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Entscheidung im Mittelfeld. Ilkay Gündogan (rechts) galt vielen vor einigen Wochen schon als der bessere Bastian Schweinsteiger. Doch der Münchner hat seine alte Form wiedergefunden und großen Anteil an der bisher herausragenden Saison der Münchner.

© picture alliance / GES-Sportfoto

Bayern München - Borussia Dortmund: Kampf der Strategen im Champions-League-Finale

Bastian Schweinsteiger gegen Ilkay Gündogan: Beim Endspiel im Wembley-Stadion zwischen Bayern München und Borussia Dortmund treffen die vermutlich besten Strategen des deutschen Fußballs aufeinander.

Das Bild ist noch immer präsent, obwohl ein Jahr vergangen ist und in dieser Saison nichts mehr daran erinnert. Bastian Schweinsteiger steht auf dem Rasen der Münchner Arena und weint, Kapitän Philipp Lahm versucht, den Kollegen zu trösten Aber Schweinsteiger ist nicht zu helfen, nicht an diesem Tag. Er hatte nur den Pfosten getroffen beim Elfmeterschießen, der FC Chelsea daraufhin den begehrten silbernen Pokal beim „Finale dahoam“ gewonnen und nicht der FC Bayern. Schweinsteiger hatte schon einige Endspielniederlagen erlebt, aber noch nie so eine bittere.

An jenem Abend und auch noch später gab es Stimmen, die Zweifel äußerten, ob der Mittelfeldspieler dieses Erlebnis wird verarbeiten können. Bastian Schweinsteiger konnte. Er ist noch stärker zurückgekehrt und nun steht er wieder im Champions-League-Finale. Gegen Borussia Dortmund hat er im Londoner Wembley-Stadion die Chance zur Korrektur. „Er hat sich aus dem Tief herausgearbeitet“, sagt Trainer Jupp Heynckes. „Er ist im Moment der beste Mittelfeldspieler der Welt. Er ist so stabil wie selten, auch psychisch.“

Heynckes hat den Nationalspieler zuletzt auffallend offensiv gelobt und verteidigt. Weil der Trainer der Bayern ein feines Gespür für die Schwingungen im Lande besitzt. Nach dem verlorenen Champions-League-Finale, nach seinen trägen Auftritten bei dem EM im vorigen Sommer waren Zweifel an Schweinsteiger aufgekommen, grundsätzliche Zweifel. War das schon der Anfang vom Ende? Wird sich Schweinsteigers Psyche je wieder richtig erholen? Ist er nach fast zehn Jahren auf höchstem Niveau und fast hundert Länderspielen noch stark und gierig genug, um in der Nationalmannschaft seine Rolle als Leitwolf zu behaupten?

All diese Fragen hatten auch etwas mit dem Mann zu tun, der heute auf der anderen Seite stehen wird. Ilkay Gündogan, das Hirn des Dortmunder Spiels. Manchen gilt – oder galt – Gündogan bereits als der bessere Schweinsteiger. Olaf Thon und Günter Netzer lobten den Dortmunder, der das Spiel schneller mache, Schweinsteiger hingegen warfen sie vor, das Tempo zu verschleppen und zu oft quer statt in die Spitze zu spielen.

Unstrittig ist, dass Gündogan fast alles besitzt, was auf der Position im zentralen Mittelfeld verlangt wird. Er hat technische Finesse, ein traumhaftes Ballgefühl und die Gabe, den Rhythmus zu bestimmen. Und das, was man nicht lernen kann. Die „Ruhr-Nachrichten“ aus Dortmund bezeichneten das, was Gündogan auszeichnet, als „angeborenes Strategie-Gen“.

Im Champions-League-Finale treffen die vermutlich besten Strategen des deutschen Fußballs aufeinander

Gündogan mag die Zukunft gehören, doch Schweinsteiger hat in den letzten Wochen gezeigt, dass er längst noch nicht der Vergangenheit angehört. Wenn er in diesem Jahr auf dem Platz stand, hat die Mannschaft immer gewonnen. Er war weder bei der einzigen Niederlage gegen den FC Arsenal im März dabei noch beim Unentschieden gegen Dortmund Anfang Mai. „Der Vorteil in dieser Saison war, dass ich nicht verletzt war“, sagt Schweinsteiger. „Das ist bei mir das Wichtigste, dann weiß ich, dass es funktioniert.“ Im vergangenen Jahr hielt ihn am Ende mehr der Wille als die Kraft auf den Beinen.

