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Bayer - Schalke: Ausgleichende Schwächen

Bayer Leverkusen und Schalke 04 stehen in der Bundesliga weit oben – für den ganz großen Coup könnte beiden Mannschaften aber die Stärke des jeweils anderen fehlen.

Mitte der zweiten Halbzeit brachte Eren Derdiyok die Genesung seines Trainers in ernste Gefahr. Jupp Heynckes hatte die ganze Woche über vergrippt im Bett gelegen, eigentlich brauchte er weitere Schonung, aber das Spiel seiner Mannschaft wirkte zumindest bis zu diesem Zeitpunkt wie gute Medizin. 2:0 führte Bayer Leverkusen im Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga bei Schalke 04, als Derdiyok einen aussichtsreichen Konter anführte. Sie waren drei gegen zwei, doch anstatt den Ball zu einem seiner besser positionierten Kollegen abzuspielen, entschloss sich der junge Schweizer, sein Ego zu streicheln: Aus gut 25 Metern jagte Derdiyok den Ball in wahnwitziger Höhe übers Tor. Der malade Heynckes sprang von seinem Sitz auf, stürzte Richtung Seitenlinie und brüllte seinen Ärger aus der heiseren Kehle. Ein Mann mit seiner Erfahrung ahnt in solchen Momenten nicht nur, was kommt – er weiß es einfach.

Mit dem dritten Tor hätten die Leverkusener die Partie wohl endgültig entschieden – stattdessen hieß es am Ende 2:2, weil Bayer sich immer weiter in die Defensive drängen ließ und die Schalker den Ausgleich in den letzten zehn Minuten regelrecht erzwangen. „Wir haben leider nicht mehr so gut kombiniert, nur noch die Bälle leichtfertig weggeschossen, anstatt unsere Konter auszuspielen, wie das eine Top-Spitzenmannschaft machen muss“, klagte Bayers Sportdirektor Rudi Völler. Was eine Top-Spitzenmannschaft von einer einfachen Spitzenmannschaft unterscheidet, war an diesem Abend sehr deutlich zu erkennen: Cleverness, Erfahrung und wohl auch die Überzeugung von der eigenen Unverwundbarkeit.

Dabei war es durchaus beeindruckend, wie Leverkusen, der Tabellenführer, sich in der ersten Halbzeit die Hoheit über das Geschehen aneignete, indem die Mannschaft einfach ihre größere fußballerische Qualität ausspielte. „Eine Klasse besser“ fand Schalkes Trainer Felix Magath den Gegner: „Das war bisher die beste Mannschaft, gegen die wir gespielt haben. Spielerisch konnten wir den Leverkusenern nicht ebenbürtig sein.“

Toni Kroos brachte Bayer mit einem formvollendeten Volleyschuss in Führung, Stefan Kießling erhöhte mit seinem siebten Saisontor auf 2:0, so dass die Schalker wie schon im Heimspiel gegen den HSV zur Pause mit zwei Toren zurücklagen. Eine Woche zuvor hatten sie sich in der zweiten Halbzeit noch ein Unentschieden erkämpft, doch diesmal hatte Magath „wenig Hoffnung, dass wir so einen Kraftakt noch mal hinbekommen“.

Was sagt das nun über die Schalker, dass sie es trotzdem schafften? Dass sie gegen zwei Giganten der Liga zweimal fast aussichtslos zurücklagen und sich beide Male noch ein Unentschieden erkämpften? „Das zeigt, dass wir zweimal gegen eine Spitzenmannschaft nicht mithalten konnten, aber tolle Moral gezeigt haben“, sagte Magath. Wie beim Anschlusstreffer durch Kevin Kuranyi, der sich auch durch gefühlte tausend feindliche Beine nicht aufhalten ließ und den Ball über die Linie wurstelte. Der Ausgleich zwei Minuten vor Schluss war nicht weniger unmöglich. Vicente Sanchez, der kleinste Mann auf dem Feld, traf mit einem Kopfball. „Das Spiel war nichts für Herzkranke“, sagte Schalkes Verteidiger Heiko Westermann.

Seit vier Monaten ist Magath nun Trainer der Schalker, und immer mehr macht sich sein Einfluss auf das Team bemerkbar. Kurzfristig könnte das für den Klub sogar zum Problem werden, weil alle noch Magaths Erfolge mit Wolfsburg im Hinterkopf haben. Auch da hat er lange beschwichtigt und am Ende den Titel geholt. Seine aktuelle Zurückhaltung aber scheint echt zu sein: Natürlich sei er zufrieden, aber die Erfolge hätten sehr viel „mit Kampf, Kraft und Moral“ zu tun. Über die ganze Saison sei das nur schwer durchzuhalten. „Wir sind noch nicht so weit, um ganz oben mitmachen zu können.“

Das könnte auf lange Sicht auch auf den Tabellenführer zutreffen. Was Schalke im Übermaß hat – unbändigen Willen –, fehlt den Leverkusenern, sonst hätten sie das Spiel nicht mehr aus der Hand gegeben. „Das ist auch eine Fähigkeit“, sagte Völler über die Schalker Wucht. „Das können nur wenige.“ Dafür geht dem S04 das ab, was Bayer in den besten Momenten auszeichnet: spielerische Leichtigkeit. Wo soll die auch herkommen, wenn Magath das zentrale Mittelfeld mit zwei Spielern (Lukas Schmitz und Christoph Moritz) besetzen muss, die aus der vierten respektive fünften Liga kommen? Ob er nicht fürchte, dass sein Team mit Kampf allein einmal an Grenzen stoßen werde, wurde Magath am Ende des Abends gefragt. „Ich fürchte nichts“, antwortete er. „Ich hoffe nur, dass wir es irgendwann nicht mehr brauchen."

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