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Verlieren kann so schön sein. Tatihits Team bejubelt das erste Tor beim Confed-Cup. Jonathan Tehau (2. von links) hat es geschossen und brüllt deshalb auch am meisten.

© AFP

Außenseiter beim Confed-Cup: Tahiti: Willkommen im Fußball-Klub

Tahiti ist der größte Außenseiter beim Confed-Cup. Doch ein Sieg ist dem 139. der Weltrangliste nicht mehr zu nehmen: Es hat das erste Tor auf großer Bühne geschossen.

Vor dem Spiel wird Hardrock gespielt. Thunderstruck von AC/DC, das machen die jetzt so bei der Fifa, was ja ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Fortschritt ist gegenüber „We are the Champions!“ und ähnlichen Scheußlichkeiten, die sonst bei Länder- und Pokalendspielen und so als Medley über die Lautsprecheranlage dröhnen.

AC/DC also. Vielleicht war das mal geplant als Verbeugung vor den Australiern, die Ozeanien für gewöhnlich vertreten hatten beim Confed-Cup, dem Turnier der Erdteilmeister, das ein Jahr vor der WM als offizielle Generalprobe in Brasilien stattfindet. Aber die Australier spielen schon seit ein paar Jahren bei den Asiaten mit, weil es dort feste Kontingentplätze für die WM gibt.

Der Confed-Cup hat in seinen ersten Tagen schon leidenschaftliche Brasilianer, virtuose Italiener und souveräne Spanier erlebt, mithin guten bis sehr guten Fußball. Am dritten Spieltag nun muss es einen Nummer kleiner gehen. Die Bühne in Belo Horizonte betreten Nigeria und Ozeanien, und Ozeanien ist ... Tahiti. Eine Mannschaft aus Taxifahrern, Strandverkäufern, Arbeitslosen und einem in Griechenland beschäftigten Profi gastiert zum ersten Länderspiel im runderneuerten Mineirao, wie das Estadio Governador Magalhaes Pinto genannt wird.

Das ist nicht, was sich die ganz große Mehrheit der Fußballfans erträumt hat in der Hauptstadt des Bundesstaats Minas Gerais. Vor dem Umbau haben im Mineirao die Klubs Cruzeiro Belo Horizonte und Atletico Mineiro gespielt, wo ein gewisser Ronaldinho Gaucho seine letzten Runden dreht. Ronaldinho ist 33 Jahre alt und für den brasilianischen Trainer Luiz-Felipe Scolari kein Thema mehr. Vielleicht sind die Fußballfans in Belo Horizonte auch deshalb ein bisschen beleidigt. Jedenfalls kommen nur exakt abgezählte 20 817 Zuschauer, in ihrer überwiegenden Mehrheit sind sie Tahiti zugetan. Und genau das macht den Nachmittag jenseits der sportlichen Bedeutung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Denn Belo Horizonte adoptiert Tahiti, und zwar so lautstark, dass Trainer Eddy Etaeta später die bewegten Sätze sagt: „Wir haben die Herzen der Brasilianer gewonnen. Das hätten wir nie zu träumen gewagt. Ein Märchen ist wahr geworden.“

Die Namen der Spieler, die hier vorher niemand gehört hat, werden laut skandiert. Jeder nach vorn gedroschene Ball wird bejubelt. Die Burschen in den roten Leibchen können die Unterstützung gut gebrauchen, denn die Heimat ist weit weg. Tahiti bewegt sich mit der Pazifischen Platte und einer Geschwindigkeit von zwölfeinhalb Zentimetern pro Jahr Richtung Nordwest. In einer noch sehr fernen Zukunft wird die Insel also mal am Golf von Kalifornien andocken. Bis dahin ist jedes Spiel ein für die einheimischen Fans eher schwer erreichbares Auswärtsspiel. Südamerika, Australien, Mexiko – alles ist ungefähr gleich weit entfernt, und das heißt: sehr weit entfernt.

Ein paar Fans in Belo Horizonte haben in den tahitianischen Landesfarben gefeiert, sie wedeln die hübsche rot-weiße Flagge mit Sonne, Meer und Schiff in der Mitte. Als dann Jonathan Tehau den Ball tatsächlich irgendwie in das nigerianische Tor wurschtelt, dröhnt durch das Mineirao ein Orkan so laut wie am Vortag bei Mario Balotellis Siegtor für Italien im Maracana, na ja fast.

Die Nigerianer haben zu diesem Zeitpunkt, kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit, allerdings schon dreimal getroffen. Das mindert ein wenig die Spannung, nicht aber die Freude unten auf dem Rasen. Eddy Etaeta spurtet als Erster und gefolgt von allen Ersatzspielern auf den Platz zur Umarmung des Torschützen, der sicher gute Chancen hätte, stünde in dieser Minute die Neuwahl des Bürgermeisters von Papeete an. Leider fabriziert der Stürmer Tehau kurz darauf ein Eigentor, womit sich alle politischen Ambitionen ebenso erübrigt haben wie die Hoffnung des Publikums, der Afrika-Meister könne noch einmal in Schwierigkeiten kommen.

Tahiti hat es über den Ozeanien-Cup vor einem Jahr nach Brasilien geschafft. Gespielt wurde auf den Solomon-Inseln, mit den Neuseeländern als riesengroßen Favoriten, aber die flogen im Halbfinale raus gegen Neu-Kaledonien und das verlor im Endspiel 0:1 gegen Tahiti. Das Siegtor schoss Steevy Chong Hue, aber auch nach stundenlangem Suchen lässt sich von dieser nationalen Heldentat auf Youtube kein Video finden.

Steevy Chong Hue ist auch diesmal dabei, er zählt zu den Besten der doch sehr deutlich unterlegenen Tahitianer, neben dem Auslandsprofi Marama Vahirua, er verdient sein Geld bei dem nur Eingeweihten geläufigen griechischen Erstligisten PAE Panthrakikos. In der Weltrangliste steht Tahiti hinter Syrien und vor Afghanistan auf Platz 139. Trainer Eddy Etaeta hat bei der Auslosung des Confed-Cups im Dezember gesagt: „Wenn wir auch nur ein einziges Tor schießen, ist das Turnier ein Erfolg für uns.“

Die Nigerianer wirken ein bisschen befangen. Was sollen sie nur anfangen gegen diese Mannschaft, die in der Vorbereitung ein Testspiel gegen die chilenische Junioren-Nationalmannschaft 0:7 verloren hat. Natürlich müssen sie die Tahitianer ernst nehmen und natürlich freuen sie sich über jedes Tor. Aber wie sieht das denn aus, wenn man nach dem vierten, fünften oder sechsten Tor an der Eckfahne tanzt?

Am Ende trauen sich die Nigerianer nicht zu jubeln, die Tahitianer sind zu erschöpft, und Freude wäre nach einer 1:6-Niederlage auch nicht ganz die angemessene Gefühlslage. Sie bleiben dann noch ein paar Minuten im Mittelkreis und lassen sich feiern. Trainer und Spieler geben Interviews, auch das tahitianische Fernsehen ist live dabei. Der Parlamentspräsident hat daheim in Papeete eine Kabinettsitzung unterbrochen, auf dass alle Minister das Spiel schauen können. „Normalerweise sehen wir solche Turniere als Zuschauer im Fernsehen“, sagt Eddy Etaeta. „Diesmal waren wir Darsteller.“

Am Donnerstag geht’s weiter. Im Maracana von Rio de Janeiro gegen Welt- und Europameister Spanien.

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