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Sport: Bayern München: 90 Minuten Einsamkeit

Vor dem Spiel war er allein, und nach dem Spiel erst recht. Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld machte bereits einen verlorenen Eindruck, als er am Samstagnachmittag den Rasen des Rostocker Ostseestadion betrat.

Von Robert Ide

Vor dem Spiel war er allein, und nach dem Spiel erst recht. Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld machte bereits einen verlorenen Eindruck, als er am Samstagnachmittag den Rasen des Rostocker Ostseestadion betrat. Mit wehendem schwarzen Mantel schritt er vor dem Anpfiff quer über den Platz zur Trainerbank, die Hände in den Taschen, der Blick auf den Boden. Hinter ihm folgte der Tross der Betreuer und Ersatzspieler - die Münchner in roten, die Rostocker in blauen Trainingsjacken. Zwei Stunden später saß Ottmar Hitzfeld in einem Baucontainer neben dem Stadion und starrte vor sich hin. Neben ihm strahlte Hansas Trainer Friedhelm Funkel über einen verdienten 3:2-Erfolg seines Teams und gönnte sich erst mal einen Saft. Hitzfeld zog sein Gesicht zusammen und antwortete in kurzen Sätzen. "Wir haben uns unklug verhalten. Wir haben nicht kontrolliert gespielt." Präzise Wortwahl, Selbstkontrolle. Einsamkeit.

Doch die Mannschaft hat sich nicht im Griff: Zwei Niederlagen gegen Rostock, eine Niederlage gegen Cottbus, zuletzt eine 0:1-Pleite in Unterhaching und ein mageres 1:1 gegen Köln. Die Millionäre, die mit aller Macht die Champions League gewinnen wollen, verspielen die Meisterschaft auf kleineren Plätzen der Liga. Und sie verlieren zunehmend die Nerven. Was geht in einem Oliver Kahn vor, wenn er zehn Minuten vor Schluss den Ball in die Zuschauer drischt und sich dann über die fällige Gelbe Karte aufregt? Und warum rennt solch ein Weltklassetorhüter in der Schlussminute in den gegnerischen Strafraum, um den Ball mit der Faust ins Tor zu boxen? Erklärungsversuch Kahn: "Was ist passiert? Ich fehle ein Spiel. Ein Verein wie der FC Bayern wir ja wohl gegen Cottbus einen Torwart ersetzen können."

Eine Mannschaft mit zwei Gesichtern tourt durch die Lande. In Europa machen die Bayern Eindruck, in der Bundesliga machen sie sich zum Gespött. Welches Spitzenteam möchte schon andauernd gefragt werden, ob es womöglich einen Ost-Komplex hat? Und wer möchte schon in einem halbsanierten Stadion ohne funktionierende Anzeigetafel verlieren, in dem die Zuschauer Zugabe rufen, wenn ihre Elf mal drei Tore schießt? "Wir stehen unter Druck", sagt Hitzfeld knapp, "das geht an die Nerven."

Wie anfällig die Seele vieler seiner Akteure ist, zeigte sich in der hektischen Schlussphase. Die Münchner Bilanz der letzten zwanzig Spielminuten liest sich wie ein Vorstrafenregister: Gelb für Effenberg nach einer Schwalbe, Platzverweis für Kotrainer Henke wegen Schiedsrichterbeleidigung, Gelb für Kahn wegen des ersten Aussetzers, Gelb für Jeremies wegen Foulspiels, Gelb für Elber wegen Foulspiels. Schlusspunkt: Gelb-Rot für den ins Tor faustenden Kahn.

Ganz anders die Rostocker, die den Vorsprung über die Zeit retteten. Lohn: Die Überraschungself von der Ostsee strotzt vor Selbstvertrauen und macht erst mal bis heute trainingsfrei. Für die Bayern gehts an diesem Tag bereits um die Ehre. Beim Champions-League-Spiel bei Olympique Lyon muss Druck abgebaut werden. Und am Wochenende gehts in der Bundesliga weiter - gegen Energie Cottbus.

Um sich nicht wieder gegen einen kleinen Ost-Verein zu blamieren, werden sich die Bayern konzentrieren müssen, und zwar 90 Minuten lang. In Rostock hatten sie eigentlich ganz gut angefangen. Das ordentlich sortierte Mittelfeld um Kapitän Effenberg konnte den eifrigen Platzherren immer wieder den Ball abjagen. Vorne rotierten Elber und Scholl routiniert durch die Rostocker Abwehr. Doch weder ein Flugkopfball von Elber nach einem Doppelpass mit Scholl noch ein platzierter Schuss Scholls aus 16 Metern landeten im Tor. Stattdessen luden die Gäste zum Toreschießen ein. Ein verkorkster Querpass von Nationalspieler Jeremies war die Vorlage zum Rostocker Führungstor durch Agali. Eine kollektive Auszeit der Münchner Abwehr ermöglichte Salou einen Tanz durch den Strafraum und den zweiten Treffer. Und Effenberg selbst machte die Entscheidung für Rostock möglich, als er Jakobsson frei zum Kopfball hochsteigen ließ. Immerhin gab sich der Kapitän nach der Partie selbstkritisch: "Nach dieser Leistung gehören wir nicht an die Tabellenspitze." Der Rest der Mannschaft hatte sich da bereits verkrochen.

Und Hitzfeld? Er zog den Mantel noch etwas fester über die Schultern, drückte Funkel die Hand und ging hinaus in die kalte Rostocker Nacht. Zwei Hände verschwanden in den Taschen, zwei Augen blickten zum Boden. So sieht einer aus, bei dem sich die Nerven dehnen.

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