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Bayern München: Risse im Lebenswerk

Mit dem Scheitern des Projekts Jürgen Klinsmann steht auch die Führung des FC Bayern München in Frage.

Es ist ein guter Moment, noch einmal auf den Anfang zu schauen – nun, da die Sache zwar vorbei ist, aber noch lange nicht ausgestanden. Der Anfang liegt knapp eineinhalb Jahre zurück. Es ist der 11. Januar 2008, ein Freitagnachmittag. Der FC Bayern München hat ein paar Stunden zuvor bekannt gegeben, dass Jürgen Klinsmann im Sommer neuer Trainer wird. Man übertreibt wohl nicht, wenn man das als eine der spektakulärsten, weil überraschendsten Personalien der Bundesliga-Geschichte einordnet. Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef der FC Bayern AG, sagte: „Selbst die Kanzlerin freut sich mit Millionen Fans.“

Jetzt freut sich niemand mehr, die Kanzlerin wohl auch nicht.

Am Montag hat der Verein erneut zu einer Pressekonferenz zum Thema Jürgen Klinsmann gebeten. Anlass diesmal: Seine Entlassung, wegen Erfolglosigkeit. Zurück bleibt der erfolgreichste deutsche Fußballklub, der ohne Perspektive der Zukunft entgegen taumelt. Die Verantwortung für die Situation übernimmt durchaus die Führungsetage des Vereins. „Wir waren alle von dem Konzept überzeugt“, sagte Rummenigge. Und doch hat etwas nicht Unwichtiges gefehlt, wie Manager Uli Hoeneß findet: „Bei aller Liebe, das beste Konzept nutzt dir nichts, wenn die Ergebnisse nicht kommen.“ Spätestens am Saisonende hätte der Verein eine Trennung vollzogen, wie Aufsichtsratsmitglied Helmut Markwort in einer ARD-Sondersendung sagte: „Das Experiment Klinsmann war schon im Wesentlichen gescheitert.“

Am Dienstag wird Jupp Heynckes vorgestellt, der für die restlichen fünf Bundesligaspiele die sportliche Verantwortung übernimmt. Ihm als Assistent zur Seite stehen wird Bayerns U-23-Trainer Hermann Gerland, dessen Job wiederum bis Saisonende Mehmet Scholl übernimmt.

„Wir haben viele Namen hoch und runter diskutiert“, sagte Hoeneß. „Aber wir brauchen jetzt jemanden mit Erfahrung, der schon etwas vorzuweisen hat, der mit ruhiger Hand die Dinge in die richtige Richtung lenkt.“ Und da sei der Kreis der Kandidaten nicht mehr so groß gewesen. Also habe man am Sonntagabend um 19 Uhr bei seinem alten Freund Heynckes angerufen. „Er hat fünf Minuten mit seiner Frau überlegt und dann zugesagt.“ Einen Vertrag gebe es bisher nicht, man habe noch nicht einmal über Geld gesprochen.

Heynckes ist ein Name, der Erinnerungen an gute Zeiten weckt (sieht Text unten). Doch Hoeneß und Rummenigge waren eifrig darum bemüht klarzustellen, dass Heynckes nur eine Übergangslösung sei. „Wir haben immer vorgehabt, wieder einen Trainer zu finden, der die Mannschaft über drei, vier Jahre weiterentwickelt“, sagte Hoeneß. Diese Suche hat nun begonnen. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer soll ein Kandidat sein, einen Kontakt zu Arsenal-Trainer Arsène Wenger hat Rummenigge dementiert. Doch nun, da der Mann weg ist, der Schuld sein soll an der Misere, rücken auch die Vorgesetzten in den Fokus. Die Klinsmann-Pleite trifft den FC Bayern in einem Moment, in dem er nichts mehr bräuchte, als Ruhe und Stabilität im Tagesgeschäft. Im Hintergrund gilt es, eine neue, tragfähige Führungsstruktur zu schaffen. Uli Hoeneß hat schon vor geraumer Zeit erklärt, sich Ende 2009 aus dem operativen Geschäft zurückziehen zu wollen. Nun, da es ihm noch gesundheitlich gut gehe, wolle er sein Lebenswerk Jüngeren übergeben und von Franz Beckenbauer den Posten des Vereinspräsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen. Hoeneß hat den Sportverein zu einem prosperierenden mittelständischen Unternehmen entwickelt. Doch dieses Lebenswerk hat Risse bekommen.

