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Sport: Aus Hunger an die Weltspitze

Novak Djokovic ist der Prototyp einer neuen Generation aufstrebender serbischer Tennisspieler

Eigentlich war der Ball unerreichbar. Fernando Verdasco hatte den Passierschlag mit viel Tempo fast perfekt auf die Seitenlinie gesetzt, der Punkt schien an ihn zu gehen. Doch Novak Djokovic reckte sich mit aller Macht, erreichte den Ball noch mit den oberen Zentimetern des Schlägerkopfes und zirkelte die gelbe Filzkugel am Spanier vorbei. Dieses Mal wirklich unerreichbar. Verdasco blieb nichts, als anerkennend mit dem Kopf zu nicken. Wie so manches Mal in dieser Achtelfinalpartie bei den French Open, die der Serbe Djokovic mit 6:3, 6:3, 7:6 für sich entschied und dabei seine größte Stärke demonstrierte: Er will den Sieg, diesen entscheidenden Tick mehr als die Anderen.

Gerade einmal 20 Jahre ist Djokovic alt, trägt einen biederen, dunklen Bürstenhaarschnitt und wirkt eher unauffällig. Er hat wenig von dem Körperkult-Getue, wie es bei seinen Altersgenossen gerade en vogue ist. Was er zu sagen hat, ist präzise formuliert, neben seiner Muttersprache spricht er gut Deutsch und perfekt Englisch. Er kennt seine Qualitäten als Spieler und benennt sie ohne falsche Scheu. „Ich habe nicht einmal die Hälfte von dem gezeigt, was ich kann. Aber ich habe gewonnen“, sagte er nach dem Fünfsatz-Krimi gegen den Franzosen Olivier Patience in der Runde zuvor. Manche legen es ihm als Arroganz aus, doch so wirkt Djokovic keineswegs. Eher wie ein junger Mann, der sich sicher ist, dass sein Weg erst begonnen hat, obwohl er bereits an Position sechs der Rangliste geführt wird.

Djokovic ist der Shootingstar der Szene, vor zwei Jahren war er der jüngste Spieler unter den Top 100, 2006 der jüngste unter den Top 20 und im März wurde er beim Masters in Miami sogar der jüngste Sieger aller Zeiten. Sein rasanter Aufstieg im Profitennis verwundert, wenn man sich vor Augen hält, unter welchen Umständen der Serbe seine Karriere aufbauen musste. Während des Krieges ist er in Belgrad aufgewachsen und möchte über diese Zeit auch nicht mehr sehr viel erzählen: „Ich habe schreckliche Dinge gesehen. Es war eine schlimme Erfahrung.“ Trainieren war für ihn in der Heimat nicht möglich, seine sportverrückten Eltern schickten ihn daher für vier Jahre ins Trainingscamp von Niki Pilic nach München. „Wir haben überhaupt keine Einrichtungen gehabt, um im Land zu bleiben. Deshalb habe ich in Deutschland trainiert. Ohne meine Eltern hätte ich es nie so weit gebracht“, sagt Djokovic, der schon mit 13 Jahren ehrgeiziger und disziplinierter arbeitete als alle anderen, immer angetrieben von seinem großen Ziel: „Ich wollte die Nummer eins werden. Und das will ich noch immer.“

Sein Wille, sein Hunger nach Erfolg und die Konstanz, mit der Djokovic auf höchstem Level spielt, lassen dieses Ziel nicht unrealistisch erscheinen. Schwächen hat er ohnehin kaum, und die wenigen schafft er akribisch ab. Er sucht Rat bei ehemaligen Stars der Branche wie John McEnroe und wälzt Bücher mit Titeln wie „Die Kraft der Konzentration“, die eigentlich Managern zum Erfolg verhelfen sollen. Doch Djokovic ist jedes Mittel recht, das ihm seinem Traum ein Stückchen näher bringt. In Paris hat es ihn bereits bis ins Viertelfinale gebracht, und dort steht er nicht allein, denn mit Ana Ivanovic und Jelena Jankovic haben es zwei seiner Landsfrauen ebenfalls unter die letzten Acht geschafft.

Sie eint der ähnliche Lebenslauf wie Djokovic: Die 19-jährige Ivanovic wurde bei einem Jugendturnier in Frankreich von einem Schweizer Manager entdeckt, der sie zum Trainieren nach Basel holte. Jankovic, gerade 22 Jahre alt geworden, verschlug es in die Bollettieri-Akademie. Beide feierten in diesem Jahr schon Turniersiege, ihr Erfolgshunger ist mit dem von Djokovic vergleichbar: „Wir schätzen die Gelegenheit, die wir bekommen haben, etwas mehr. Wir haben alle schwere Zeiten durchgemacht, und das hat uns alle noch stärker gemacht“, sagt Ivanovic. Sie hoffen, dass der Tennis-Boom, den ihre Erfolge in der Heimat ausgelöst hat, nun den Weg für die nächste Generation ebnet und in Hallenbau und Trainerausbildungen investiert wird. „Unser Land hat überhaupt keine Tennistradition und keine Infrastruktur, deshalb ist das ein fantastischer Erfolg. Wir haben unseren Job getan. Aber er sollte andere motivieren“, sagt Djokovic.

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