Bastian Schweinsteiger ist wieder der Chef auf dem Platz. Javier Martinez, sein Nebenmann im defensiven Mittelfeld, findet es „einen Hochgenuss, an seiner Seite auflaufen zu dürfen“. Wenn Schweinsteiger körperlich fit ist, ist er ständig in Bewegung und immer anspielbar. Er hat die Übersicht und das Gespür für den Pass im richtigen Moment und an die richtige Adresse.

Möglicherweise treffen Schweinsteiger und Gündogan in Wembley unmittelbarer aufeinander, als man es bisher vermuten konnte. Noch immer steht die Möglichkeit im Raum, dass der 22 Jahre alte Dortmunder die Position des verletzten Mario Götze im offensiven Mittelfeld übernehmen wird. Gündogan traut sich diese Rolle zu, „ich habe da ja in der Jugend lange gespielt“, sagt er. Wahrscheinlicher ist jedoch die Variante mit Marco Reus hinter den Spitzen. Gündogan ist als Taktgeber aus der Tiefe viel wertvoller für das Spiel des BVB. Im durchaus prominent besetzten defensiven Mittelfeld der Dortmunder mit Nuri Sahin, Sven Bender und Sebastian Kehl ist er längst die Nummer eins. Dem FC Barcelona wird nicht von ungefähr reges Interesse nachgesagt, den deutschen Nationalspieler als Nachfolger für seinen Spielmacher Xavi verpflichten zu wollen.

Gündogan hatte in seinem ersten Halbjahr Probleme mit dem rasanten Tempo beim BVB

Als Gündogan im Sommer 2011 vom 1. FC Nürnberg für 5,5 Millionen Euro Ablöse zum neuen Deutschen Meister nach Dortmund kam, war das alles nicht abzusehen. Der schüchterne junge Kerl sollte das Erbe des nach Madrid gewechselten Nuri Sahin antreten. Ganz schön große Fußstapfen waren das, schließlich war der Deutsch-Türke Dreh- und Angelpunkt im Dortmunder Spiel. Und Gündogan tat sich schwer, sich an das rasante Tempo beim BVB zu gewöhnen.

Die Anpassungsprobleme waren so groß, dass sich Trainer Jürgen Klopp Mitte der Hinrunde sogar entschied, den neuen Mann erst einmal auf die Tribüne zu setzen und ihn nur trainieren zu lassen. Geduld sei nun gefragt, teilte Klopp mit, allerdings spreche die Zeit für Gündogan. Und siehe da, es tat dem Neuling gut, in Ruhe zu gedeihen. Nach der Auszeit erspielte er sich seinen Stammplatz, seitdem ist er aus der Mannschaft nicht mehr wegzudenken. „Das erste halbe Jahr war schwierig“, sagt Gündogan heute, „aber Klopp stand immer hinter mir und hat mich geschützt. Er hat einen großen Anteil an meiner Entwicklung.“

Dieses Vertrauen seines Trainers spürt auch Bastian Schweinsteiger. Je lauter die Kritik an dem 28-Jährigen wurde, desto fester stand Jupp Heynckes zu ihm. Bayerns Trainer hält Schweinsteiger nicht nur für den momentan besten Mittelfeldspieler der Welt, sondern auch für den besten Spiellenker in nun 50 Jahren Bundesliga – vor Günter Netzer, Wolfgang Overath, Stefan Effenberg oder Michael Ballack.

Wie Ballack wartet auch Schweinsteiger noch auf seinen ersten internationalen Titel. Zwei Champions-League-Endspiele hat er verloren, ein EM-Finale und zwei WM-Halbfinals. Doch wenn Bastian Schweinsteiger vom Finale in München redet, klingt es, als ob er an jenem 19. Mai 2012 nur einer unter vielen Verlierern gewesen sei und nicht die tragische Figur des Abends. „Mich persönlich hat die Niederlage gegen Chelsea sehr motiviert, das wird auch im Finale gegen Dortmund so sein“, sagt er. „Es liegt an uns, ob wir gewinnen.“ Trotzdem versucht er, sich vom Druck zu befreien, endlich einen großen internationalen Titel zu gewinnen. „Ich lebe auch nicht länger, wenn ich ihn gewinne“, sagt Bastian Schweinsteiger. Aber vermutlich besser. Gündogan brauchte einige Zeit, jetzt wird ihm ein angeborenes Strategie-Gen attestiert

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