Schon vor zwei Jahren passierte, was nicht passieren darf: Der FC Bayern verpasste die Champions League. Damit fehlten Einnahmen von mehr als 20 Millionen Euro, die es braucht, um den Betrieb profitabel zu halten. Das gleiche Schicksal könnte den drittplatzierten Bayern auch in dieser Saison drohen.

Die Verantwortlichen haben auch die Fans unterschätzt, oder wissen über ihre Befindlichkeiten nicht gut genug Bescheid. Das Verhältnis zu ihnen war unter Klinsmann massiv gestört. In Bielefeld, so erzählt Rummenigge, hätten die Fans, die eben noch das Tor bejubelt hatten, Sekunden später den Rauswurf Klinsmanns gefordert. „Es war nicht das alleinige Argument, aber es war eine Belastung für die Mannschaft und den ganzen Klub“, sagt der Vorstandschef, „es hat irgendetwas nicht funktioniert zwischen Klinsmann und den Fans.“ Als Geste der Wiedergutmachung an die eigenen Anhänger kann daher die Verpflichtung von Hermann Gerland als Kotrainer verstanden werden. Der Trainer der Drittliga-Mannschaft ist bei den Bayern-Fans überaus beliebt.

Aber vielleicht resultieren die Probleme auch aus dem Machtgefüge beim FC Bayern. Hoeneß selbst spricht von den „vielen Alphatieren hier oben“. Er meint sich, Rummenigge und Franz Beckenbauer, der operativ wenig zu sagen hat, sich aber trotzdem ständig öffentlich zu Wort meldet.Wie es um die strategische Führung des FC Bayern bestellt ist, illustriert eine Anekdote vom Tag vor dem Champions-League-Hinspiel gegen den FC Barcelona, von jenem Tag also, bevor der FC Bayern jene 0:4-Demütigung hinnehmen musste. Die Debatte um Klinsmann kochte. Schließlich hatte man 1:5 in Wolfsburg verloren. Rummenigge sah sich wieder genötigt, seinem Trainer den Job zu garantieren. Doch Beckenbauer stellte ihn wieder in Frage. Beim Abschlusstraining entfuhr es Hoeneß: „Manchmal frage ich mich, ob Franz noch nahe genug an der Mannschaft ist.“ Und so entstand binnen Stunden das schillernde Bild eines Unternehmens, das vor allem aus dem Bauch heraus gelenkt wird. Zum Selbstverständnis des FC Bayern will das nicht so recht passen.

Uli Hoeneß will am Zeitplan seines Rücktritts festhalten. Man habe einige Kandidaten im Auge, sagte er. Teammanager Christian Nerlinger dürfte dazu gehören. Nerlinger zeigte Heynckes gestern bereits das von Klinsmann geschaffene Leistungszentrum. Hoeneß hat vor Monaten auch erklärt, er könne sich im Extremfall vorstellen, seinen Abschied zu verschieben. Und für den Fall, dass er das Amt doch aufgebe, werde er sich mehr ins Tagesgeschäft einmischen, als Beckenbauer dies tat. Für den oder die Nachfolger würde das die Aufgabe nicht unbedingt leichter machen. Und ob er damit seinem Lebenswerk einen Dienst erweist, ist fraglich. Vielleicht ist der FC Bayern an einem Punkt angekommen, an dem Loslassen das Beste wäre.

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