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Champions League - FC Chelsea London - Girondins Bordeaux

© dpa

Ballack im Tagesspiegel-Interview: "Das Bild von der Spaßgesellschaft trifft nicht zu"

Michael Ballack spricht im Tagesspiegel-Interview über das Wesentliche im Fußball, öffentliches Training mit 5000 Fans, den Streit mit Bierhoff und Robinhos Transfer von Real Madrid zu Manchester City.

Herr Ballack, sind Sie ein Fußball-Purist?

Das weiß ich nicht. Wie kommen Sie darauf?

Ihr Konflikt mit Oliver Bierhoff wirkte wie ein Richtungsstreit zwischen der reinen Fußballlehre auf der einen sowie der Spaß- und Eventkultur auf der anderen Seite.

Ich bin schon für Spaß. Aber der Fußball muss immer an erster Stelle stehen.

War das die Wurzel Ihres Streits?

Im deutschen Fußball wurde in den letzten vier Jahren ein anderer Weg eingeschlagen mit Jürgen Klinsmann, mit anderen Methoden, mit viel Programm für junge Spieler, viel Drumherum, bei dem die Anbindung auch außerhalb vom Fußball eine wichtige Rolle spielt, was die Freizeitgestaltung betrifft und vorher nie so der Fall war. Wir sind in die Städte gegangen, vorher war es jahrelang normal, draußen und abgeschirmt zu sein. Der Kontakt zu den Fans wurde intensiver, das ganze Drumherum, das du vorher ausgeblendet bekommen hast, weil du an einem Ort warst, wo du dich gar nicht damit beschäftigen konntest. Weil die Verantwortlichen das auch nicht wollten. Jürgen Klinsmann war der erste, der das in eine andere Richtung gelenkt hat, zusammen mit Oliver Bierhoff. Das hat sich dann immer weiter entwickelt. Den Spielern gefällt das ja auch. Man ist ja auch Mensch. Aber wenn man dadurch den Blick für das Wesentliche verliert, muss man sich damit beschäftigen.

Wie kam es dann zu dem Konflikt, der direkt nach dem letzten EM-Spiel ausbrach, wegen eines Dank-Transparents für die Fans?

Wer mich kennt, der weiß, dass es mir fremd ist, so auf dem Platz aneinanderzugeraten. Der Grund war ja auch nicht dieses Transparent, das war ja nur der Auslöser. Wir geraten doch nicht aneinander, weil er sagt: Trag mal das Transparent in die Fankurve. Das ist doch für mich noch lange kein Grund. Da waren schon ein paar andere Dinge vorgefallen. Aber das ist überstanden und für mich abgehakt.

Es geht ja letztlich weniger darum, dass sich zwei Leute gestritten haben, sondern um die Inhalte. Wohin soll die Richtung gehen mit der Nationalmannschaft?

Als Fußballer hast du gewisse Automatismen und gewisse Erfahrungen. Routine ist wichtig. Wenn immer wieder Neues eingeführt wird, dann mag das vielleicht für junge Spieler, die neu dazukommen, hilfreich sein. Und es heißt nicht, dass grundsätzlich alles Neue schlecht ist. Im Gegenteil, Ich will das mal so ausdrücken: Es gibt ein Fundament, an dem orientiert man sich und davon will man auch nicht weggehen. Damit bist du groß geworden und es hat dich stark gemacht. Deswegen gibt es ab und zu Reizpunkte. Da muss und will ich als Kapitän und erfahrener Spieler meine Meinung dazu sagen. Eines wollen wir aber alle gemeinsam: Gewinnen, Erfolg. Und wir müssen diese Ziele auch gemeinsam verfolgen.

Was ist denn das Fundament, das Sie meinen?

Trainingsarbeit, Vorbereitung, Trainigsmethoden. Abläufe, die der Körper kennt. Eine klar strukturierte Vorbereitung auf ein Spiel. Das ist bei der Nationalmannschaft umso wichtiger, weil man dort nur kurz zusammen ist. Man hat nicht die Zeit wie im Vereinsfußball. Jeder Spieler kommt mit verschiedenen Eindrücken, die er kurz zuvor noch gehabt hat. Schlechte oder gute Spiele. Und drei Tage später muss es funktionieren. Da muss es Automatismen geben.

Glauben Sie, dass Ihre Botschaft angekommen ist?

Ich denke schon. Die Entwicklung der Mannschaft ist ja gut. Aber sie ist eben auch gut, weil die Mischung stimmt. Weil die Hierarchie stimmt, so wie sie aufgeteilt ist. Es ist wichtig, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert und sich nicht zu sehr ablenken lässt. Es wird da oft ein Bild von der Spaßgesellschaft vermittelt, das so nicht zutrifft.

Ist Ihnen Oliver Bierhoff bei Ihrem Versöhnungs-Telefonat entgegengekommen?

