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Sport: Außer Kontrolle

In 400 Fällen haben Dopingfahnder vergeblich nach Athleten gesucht, weil das System Lücken aufweist

Berlin - Das neue Jahr hat für Klaus Wengoborski nicht erfolgreich angefangen. Zwölf Athleten sollte der Dopingkontrolleur testen, aber gleich drei hat er nicht angetroffen. Sie hatten eine falsche Adresse oder einen falschen Aufenthaltsort angegeben. Die Tests fielen aus. „Die Kontrolleure werden für dumm gehalten“, sagt Wengoborski, der als Deutschlands bester Dopingjäger gilt. „Wir sind sauer. Wenn sich diese Häufigkeit fortsetzt, dann kann man nicht mehr sagen, dass wir in Deutschland die besten Kontrollen haben.“

Das deutsche Kontrollsystem ist jetzt heftig unter Beschuss geraten. Denn es weist offenbar große Lücken auf. Wengoborski war nicht der einzige Kontrolleur, der vergeblich nach Athleten suchte. 400 Kontrollen fanden im vergangenen Jahr nicht statt, wie eine gestern in der ARD ausgestrahlte Reportage zeigte. 4300 Trainingskontrollen waren 2006 angesetzt. Zu den nicht auffindbaren Sportlern gehören 7 Olympiasieger, 32 Weltmeister und 28 Europameister.

„Ich habe das Gefühl, dass die Sache gar nicht ernst genommen wird“, sagt Kontrolleur Wengoborski. Seine drei in diesem Jahr nicht angetroffenen Athleten stammen aus dem Badminton, dem Rodeln und dem Handball. In einem Fall lebte der Athlet seit drei Jahren nicht mehr in der angegebenen Wohnung. „Die Gelder, die rausgeworfen werden für solche Tests, sind wirklich zu beklagen“, sagt Wengoborski.

Im Sport hat nun die Suche nach den Schuldigen begonnen. Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) einen Bericht über die Einzelfälle angefordert. „Erst dann können wir bewerten, in welchem Umfang sich die Athleten tatsächlich den Trainingskontrollen entzogen haben.“

Wengoborski sieht die Verantwortung bei der Nada: „Schon seit mindestens zwei Jahren weisen wir Kontrolleure auf dieses Problem hin. Aber das geht bei denen ins eine Ohr rein und zum anderen wieder heraus, und die haben immer andere Ausreden. Die Nada muss endlich Sanktionen durchsetzen.“ Die Strafen sind klar definiert. Hat ein Athlet zweimal seine Adresse nicht richtig gemeldet, wird er mindestens für drei Monate gesperrt, beim dritten Mal ein Jahr und beim vierten Mal zwei Jahre. Das gleiche Strafmaß gilt, wenn sich der Athlet nicht rechtzeitig abgemeldet hat. Für die besten Athleten aus der nationalen Testgruppe gilt eine Abmeldepflicht, wenn sie länger als 24 Stunden von ihrem offiziellen Aufenthaltsort entfernt sind.

Sperren können nur von den Verbänden ausgesprochen werden, doch die Meldung über einen verpassten Dopingtest eines Athleten, also einen so genannten Missed Test, hat die Nada den Verbänden nur in wenigen Fällen weitergegeben. Dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) meldete die Nada im vergangenen Jahr nur einen konkreten Missed Test, wie DLV-Präsident Clemens Prokop sagte. Es handelte sich um den eher unbekannten 800-Meter-Läufer Waldmann. „Da war Schlampigkeit im Spiel“, sagt Prokop, „der hat sich nicht rechtzeitig abgemeldet.“ Trotzdem sei er als Ersttäter regelgerecht öffentlich verwarnt worden.

Der Olympiasieger und fünfmalige Weltmeister Lars Riedel, auf den es in dem ARD-Bericht Hinweise gab, galt für die Nada nicht als Missed Test. Angeblich soll Riedel laut ARD-Unterlagen fünfmal nicht angetroffen worden sein. Riedel bestreitet das und übernimmt nur für einen Fall die Verantwortung.

Prokop verweist auf eine Grauzone. „Ein Athlet kann nicht 24 Stunden am gleichen Ort auf einen Kontrolleur warten. Wenn der Fahnder einen Athleten nicht sofort antrifft und die Kontrolle ein paar Stunden später nachholt, ist das noch kein Missed Test.“ Bis jetzt ist auch nicht geklärt, in welchen der 400 Fälle ein Athlet auch nach wiederholtem Versuch nicht angetroffen wurde.

Der Deutsche Schwimmverband (DSV) hat sogar in den vergangenen drei Jahren keine offizielle Missed-Test-Meldung erhalten. Das erklärt DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass Schwimmer besonders zuverlässig sind. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Leute ständig sofort anzutreffen waren“, sagt ein DSV-Insider. Allerdings könne es gut sein, dass nach einer gewissen kurzen Verzögerung doch noch eine Kontrolle stattgefunden hat. Aber solche Fälle würden im Verband nicht bekannt.

Nada-Geschäftsführer Roland Augustin will die 400 Missed Tests nicht bestätigen und stattdessen an diesem Donnerstag eine eigene Statistik vorlegen. Schon jetzt räumt er aber ein: „Wir haben im Regelwerk eine Lücke.“ Athleten können sich schließlich an unterschiedlichen Stellen abmelden, bei der Nada, bei der Welt- Anti-Dopingagentur (Wada) und bei ihrem internationalen Verband. „Das klappt aber hinten und vorne nicht“, sagt Augustin. Auch funktioniere der Datenabgleich zwischen den Organisationen noch nicht. Dem Athleten dann etwas vorzuwerfen, sei juristisch schwierig.

Abhilfe versucht die Nada nun durch eine Harmonisierung des Meldesystems zu schaffen. Künftig sollen alle Athleten aus dem nationalen Testpool die Angaben über ihre Aufenthaltsorte in eine standardisierte Liste eingeben, die auch die Welt-Anti-Dopingagentur benutzt. Vielen Athleten ist aber noch nicht einmal das bisherige Meldesystem bekannt. Sie glauben auch irrtümlich, dass ihr Verband für ihre Abmeldung zuständig sei. Wengoborski sagt: „Die kümmern sich nicht darum. Aber meine Erfahrung sagt mir: Die Athleten, die ihre Daten gut führen, fallen auch nicht bei den Dopingtests auf.“

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