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Bayern München vs Chelsea: Der Kampf der Fußball-Kulturen

Im Champions League-Finale treffen zwei Giganten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch in dieser Partie geht es um mehr als um einen Pokal mit Schweineohren.

Der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier, Münchner von Geburt und Herzen, hat dieser Tage eine Liebeserklärung abgegeben. „Der FC Bayern entscheidet und handelt immer aus dem Bauch, nach dem Herzschlag, der hinaus aus der Brust zum Horizont schlagen will, der da wie eine Torlinie liegt, über die der Ball fliegen muss“, schreibt er in der „Süddeutschen Zeitung“. Und über den Präsidenten des Klubs, über Uli Hoeneß, befindet Ostermaier, dass das der beste Mann ist, „der das größte Herzbergwerk des Profifußballs hat“.

Sir Peter Jonas, Londoner von Geburt und Gemüt und 13 Jahre lang Intendant der Bayerischen Staatsoper in München, hat aus gleichem Anlass auch eine Erklärung verfasst. „Chelsea war immer ein sehr unsympathischer Klub. Das war Chelsea, hart, brutal. Und jetzt, jetzt ist Chelsea nur noch teuer. Man hat sich Erfolg gekauft, das ist nicht sympathischer.“ Und über den Eigner des Klubs, über Roman Abramowitsch, urteilt Sir Jonas, dass er obstrus ist und nicht zu fassen, „er ist enorm reich und total rücksichtslos.“

Zum 60. Geburtstag von Bayern-Trainer Uli Hoeneß haben wir was für's Album gebastelt:

Um was also geht es heute Abend, wenn in der Münchner Arena der FC Bayern München und der FC Chelsea das Finale der Champions League bestreiten? Vorderhand um einen Pokal, einen nicht sonderlich hübschen, einen ziemlich großen mit riesigen Henkeln dran, die aussehen wie überdimensionierte Schweineohren – aber es ist nun mal der wichtigste, bedeutendste und am stärksten umkämpfte Pokal des europäischen Fußballs. Darüber hinaus geht es darum, dass man sich mit Geld eben doch nicht alles kaufen kann. Zwar Yachten, die in etwa die Größe amerikanischer Flugzeugträger haben. Oder auch Edvard Munchs „Schrei“, für das sich Roman Abramowitsch ebenfalls interessierte, als es kürzlich bei Sotheby’s versteigert wurde. Dass er es nicht kaufte, an den 120 Millionen Dollar lag es gewiss nicht. Auch einen Fußballklub kann man kaufen, wie es Abramowitsch 2003 tat. All das und noch viel mehr kriegt man für Geld und mit Beziehungen, nur den Pott, den kriegt man dafür nicht, zumindest nicht automatisch.

Und das ist es letztendlich um was es heute Abend auch geht: Wie erzielt man maximalen Erfolg auch im Sport, mit klassischen Werten von ehrbaren Kaufleuten, mit Anstand mithin? Oder doch mit Rigorosität, Protzerei und Geldverschwendung?

Dass dieses Spiel, dieses Finale dahoam, nicht einfach nur ein Finale der Champions League ist, ist in München seit Tagen fast greifbar zu spüren. Zwar war die Stadt am Freitag noch nicht in rot und weiß gehüllt, aber das wird sich bis heute geändert haben. Die Treffpunkte der jeweiligen Fan-Lager sind positioniert, die Münchner können sich am Stachus sammeln, die Engländer am Odeonsplatz, insgesamt wird mit 30000 Fans von der Insel gerechnet. Damit es nicht zu einem clash of culture kommt sind über 2000 Polizeibeamte im Einsatz. Nahezu jede Kneipe, jede Bar bietet public viewing an, 65000 Menschen werden das Spiel im alten Olympiastadion auf einer 144 Quadratmeter großen Leinwand verfolgen, 30000 stehen dafür auf der Theresienwiese, die UEFA rechnet mit 200 Millionen TV-Zuschauern in 210 Ländern, 2600 Medienmenschen sind akkreditiert – das Champions League-Finale hat Ausmaße bekommen, die ansonsten nur noch von der Fußball-Weltmeisterschaft, Olympischen Spielen und dereinst von der ersten Landung auf dem Mars übertroffen werden.

Und mitten drin steht der FC Bayern München als Gutmensch gegen die Globalisierung, gegen Abzocke und Finanzströme. Dabei gilt der FC Bayern hierzulande innerhalb und außerhalb des Fußballs und trotz zahlreicher Dementis und widersprechenden Taten und Aktionen vielen immer noch als Ausgeburt des Bösen, als seelenloser Seelenverkäufer und Scheckbuchtäter. Zwar ist einer der führenden Bayern-Basher, Campino von den Toten Hosen, schon mächtig zurückgerudert: „Man kann mit Bayern München nur ordentlich als Feind umgehen, wenn man unsachlich bleibt. Sobald man sich an die Fakten hält, wird es schwierig.“ Aber das hat nichts an der vorherrschenden Meinung geändert, dass den Bayern die arroganten Lederhosen ausgezogen gehören.