Ich will da keine Details nennen. Oliver Bierhoff hat seinen Bereich, für den er zuständig ist, und ich habe meinen. Ich mache meinen Job als Spieler und Kapitän. Er hat eben andere Aufgaben. Wir werden uns weiterhin gut ergänzen und professionell zusammenarbeiten.

Wer ist denn nun wirklich auf wen zugegangen?

Das ist dann gleich immer die Frage: Wer hat wen angerufen. Wir waren beide daran interessiert, dass das aus der Welt kommt. Wir haben ja auch schon vorher gesprochen, schon in München. Letztlich ist es nicht wichtig, wer den ersten Schritt gemacht hat.

In der „Neuen Zürcher Zeitung“ war gerade von einer Kampagne gegen Sie die Rede, in der Sie demnach als Spielverderber und Spaßbremse rüberkommen.

Das ging ja nur von einer Zeitschrift aus, der „Sport-Bild“. Diese Zeitschrift wird regelmäßig durch diese Art und Weise von „Berichterstattung“ auffällig. Da wurde dann auch noch behauptet, ich sei unter den Mitspielern isoliert. Die Gründe für dieses Verhalten kenne ich nicht. Solche Behauptungen sind an den Haaren herbeigezogen, frei erfunden und zielen darauf ab, mir persönlich zu schaden.

Es wurde auch behauptet, dass Sie angeblich Ihre Kollegen aus der Nationalmannschaft nicht zu Ihrer Hochzeit eingeladen hätten.

Wer so etwas behauptet, disqualifiziert sich selbst. Das ist meine Privatsache, wen ich zu meiner Hochzeit einlade. Da waren einige wenige Spieler eingeladen, zu denen ich ein freundschaftliches Verhältnis habe. Die wurden eingeladen, andere nicht. Das hat doch nichts mit unserem sportlichen Verhältnis oder einem kollegialen Umgang in der Mannschaft zu tun.

Eintracht Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen kritisiert, dass Oliver Bierhoff als Manager der Nationalelf auch noch eine Vermarktungsagentur führt. Wie sehen Sie das?

Ich habe das gelesen. Aber das ist nicht mein Thema.

Welche Rolle hat denn nun Oliver Bierhoff?

Er ist der Teammanager. Er organisiert viele Dinge um die Nationalmannschaft herum.

In England, wo Sie beim FC Chelsea spielen, sind die Spieler abgeschottet von Journalisten und Fans. Wäre das ein Modell für Deutschland?

Was Jürgen Klinsmann ja jetzt auch als Trainer bei den Bayern macht, das ist hier völlig normal. Das ist seit Jahren so. Ich kenne das hier gar nicht anders. Arsenals Trainer Arsene Wenger hat dazu einen guten Satz gesagt: Der Trainingsplatz ist zum Arbeiten und das Stadion ist für die Fans.

Das wäre eine Faustregel auch für Deutschland?

Natürlich sollte es auch öffentliches Training geben. Aber nicht ständig. Im Sommer, in den Ferien, sechs Wochen lang kommen beim FC Bayern bis zu 5000 Leute täglich zum Training. Das erschwert die konzentrierte Arbeit auf dem Platz. Es geht nicht darum, die Fans auszusperren, das macht ja auch Jürgen Klinsmann nicht. Aber als Spieler muss man professionell arbeiten. Das ist doch in jedem anderen Job auch so. Klar ist das schwierig bei populären Vereinen. Da kommen die Leute mit Bussen, um sich das Training anzuschauen. Das macht den Verein transparent und beliebt. Uli Hoeneß würde das wahrscheinlich jeden Tag so machen (lacht). Aber als Spieler oder Trainer hätte er das vielleicht auch anders gesehen. Als Spieler finde ich die Situation in England gut und jeder, der neu nach England kommt, findet das super. Es ist sehr angenehm, wenn man die Woche über in Ruhe arbeiten kann und für sich ist.

Aber ganz so sensibel sind Sie doch sicher nicht.

Es beeinflusst dich als Spieler bei deiner Trainingsarbeit. Egal, was du machst. Ich glaube nicht, dass amerikanische Basketballprofis beim Training 5000 Leute haben, wenn sie bestimmte Spielzüge einüben.

In der NBA dürfen Journalisten sogar in die Kabine.

Nach dem Spiel, ich weiß. Das muss auch nicht sein. Das ist wohl eher Marketing.

Wie wichtig ist für Sie die Beziehung zu den Fans?

Die Atmosphäre in den Stadien ist wichtig. Ich erlebe das ja hier in England mit. Die Zuschauer haben einen unheimlichen Einfluss. Das ist einzigartig in Europa. Das macht Spaß. Wie dort mitgegangen wird. Selbst wenn es nur einen Einwurf gibt, wie man da angepeitscht wird. In Deutschland, Spanien oder Italien wird eher das Spiel beobachtet. Sicherlich gibt es auch Fankurven. Aber der normale Zuschauer beobachtet eher das Spiel. Hier gehen sie überall im Stadion mit.

