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Sport: Ausblick ins Blaue

Fußball-Regionalligist SV Babelsberg ist zahlungsunfähig – jetzt müssen sich die Spieler ihrer alten Berufe erinnern

Berlin. 14 700 Zuschauer waren ins Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion gekommen. Erstmals seit 1977 war das Stadion am 9. Juni 2001 ausverkauft. Der SV Babelsberg 03 spielte gegen Fortuna Düsseldorf um den Aufstieg in die Zweite Liga. In der 87. Minute erzielte Mittelfeldspieler Martino Gatti das 1:0. Nach dem Spielende stürmten die Fans den Rasen, Babelsberg war in der Zweiten Bundesliga. Ein Jahr später stieg der Verein als Tabellenletzter mit nur 18 Punkten wieder ab. Heute steht die Mannschaft weit abgeschlagen auf dem vorletzten Tabellenplatz der Regionalliga Nord. Am Donnerstag stellte Babelsberg 03 beim Amtsgericht Potsdam den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Am nächsten Samstag um 14 Uhr wird der Publikumsliebling Martino Gatti ein letztes Mal im Karl-Liebknecht-Stadion auflaufen. Wenn sein Verein ihm dann noch immer kein Geld gezahlt hat, wird das Heimspiel gegen den KFC Uerdingen sein letztes Spiel für Babelsberg sein. Gatti wird dann kündigen. Seit Dezember hat er kein Gehalt mehr bekommen. Zwar darf er vor dem 1. Juli für keinen neuen Verein spielen. Mit der Kündigung verzichtet Martino Gatti außerdem auf Gehaltsansprüche bis zum Saisonende, aber er braucht das Geld jetzt. Das Arbeitsamt zahlt ihm für drei Monate rückwirkend Insolvenzgeld. Dass er aus dem Insolvenzverfahren noch mehr Geld erwarten kann, glaubt Martino Gatti nicht. „Ich weiß doch, dass hier nichts mehr zu holen ist.“

Der Verein versucht dennoch, den normalen Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Mannschaft trainiert weiter, als gäbe es keine Insolvenz, keine 1,5 Millionen Euro Schulden, keinen Zwangsabstieg in die Oberliga, vielleicht sogar in die Verbandsliga. „Freude und Spaß sind noch da“, sagt Trainer Herman Andreew. „Ich mache mir keine Gedanken, was im nächsten Jahr ist. Jetzt versuchen wir, so viele Punkte wie möglich zu holen.“ Die Spieler beschäftigen sich jedoch mittlerweile mehr mit juristischen Details als mit dem nächsten Gegner. Die meisten Spieler haben sich Anwälte genommen. Die Insolvenz ist das einzige Kabinengespräch. „Es bleibt kaum noch Zeit für Fußball", gibt Martino Gatti zu. Auch weil es Zeit ist, sich nach einem neuen Verein umzusehen. Nur einige jüngere Spieler werden in Babelsberg bleiben. Andere wie der Abwehrspieler Jens Härtel beenden ihre Karriere. Dafür ist Martino Gatti, 31, eigentlich zu jung.

Dennoch haben drittklassige Berufsfußballer in Gattis Alter Probleme, einen neuen Verein zu finden. Martino Gatti hat keinen Berater, er hat sich bisher immer selbst um seine Anstellungen bemüht. „Man kennt jemanden, der bei einem anderen Verein spielt, der hört sich dann mal um“, erzählt Gatti. „Auf diese Weise habe ich immer etwas gefunden.“ Diesmal wird es schwieriger werden. Die Vereine werfen nicht mehr mit dem Geld um sich, wie noch vor einigen Jahren. Zudem müssen sie laut DFB-Statuten mindestens sechs Spieler unter 24 Jahren aufstellen. „Die Regionalliga ist dadurch zu einer Nachwuchsrunde abqualifiziert“, sagt Thomas Hüser, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VdV. „Das ist natürlich zum Nachteil älterer Spieler.“

Gatti möchte gern in Berlin bleiben, hier wurde er geboren. Bei Tennis Borussia und dem BFC Dynamo war er unter Vertrag, zwischenzeitlich spielte er in St. Pauli und Homburg. Ein Wechsel ins Ausland kommt für Gatti nicht in Frage. Gehört er also bald auch zu der zunehmenden Gruppe arbeitsloser Fußballer? Martino Gatti macht sich Mut. „Wenn ich in der Regionalliga nichts finde, suche ich mir einen unterklassigen Verein, der mir vielleicht eine Umschulung finanziert. Dann könnte ich wieder in den Beruf einsteigen.“ Martino Gatti ist gelernter Bürokaufmann. In einem Büro hat er zuletzt vor zwölf Jahren gesessen.

Steffen Hudemann

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