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Sport: Basketball: Eine Legende spielt mit ihrem Mythos

Der Star verkündete die Sensation lakonisch. Michael Jordan hatte vor seinem Restaurant gesessen, mit drei Reportern, irgendwo in Chicago, und nun stand er auf, reckte sich kurz, und schlenderte zu seinem Wagen.

Der Star verkündete die Sensation lakonisch. Michael Jordan hatte vor seinem Restaurant gesessen, mit drei Reportern, irgendwo in Chicago, und nun stand er auf, reckte sich kurz, und schlenderte zu seinem Wagen. Dann, so erzählt einer, der dabei war, drehte sich Jordan um und sagte: "So, Jungs, jetzt habt ihr eure Story."

Es wäre die Story gewesen. Als Michael Jordan einen CNN-Reporter und zwei von dessen Kollegen traf, ahnte noch niemand, dass ein paar Stunden später tausende Menschen bei den Terroranschlägen in den USA sterben würden. Vor diesem Hintergrund ist es eine Petitesse, was CNN, der Nachrichtenkanal, verkündete und weshalb der Sender sein laufendes Programm unterbrach: "Michael Jordan wird auf das Basketballfeld zurückkehren. Er wird für die Washington Wizards spielen. Er hat sein Comeback so gut wie bestätigt. Und er sagte, er mache es aus Liebe zu diesem Sport, nur deshalb."

Michael Jordan wird wieder Basketballer, der beste, der kompletteste Spieler aller Zeiten, der ewige Star der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA, der Mann, der die Chicago Bulls zu sechs Meistertiteln führte, der reichste Sportler der Welt mit einem geschätzten Vermögen von fast 400 Millionen Dollar. Der Profi, der den Slam Dunk Contest gewann. Der Slam Dunk ist eine Show-Einlage bei einem All-Star-Spiel, er wird jedes Jahr verliehen, aber Jordan adelte seinen Auftritt zur Legende. Er nahm Anlauf übers ganze Feld, sprang von der Freiwurf-Linie ab und versenkte dann den Ball im Korb. Unglaublich. Das hatte es vor ihm nur einmal gegeben, das gab es nach ihm nie mehr. Das war Jordan. Wenn er sprang, sah es aus, als schwebte er. Sie nannten ihn "Air Jordan", und sie sprachen diesen Namen so aus, dass immer alles mitschwang. Respekt, Bewunderung, Ehrfurcht.

Diese Ehrfurcht umgibt Jordan wie einen Schutzpanzer. Der Respekt lässt keine differenzierte Betrachtung von ihm zu, er existiert nur als Gesamtkunstwerk. Was stört es denn, dass es Jordans zweites Comeback ist? Er war schon am 6. Oktober 1993 zurückgetreten. "Ich verbessere mich spielerisch nicht mehr", hatte er gesagt. 18 Monate und einen glanzlosen Auftritt in der Baseball-Profiliga später kehrte er zu den Bulls zurück. 1999 trat er wieder zurück. Aber niemand in den USA wagt es, über die zweite Rückkehr zu lästern. Besser gesagt: Niemandem würde es einfallen. Jordan ist eine Legende in den USA. Über Legenden lästert man nicht. Die betet man an. Und wen störte es, dass Jordan monatelang leugnete, an einem Comeback zu arbeiten? Die dauernden Dementis steigerten bloß die Spannung.

Jordan spielt nun für die Wizards. Das liegt nahe. Dort ist er, seit einem Jahr, Sportdirektor und Miteigentümer. Wizards und Jordan, das ist eigentlich wie Beckenbauer und der FC St. Pauli. Das passt nicht richtig. Die Wizards waren in der vergangenen Saison in der Eastern Conference nur Drittletzte. Jordan ging zu ihnen, weil man ihn bei den Bulls als Sportdirektor nicht wollte. Jetzt möchte er Washington hoch bringen. "Ein Erfolg", sagt er, "kann schon ein Play-off-Platz sein." Er sagt das, weil er von seinem Team den Druck nehmen will. Jordan allein kann die Wizards nicht ins Finale führen. Und natürlich will er auch Druck von sich nehmen. Er ist ein Legende, aber eine Legende ist auch etwas Abstraktes. Die Legende Jordan lebt von ihrem Mythos.

Der Basketballer Jordan aber ist 38, und er weiß nicht, wie weit er von seiner Bestform weg ist. Er weiß nur, dass er sich knüppelhart auf die bevorstehende Saison vorbereitet. So hart, wie er immer gearbeitet hat. Er holte sich die besten NBA-Profis in eine Halle in Chicago und spielte gegen sie. Mann gegen Mann oder in Zweier-Gruppen. Stundenlang. Wenn die NBA-Stars in die Halle kamen, tauchte Jordan gerade aus dem Kraftraum auf.

Es ist ein Experiment, das weiß Jordan. Eigentlich kann er nur verlieren. Er ist schon eine Übergröße, und er kann sie höchstens bleiben. Aber die Fans kennen nur den sprunggewaltigen Jordan, der sich in der Luft bewegte, als wären für diesen Mann alle physikalischen Gesetze abgeschafft, die andere 1,98-m-Kolosse zu hölzernen Figuren machen. Michael Jordan kämpft nun gegen diese Bilder an. Ob er die Übergröße bleiben wird für die Fans, das hängt von seinen Tricks, seinen Dunkings, von jenen Szenen ab, die ihn zur Legende machten.

Andererseits: Hat er denn eine Alternative? Wahrscheinlich nicht, solange er nicht weit über 40 ist und zu alt für die NBA. Denn im Basketball spürt er eine Vollkommenheit, die er sonst nicht findet. Weder im Baseball noch als Sportdirektor. Und solange das Risiko gering ist, zum Mitläufer degradiert zu werden, wird er spielen.

Und so lange werden Fans und Reporter ihre Story haben.

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