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Sport: Ballermann in Bremen

Die Stadt feiert die Meisterschaft, während die Mannschaft Ausnüchterungsfußball spielt

Es bedurfte schon eines stillen Moments, damit einer die unwirkliche Werder-Welt treffend beschrieb. Dieter Burdenski, Werders Torwarttrainer und einer der Überlebenden der Rehhagel-Ära, brachte im turbulenten Treiben des völlig überfüllten Bremer Rathauses den verbalen Volltreffer des Tages an. „Das hat es noch nie gegeben“, sagte Burdenski mit leiser Stimme, „und das wird es auch nie wieder geben.“

Bremen berauscht sich in nie da gewesener und nie erlebter Begeisterung am vierten nationalen Titel. Der Bürgermeister, der Zwei-Meter-Mann Henning Scherf, hat sich die Werder-Raute auf die Wange gepinselt, die Nachbarn von Thomas Schaaf haben in dessen Wohnort Stuhr-Brinkum Häuser und Laternen grün-weiß dekoriert, in dessen Garten einen Mast eingebuddelt und eine Fahne gehisst und die Kleiberstraße kurzerhand in „Thomas-Schaaf-Straße“ umbenannt. In Bremen fahren die Spieler am Sonntag mit staunenden Augen im Autokorso durch überfüllte Straßen, an denen die Begeisterung überbordet. Immer wieder müssen die Spieler die glänzende Meisterschale vor dem Zugriff Unbefugter schützen, weil wildfremde Menschen auf die Autos klettern, nur um Hand und Mund an die silbrige Schale zu legen.

„Das Größte, was Werder Bremen bisher geleistet und erlebt hat“, sagt Vereinspräsident Klaus-Dieter Fischer drinnen im Rathaussaal voller Stolz, während draußen auf dem Balkon Ailton nach dem auf „Der Deutsche Meister kommt vom Weserstrand“ umgetauften Song der Barden Klaus & Klaus schunkelte. Mehr als 100 000 Menschen jubelten am Sonntag auf Bremens Straßen, 50 000 waren es auf dem Marktplatz am Fuße des Rolands. „Wir haben es geschafft, Werder intensiv in die ganze Bevölkerung einzubringen. Dieser Verein lebt intensiver und ist attraktiver als je zuvor“, sagt Geschäftsführer Klaus Allofs beim Blick auf euphorisierte Menschenmassen.

Am Samstagnachmittag war selbst das 2:6-Debakel gegen Bayer Leverkusen noch mit dem Abpfiff zur Randnotiz zur Randnotiz geworden. Alles wartete nur auf den Moment, als gegen halb sechs Werders Kapitän Frank Baumann aus den Händen von DFB-Teamchef Rudi Völler im grün-weißen Konfettiregen die Meisterschale entgegennahm.

Es ist die unwirkliche Werder-Welt, die so etwas derzeit möglich macht. Und niemand nimmt es übel, wenn die Meister-Helden rein sportlich betrachtet eine Demütigung erster Güte erfahren. „Wir haben gespielt wie eine C-Jugend“, befand Kapitän Frank Baumann. Und aufgetreten waren die Bremer mit ihren grün-weiß-orange getünchten Haaren wie eine Freizeit-Truppe, die nach einer einwöchigen Mallorca-Tour noch ein Ausnüchterungsspiel absolviert.

„Haarefärben und Feiern allein schießt keine Tore“, sagte Allofs, der das Ergebnis nur im Hinblick auf das DFB-Pokalfinale als „heilsam“ empfand. Meisterliches veranstalten Werders Profis derzeit vor allem außerhalb des Rasens. So war es kein Wunder, was Werder am Samstag ereilte. „Wir haben die ganze Woche viel gefeiert und wenig geschlafen“, gestand der Abwehrspieler Ismael. „Ich stehe jeden Morgen auf und gratuliere mir selbst“, sagte der müde Mittelfeldspieler Fabian Ernst.

„Wenn man als Meister spielt, fehlt die letzte Konzentration“, erklärte Leverkusens Trainer Klaus Augenthaler, „das ist mir als Spieler bei Bayern oft genug passiert.“ Die Leverkusener nutzten das sinnfreie Bremer Wirken an diesem Tag wie ein wahrer Champion aus. Herausragend waren der dreifache Torschütze Franca und der hoch veranlagte Stürmer Dimitar Berbatow. In der Verfassung ist Bayer bestens gerüstet, um mit einem Sieg am nächsten Samstag den VfB Stuttgart noch vom dritten Platz und damit der Champions-League-Qualifikation zu verdrängen.

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