Warum Campino doch recht hat.

Doch Campino hat nur recht. Das Geschäftsmodell der Bayern strebt mit den Worten von Uli Hoeneß „sportlichen Erfolg auf der Basis wirtschaftlicher Vernunft“ an. Kein Kicken auf Pump, wie es die englischen Klubs praktizieren. Manchester United zum Beispiel, der Klub mit den weltweit meisten Anhängern , hatte Mühe im Jahr 2010 ein Darlehen von einer halben Milliarde Pfund zu bekommen, bekam es am Ende und zahlt nun jährliche Zinsen in Höhe von 70 Millionen. Das entspricht in etwa dem Jahresetat eines durchschnittlichen Bundesligavereins. Und der FC Chelsea wies in der Bilanz 2010 ein Eigenkapital von 379 Millionen Pfund aus – bei 763 Millionen Verbindlichkeiten. Und obwohl Abramowitsch seit er 2003 den Klub oligarchisch übernahm 1,1 Milliarden Euro in den Klub steckte, machte der trotzdem in den beiden vergangenen Geschäftsjahren jeweils 80 Millionen Verluste.

So schlug sich Bayern im Halbfinale:

Der Schlüssel sind die Personalkosten. Es wird wahrlich nicht schlecht verdient beim FC Bayern, die Gehälter für Robben, Ribery, Schweinsteiger und alle anderen machen dennoch nur weniger als 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Der lag im abgelaufenen Geschäftsjahr bei 350 Millionen. Zum Vergleich die Verhältnismäßigkeit bei andern Klubs, wie Inter und AC Mailand und eben auch beim FC Chelsea: 85 Prozent des Umsatzes gehen für die Stars drauf. Verluste gleicht beim FC Chelsea Roman Abramowitsch aus, beim FC Bayern niemand, weil es keine Verluste gibt, aber 130 Millionen Euro liquide Mittel. Chelsea ist also abhängig von Abramowitsch, „wenn der den Stecker zieht“, höhnte Hoeneß schon vor geraumer Zeit, „kannst du die als Puzzle am Kiosk kaufen.“

Die Unterschiede sind strukturell und ideologisch. Der FC Chelsea und Roman Abramowitsch gehen neureich zur Sache. Wie weiland Mario Adorf in „Kir Royal“, der glaubte Baby Schimmerlos „zuscheißen zu können mit Geld“, agiert auch Abramowitsch nach der Methode, dass für Geld alles zu haben ist. Um die Nachwuchsarbeit beim FC Chelsea ist es schlecht bestellt, der heute gesperrte John Terry ist das einzige namhafte Eigengewächs. Man kauft lieber fertige Stars. Und wenn es mit denen nicht gelingt, werden neue engagiert und Trainer horrend abgefunden und gefeuert. So ist es gerade André Villas-Boas ergangen, der wegen des mäßigen Erfolgs im englischen Pokal und in der Liga weichen musste, für ihn führte nun Roberto di Matteo die Mannschaft ins Finale. Ob er bleiben darf ist selbst im Erfolgsfall sehr offen, di Matteo schillert zu wenig für des Oligarchen Anspruch, er liebäugelt mehr mit Pepe Guardiola, der gerade beim FC Barcelona zurück getreten ist.

Ganz anders der FC Bayern. Dort wird zwar auch in Stars investiert, aber dies Stars ergänzen ein Gerüst von Spielern aus der eigenen Ausbildung. Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller oder der heute gesperrte Holger Badstuber, allesamt Nationalspieler, allesamt Leistungsträger hier wie dort, mussten nicht teuer gekauft werden, sie waren schon da, als sie alt genug waren, um ins Profilager zu wechseln.

Nach Lage der Dinge wird sich das alte, das wertkonservative Geschäftsmodell durchsetzen. Chelseas Trikotsponsor Samsung, der jährlich mit 16,3 Millionen Pfund im Geschäft ist, hat schon mal angekündigt, dass er sehr genau hinschauen wird, ob der Vertrag verlängert wird: „Mit einem Gewinnerteam in Verbindung gebracht zu werden, ist viel besser, als mit einem Verliererteam“, sagte Vize-Päsident Sunny Hwang mit Blick auf das Finale.

16,3 Millionen, Abramowitsch dürfte das richten können. Was aber, wenn 2015 die Richtlinien des Financial Fairplay in Kraft treten, mit dem die UEFA die Lizensierung der Klubs reglementieren will. Demnach dürfen die Vereine in den vergangenen drei Jahren maximal 45 Millionen Euro Verlust ausweisen. Der FC Chelsea wäre raus aus dem internationalen Geschäft.

Und der FC Bayern München ist fein raus. Man muss kein Bayern-Fan sein, um ihm auch den heutigen Sieg im Kampf der Systeme zu wünschen.  

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