantische Zahl, und doch relativ, wenn dieselbe Studie bei den Bayern 9,61 Millionen Sympathisanten nennt.

Hertha hat 9000 Mitglieder. Als der Verein vor fünf Jahren aufgestiegen ist, waren es gerade einmal 1600 Mitglieder, zwei Jahre später schon 6100. Zehn neue Mitglieder würden pro Tag eintreten, sagt ein Hertha-Mitarbeiter. So viele seien es nur nach dem Bundesligaaufstieg gewesen. Die meisten Mitglieder wohnen im Bezirk Schöneberg-Tempelhof, es folgen Reinickendorf und Wedding-Mitte-Tiergarten. Das waren schon früher die typischen Heimat-Bezirke des Klubs.

Das Publikum im Olympiastadion aber hat sich verändert und soll sich weiter verändern. Hertha will die neue Mitte der Stadt erreichen, jene Bezirke, die für Innovation und Kapital stehen. Hertha hat in den vergangenen fünf Jahren eine Umfrage unter den Zuschauern geführt. Nach dieser Studie kommen immer mehr Menschen mit leicht höherem Einkommen ins Stadion. Das Durchschnittseinkommen der Fans stieg in den vergangenen Jahren um 250 auf 1770 Euro.

Prozentual verfügen immer weniger Zuschauer über keinen Schulabschluss. Die Hälfte der Zuschauer besitzt die mittlere Reife. Nur 18 Prozent der Fans sind weiblich, lediglich zwei Prozent sind Studenten. Aber Hertha boomt beim Nachwuchs: Der Anteil der Jugendlichen bis 20 Jahre lag bei der letzten Umfrage im Februar bei 51 Prozent. Das macht Hertha BSC attraktiv für Sponsoren. Nike und Coca-Cola sind groß eingestiegen, auch Hauptsponsor Arcor wird das gerne hören. Und wenn der Stadionumbau vollzogen ist, wird Hertha mehr Prominenz anziehen. Der Klub kann dann die teuren Vip-Logen vermieten. Ideal für die neue Mitte.

Die Tendenz ist deutlich. Auch die Internetseite des Klubs wurde im vergangenen Monat von so vielen Menschen besucht wie noch nie. 243 000 Besuche („Visits“) zählte der Rechner, über eineinhalb Millionen Bewegungen auf der Seite. Bundesweit gesehen liegt Hertha auch dort weit oben. Doch zuallererst zählt Berlin. Und dort läuft die Saison gut an. Im Vorverkauf setzte Hertha 36 000 Karten für das erste Heimspiel gegen den wenig attraktiven Gegner VfB Stuttgart ab. „Wir hoffen auf 50 000 Zuschauer“, sagt Dieter Hoeneß. Er ist und bleibt Optimist. Und jetzt spielt sogar die Sonne mit.

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