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Kevin-Prince Boateng will nicht nur mit seinen Jubelgesten auffallen.

© Reuters

Autobiographie des Berliners: Kevin-Prince Boateng und sein Drang zur Selbstdarstellung

In seiner Autobiographie attackiert Kevin-Prince Boateng auch seinen Ex-Klub FC Schalke 04 - deshalb könnte ihm nun eine hohe Geldstrafe drohen.

Lange nichts mehr gehört von Kevin-Prince Boateng. Nach dem Rauswurf auf Schalke und der Rückkehr nach Italien ist er beim AC Mailand noch in der Aufbauphase, er ist dabei immerhin fünfmal eingewechselt worden und hat ein Tor geschossen. Lief eher am Rande, ganz im Gegensatz zu den Meldungen über sein an diesem Donnerstag in den Verkauf gegangenes Buch, verfasst mit dem Journalisten Christian Schommers, der zuletzt Boris Beckers Autobiographie verantwortete. Boateng veröffentlicht seine Lebensgeschichte im reifen Alter von 28 Jahren und widmet sie „dem kleinen Jungen, der am 6. März 1987 in Berlin-Wedding geboren wurde. Der durch mehr Tiefen und Höhen gegangen ist und trotzdem nie sein Lächeln verloren hat. Dieser Junge heißt Kevin-Prince Boateng“.

Das Buch trägt den bescheidenen Titel „Ich, Prince Boateng“. Es thematisiert seinen Aufstieg aus dem, nun ja, gutbürgerlichen Ghetto Wedding zum kickenden Multimillionär genauso wie seine gar nicht hoch genug einzuschätzende Verdienste im Kampf gegen Rassismus. Damals, als er an einem Wintertag vor drei Jahren mit der gesamten Mannschaft vom Platz marschierte, weil ihn ein paar Dumpfbacken auf der Tribüne beleidigt hatten. Dazu gibt es auch ein paar neuere Aufgeregtheiten.  Eine betrifft seine berüchtigte Grätsche im englischen Pokalfinale 2010 gegen Michael Ballack, die den deutschen Kapitän bekanntlich die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Südafrika gekostet hat. Boateng beteuert noch einmal, er habe keineswegs absichtlich Ballacks Knöchel getroffen, aber ein paar deutsche Spieler hätten sich das offensichtlich gewünscht. Jedenfalls habe er allerlei Glückwünsche  „von deutschen Nationalspielern bekommen mit dem Tenor: ‚Gut, dass er nicht dabei ist’“.

Das ist zum einen so unwahrscheinlich nicht, da Fußballprofis für gewöhnlich balltretende Ich-AGs sind und Ballacks Beliebtheitswerte damals doch sehr bescheiden ausfielen. Zum anderen wird Boatengs Kolportage kaum juristische Konsequenzen haben, da er  keine Namen nennt und eine Klage  der juristischen Person „deutsche Nationalspieler“ doch eher unwahrscheinlich ist. Auch sein ehemaliger Trainer bei Hertha BSC, Falko Götz, wird kaum dagegen vorgehen, dass im Buch wenig vorteilhaft von seinem Mundgeruch die Rede ist.

Boateng kritisiert Benedikt Höwedes und Jens Keller

Da könnte es mit seinem vormaligen Arbeitgeber schon ein wenig komplizierter werden. Im finalen Teil seines Buches arbeitet Boateng die Gründe seines Abgangs aus Gelsenkirchen auf. Wenig überraschend wird die Schuldfrage recht einseitig abgehandelt. In Kurzform: Boateng hat Schalke mit seiner Spielkunst und Aura auf ein neues Niveau geführt. Dann kamen Verletzungen und die Missgunst Dritter, namentlich erwähnt wird ein ums andere Mal der Schalker Kapitän Benedikt Höwedes. Boateng hat dennoch weiter loyal zum Trainer Jens Keller gehalten, der zwar ein prima Kumpel war, aber eine Nummer zu klein war für den Job, und das mit der Taktik hat er zum Schluss leider nicht auf die Reihe bekommen. Kellers Nachfolger Roberto Di Matteo hat dann vor allem den Fehler gemacht, zu wenig auf Boateng zu setzen, da musste der Laden ja die Emscher runter gehen. Weil das aber niemand wahrhaben wollte und alle ein Bauernopfer suchten, fiel die Wahl eben auf... genau!

Nun gehört zum Auflösungsvertrag zwischen Schalke und Boateng wohl eine Klausel, die beide Seiten dazu verpflichtet, sich über den jeweils anderen nicht abträglich zu äußern. Das ist längst üblich, verträgt sich aber nicht mit den Grundsätzen des Marketing. Boatengs Kindheitserinnerungen sind längst auserzählt, für Skandale und Kolportagen aber lassen sich im lesemüden Deutschland noch immer Käufer finden. Schalkes Manager Horst Heldt hat das nach Studium der entscheidenden Kapitel im Gespräch mit der "WAZ" so formuliert: „Im Zuge unseres friedlichen Auseinandergehens habe ich schon berücksichtigt, dass es sowohl für Kevin als auch für Schalke 04 wichtig ist, das sauber zu beenden – und keine schmutzige Wäsche zu waschen.“  Und: „Sollte es im Buch nun doch Passagen geben, in denen er sich über aktuell oder ehemals handelnde Personen aus dem Verein negativ äußert, dann wird er nicht so viele Bücher verkaufen können, wie die Strafe kostet.“ Im Gespräch sind 500.000 Euro.

Kevin-Prince Boateng wird um dieses Risiko gewusst haben. Aber der Drang nach Rechtfertigung und angemessener Selbstdarstellung war wohl so stark wie damals, an jenem Wintertag vor drei Jahren, als ihn ein paar Dumpfbacken auf der Tribüne beleidigten.

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