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Australiens Tennisliebling: Samantha Stosur und die Angst vor dem Heimvorteil

Die Unterstützung ihrer Landsleute könnte für Samantha Stosur in Melbourne zur Belastung werden.

An einen Moment kann sich Samantha Stosur besonders gut erinnern. Ein paar Stunden waren nach ihrem Sieg bei den US Open im September vergangen, als sie in ihrem New Yorker Hotelzimmer die Schlägertasche neben sich auf den Boden fallen ließ und plötzlich anfing zu weinen. „Da hat es mich voll erwischt“, sagte sie, „das war ein bizarres Gefühl. Irgendwann sagte ich mir: Was machst du da? Es ist doch alles in Ordnung.“ Samantha Stosur ist ein sehr emotionaler Mensch, und vielleicht lag es auch daran, dass es mit ihrem ersten Grand-Slam-Titel erst mit 27 Jahren geklappt hatte. Zu gerne möchte die Australierin nun auch in Melbourne triumphieren, doch das scheint für Stosur die schwerste aller Aufgaben zu sein.

Es ist nicht so, dass Stosur von Haus aus eine ängstliche Spielerin wäre. Im Gegenteil, ihre Spielweise ist aggressiv und mit viel Spin geladen, und ihren berüchtigten Kickaufschlag beherrschen eigentlich sonst nur Männer. In New York waren vor vier Monaten nicht weniger als 20 000 Zuschauer im Finale gegen sie gewesen, als sie die Amerikanerin Serena Williams fast vorführte. Das gesamte Arthur-Ashe-Stadium bildete eine einzige Front, die unaufhörlich gegen sie opponierte, aber Stosur behauptete sich. Doch immer dann, wenn sie einen Fuß in die heimische Rod-Laver-Arena setzt, ist Stosur wie paralysiert. Die australischen Fans verehren ihre „Sam“ und würden sie am liebsten mit ihren Anfeuerungen zum Titel tragen. Aber Stosur war von der Erwartung stets wie gelähmt. Mit Mühe hatte sie es zweimal wenigstens ins Achtelfinale der Australian Open geschafft. Meist war aber früher Schluss.

Dass sie vor einem Jahr in der dritten Runde gegen die Tschechin Petra Kvitova ausschied, bevor diese Wimbledonsiegerin geworden war, wurde wie eine nationale Tragödie von den australischen Medien begleitet. Überhaupt machten es ihr die Journalisten in der Vergangenheit nicht gerade leicht. Nachdem sie 2010 bei den French Open in ihr erstes Grand-Slam-Finale eingezogen und dort der Italienerin Francesca Schiavone unterlegen war, fiel die Kritik vernichtend aus. Sie habe sich eine Riesenchance entgehen lassen. Solch eine Gelegenheit würde für sie wohl kaum wieder kommen. Umso schöner war dann der Triumph bei den US Open, der für die Weltranglistensechste wie aus dem Nichts zu kommen schien. „Ich weiß, meine Matches werden jetzt viel genauer beobachtet. Besonders die Niederlagen“, sagte Stosur, „um alles wird noch mehr Aufhebens gemacht.“

So wurde auch mit gewisser Sorge beobachtet, dass Stosur nach ihrem Coup im Herbst kaum noch etwas gewann. Auch der Saisonauftakt mit einer Zweit- und einer Erstrundenniederlage in Brisbane und Sydney verlief für den Publikumsliebling enttäuschend. Das Los für die erste Runde in Melbourne meinte es auch nicht besonders gut, denn die begabte Rumänin Sorana Cirstea besiegte Stosur zwar schon zweimal, unterlag ihr aber mal beim Hopman Cup.

„Ich darf niemanden zu leicht nehmen, es wird extrem schwer, hier zu gewinnen.“ Dabei ist das Feld der Favoritinnen ohnehin so groß wie nie. Die Ära der Williams-Schwestern neigt sich dem Ende zu, und unter den Nachkommenden hat sich noch keine klare Hackordnung herausgebildet. Vier verschiedene Grand-Slam-Siegerinnen gab es 2011 (Kim Clijsters, Li Na, Kvitova und Stosur), sie gelten auch diesmal als Titelkandidatinnen. Es ist für Stosur die große und vielleicht einmalige Chance, in dieses kurzzeitige Machtvakuum hineinzustoßen und den so sehnlichst erhofften Heimslam zu gewinnen. Ganz Australien wird dabei fast allein auf sie schauen, denn Altmeister Lleyton Hewitt steuert in Richtung Karriereende, und für den vielversprechenden Newcomer Bernard Tomic kommt der große Titel noch zu früh. Seit Chris O’Neil 1978 hat keine Australierin mehr die Trophäe gewonnen, für die einst so große Tennisnation eine schier endlose Durststrecke. „Meine Erwartungen an mich selbst sind auch gewachsen“, sagte Stosur, „aber ich habe die Zuschauer im Rücken, und das ist eine verdammt gute Ausgangslage.“

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