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Ausgeprägte Aggressionen: Wenn Fußballfans hassen

Zuschauer, die ihre Mannschaft nicht ins Stadion lassen wollen. Die mit Gesten zeigen, dass sie ihren Spielern am liebsten die Kehle durchschneiden würden. Das Klima wird rauer.

Zuschauer, die ihre Mannschaft nicht ins Stadion lassen wollen. Die mit Gesten zeigen, dass sie ihren Spielern am liebsten die Kehle durchschneiden würden. Das ist erst eine Woche her, geschehen rund um das 1:1 des VfB Stuttgart im eigenen Stadion gegen den VfL Bochum. Inzwischen ist der Stuttgarter Trainer Markus Babbel entlassen, ein neuer Trainer hat die Mannschaft übernommen, aber ist deshalb jetzt alles wieder gut?

Der Krawall bleibt auch deshalb haften, weil die Stuttgarter Fanszene bisher nicht als die übelste bekannt war. Und weil die Aggression so ausgeprägt war. Die Ereignisse könnten Ausdruck einer Entwicklung im Fußball sein. „Wir beobachten, dass die Fanszene ihre Anliegen Richtung Verein immer offensiver transportiert“, sagt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle der Fanprojekte der Deutschen Sportjugend. „Das Verhältnis zwischen Zuschauern und Mannschaft wird instrumenteller, es wird ihr weniger zugestanden, dass es mal schlecht laufen kann.“

Die Stuttgarter Mannschaft wollte am Mittwoch auch nicht zur Normalität übergehen. Trotz des glanzvollen 3:1-Sieges in der Champions League kamen die Spieler im Mittelkreis zusammen, klatschten in Richtung Tribüne und stapften dann zum Kabinengang. Als es aus der Cannstatter Kurve pfiff und murrte, wo die organisierten Anhänger um das Commando Cannstatt stehen, drehten sich die Spieler etwas widerwillig und grüßten in sicherem Abstand mit routiniertem Winken. Kein Abklatschen, keine gemeinsame Welle. Die Ereignisse vier Tage zuvor hatten die Spieler noch nicht vergessen. „Was da passiert ist, war total daneben von einigen Fans“, sagt der Mittelfeldspieler Sami Khedira.

500 aufgebrachte Fans hatten sich vor einer Woche vor der Haupttribüne am Eingang zum Vip-Bereich versammelt. Sie brüllen „Scheiß Millionäre“ und „Unsere Farben habt ihr nicht verdient“. Und einige brüllen jetzt auch „Scheiß Daimler“, „Scheiß Regierung“ und „Scheiß Polizeistaat“.

Dieses Mal ist die Situation anders als bei den üblichen Sitzblockaden der üblichen Abstiegskandidaten. Und besonders für Stuttgart ist eine solche Eskalation ungewöhnlich, die schwäbischen Fans besitzen sonst eine große Frustrationstoleranz. Warum es gerade in Stuttgart eskaliert ist, nicht etwa in Berlin, wo die sportliche Situation weit dramatischer ist, dafür hat Michael Gabriel eine Erklärung: „Je größer die Identifikation in der Stadt mit dem Klub, desto höher das Risiko, dass Emotionen auch einmal umkippen können.“ Das eigene Gruppenverständnis der Fans, die eigene Wahrnehmung stehe dann über allem. „Die Fähigkeit, sich in einen jungen Fußballprofi hineinzuversetzen, ist kaum noch da.“ Dass auch Parolen gerufen wurden, die mit Fußball nichts zu tun haben, zeige, wie viele Leerstellen in der Gesellschaft der Fußball übernehmen müsse. „Aber der Fußball ist damit überfordert“, sagt Gabriel.

Ähnliche Ereignisse gab es in Stuttgart zuletzt im November 1986. Damals hatte der VfB 3:5 gegen Torpedo Moskau verloren und war somit aus dem Europapokal ausgeschieden. Nach dem Spiel entlud sich der Ärger der Fans vor allem gegenüber dem unbeliebten Trainer Egon Coordes. Einige Anhänger verfolgten ihn sogar bis ins Remstal und belagerten sein Haus. Coordes ging dann so weit und bezeichnete die Ereignisse als „Stuttgarter Reichskristallnacht“.

Am vergangenen Samstag eskaliert die Situation, als ein Teil der Menge sich in Richtung Geschäftsstelle aufmacht und diese angeblich stürmen will. Die Polizei setzt Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Einige Randalierer werfen Feuerwerkskörper und Gegenstände. Auf beiden Seiten gibt es wenige Verletzte.

In den Tagen danach veröffentlicht die Vereinsführung einen offenen Brief, in dem sie die Vorfälle verurteilt. Auch die Ultras distanzieren sich von der Gewalt. Oliver Schaal, Sprecher des Commandos Cannstatt, sagt: „Nur einige wenige haben sich danebenbenommen. Und manches, wie die Busblockade, würden wir sicher nicht mehr machen.“ Aber er kritisiert auch die VfB-Verantwortlichen: „Diejenigen, die ein Ereignis inszenieren, sagen im Misserfolg, dass es nur ein Spiel sei.“

Stuttgart ist einer der wenigen Bundesligastandorte, in denen es noch kein Fanprojekt gibt. „Es gibt kaum eine Stadt, in der die Rahmenbedingungen so günstig wären, Verein, Fans und Liga sind dafür, aber die Kommune bewegt sich nicht“, sagt Gabriel. So fehle eine Instanz zur Vermittlung zwischen Verein und Fans.

Die meisten derjenigen, die am vergangenen Wochenende noch als Schaulustige in der verärgerten Menge standen, scheinen die Ereignisse am Mittwoch schon wieder abgehakt zu haben. Denn während des Champions-League-Spiels singt das komplette Stadion „Oh wie ist das schön“ und „Wir sind immer für euch da“.

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