Hat das einen Einfluss auf den Spielstil?

Ja. Man hat das kontrollierte Spiel hier nicht so sehr. Wenn du im Mittelkreis den Ball hast, wenn du querspielst und die Fans sehen eine Chance zum Marschieren. Sie sehen das von oben ja besser. Und wenn du das nicht nutzt, reagieren sie sofort, auch wenn man in Führung liegt. Dann rumort es im Stadion und das bekommt man auf dem Platz sofort mit. Da wird man immer wieder nach vorn getrieben. Und so beeinflussen die Zuschauer das Spiel.

Englands Nationaltrainer Fabio Capello und Chelseas Trainer Luiz Felipe Scolari sagen, dass ihre Mannschaften zu oft den Ball verlieren.

Das merkt man schon. Du suchst dann hin und wieder das Risiko einen Tick zu oft und spielst den Ball zu schnell nach vorne, wo es vielleicht manchmal gar nicht angebracht wäre. Das macht die Attraktivität des Spiels aber auch aus. Es geht schneller hin und her. Du verlierst aber auch hin und wieder mal einen Ball. Aber das gegnerische Team spielt ja genauso, auch schnell nach vorn. Und entsprechend gewinnst du auch wieder den Ball. Deshalb sieht das Spiel auch schneller aus. Es geht schneller hin und her. Italiener oder Spanier laufen ja nicht langsamer als Engländer. Aber die Aktionen in England sind schneller zu Ende. An diesen Spielrhythmus gewöhnen sich auch die ausländischen Spieler. Die Intensität ist viel höher als in anderen Ländern.

Für Sie war das am Anfang in der Premier League auch nicht leicht.

Am Anfang musste ich hier Kritik einstecken. Die Fans haben mir aber immer vertraut und darauf gewartet, dass ich die Effektivität, für die ich bekannt bin, umsetze und rüberbringe. Im zurückliegenden Jahr konnte ich das dann zeigen. Das wurde anerkannt.

England ist nicht nur ein positives Beispiel. Wie sehen Sie die häufigen Besitzerwechsel bei den Klubs, Beispiel Manchester City?

Dass Geld reinkommt, ist ja gut für den Fußball. Die Idealvorstellung eines Vereins – man bildet Talente aus, fördert sie und ist irgendwann mit ihnen so gut, dass man oben spielt – ist sicher nicht mehr gegeben. Da kauft dann jetzt ein Verein wie Manchester City so einfach Robinho von Real Madrid weg. Es hängt aber von jedem einzelnen Spieler ab, ob er so etwas macht oder nicht. Ich wäre an seiner Stelle nicht zu Manchester City gegangen. Einen Wechsel von Real Madrid zu Manchester City kann man sportlich schwer begründen.

Und wie war das bei Ihnen und dem FC Chelsea?

Ich habe hier sicher auch einen guten Vertrag. Mein sportlicher Weg aber war kontinuierlich: Ich bin von Chemnitz nicht nach Bremen gegangen, obwohl ich dort ein Angebot hatte, sondern nach Kaiserslautern, zum Aufsteiger, bei dem ich mehr Chancen gesehen habe, zu spielen. Dann bin ich nach Leverkusen und nicht zum FC Bayern, wo ich auch einen unterschriftreifen Vertrag vorliegen hatte. Dann 2002 zu Bayern und nicht zu Real Madrid, obwohl mir auch von dort ein lukratives Angebot vorlag. Und jetzt zum FC Chelsea, einem absoluten Topklub in der derzeit besten Liga der Welt.

Und dann weiter?

Ich fühle mich beim FC Chelsea und in der Stadt London wohl und würde meine Karriere gern hier beenden.

Ist Chelsea nicht auch so ein neureicher Verein?

Nein. Das ist ein Klub, der wächst. Schauen Sie sich mal unsere Jugendarbeit an, was da alles geschieht. Dieser Verein begründet eine neue Tradition. Er wird viele Erfolge feiern. Ich könnte dann in 20 Jahren sagen: Ich war bei Chelsea. Das war meine letzte Station.

Mit einem internationalen Titel für Sie?

Natürlich sehr gern, aber ich bin kein Sportler, der sich nur über Titel definiert. Es bestimmt nicht mein Denken und Handeln, dass ich ein paar Mal am internationalen Titel vorbeigeschrammt bin. Das ist einfach so. Für mich ist wichtig, dass ich von klein auf meinen Weg gegangen bin, der so für mich als Kind kaum vorstellbar war. Dass ich mal Kapitän der deutschen Nationalmannschaft werde! Auch wenn der ganz große internationale Titel nicht kommt, werde ich weiter gefestigt im Leben stehen.

Das Interview führte Markus Hesselmann.

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