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Maikäfer lieg! Spieler des FC Bayern München nach der Niederlage im Champions-League-Finale. Vorne gekrümmt: Bastian Schweinsteiger.

© AFP

Bayern-Spieler in der Nationalelf: Mit dem Trauma zur EM

Die Bayern sind nach der Finalniederlage am Boden, acht von ihnen spielen in der Nationalmannschaft. Welche Folgen hat das für die Europameisterschaft?

Der gemeinsame Fernsehabend ging sehr abrupt zu Ende. Nach den beiden verschossenen Elfmetern der Bayern im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea kehrte im Teamhotel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Tourrettes große Stille ein. Die Niederlage der Münchner könnte auch für die Nationalmannschaft und ihre Ambitionen auf den EM-Titel Konsequenzen haben. Immerhin stehen acht Spieler der Bayern im vorläufigen EM-Kader von Bundestrainer Joachim Löw.

Die Niederlage der Bayern in Bildern:

Welche Folgen hat die Niederlage für das Selbstbewusstsein des Nationalteams?

Wenn es nach Joachim Löw geht, hat es das Champions-League-Finale nicht gegeben. Am Morgen danach steht der Bundestrainer auf dem Trainingsplatz und fragt, detailversessen wie er ist, den Bremer Torhüter Tim Wiese nach dessen Körpergewicht. „91“, antwortet Wiese. Damit wäre geklärt, wie rasch der Übergang zum Alltag hier vollzogen werden soll. Auch Bierhoff, eine Art Außenminister der deutschen Delegation, will keine negativen Nachwirkungen erkennen. Die Niederlage nage keineswegs am Selbstbewusstsein der Gruppe. Die Bayern hätten Großartiges geleistet in dieser Saison, sie seien in allen Wettbewerben bis zum Ende im Rennen gewesen. Aber klar, natürlich wären die Bayern im umgekehrten Fall mit sehr viel mehr positiver Energie zur Nationalmannschaft gestoßen. „Nach der großen Anspannung tritt jetzt einen gewisse Leere ein“, sagt Bierhoff, „da weiß man als Spieler erst einmal nicht, wie man gleich wieder neue Kräfte aufbringen kann.“ Man müsse den Bayern nun ein paar Tage Luft und Zeit genehmigen. „Ich bin überzeugt, dass wir sie hier richtig auffangen werden. Immerhin können sie ja noch einen wichtigen Titel gewinnen.“

Wie geht es für die Bayern weiter?

Vielleicht hatte Joachim Löw schon eine Ahnung. Vor einer Woche, am Anfang der Vorbereitung, hat er sich erstaunlich offen über mögliche Folgen einer Bayern-Niederlage geäußert. Das wäre „ein Tiefschlag für unsere Spieler“, hatte Löw gesagt und mit dem Gedanken gespielt, den Münchnern zwei, drei Tage mehr frei zu geben. Sicher ist, dass die Bayern am Dienstag mit ihrem Klub noch das Freundschaftsspiel gegen Holland bestreiten. Über diesen Termin war man bei der deutschen Nationalmannschaft nie begeistert. „Einen Sinn habe ich in diesem Spiel noch nie gesehen“, sagt Bierhoff. „Der sportliche Stellenwert ist gleich null.“ Nach bisheriger Planung sollen die Münchner Freitag in Südfrankreich eintreffen. Tags darauf fliegt die Nationalmannschaft zum Testspiel gegen die Schweiz nach Basel. „Ich gehe nicht davon aus, dass allzu viele Bayern mitreisen werden“, sagt Bierhoff. Die Details sollen in den nächsten Tagen geklärt werden, in Rücksprache mit den Bayern-Spielern. „Es ist doch klar, dass man da heute Morgen nicht anruft“, hat Bierhoff am Sonntag gesagt.

Wie sollen die Bayern-Spieler wieder aufgerichtet werden?

Die Luftveränderung wird einiges bewirken. Und natürlich das Binnenklima im Nationalteam. Spätestens bei der EM werden die Bayern in der Lage sein, Höchstleistungen aufzubringen. Glaubt Bierhoff. „Wir müssen Bastian Schweinsteiger zeigen, dass es kein Drama ist, einen wichtigen Elfmeter zu verschießen.“ Das sei schon anderen passiert, Lionel Messi etwa. Die Last, für die Niederlage verantwortlich zu sein, werde man Schweinsteiger nicht auferlegen, sagt Bierhoff. „Da sehe ich gar kein Problem, eher schon, was ein Spieler wie er von sich selbst erwartet.“ Aber es gebe auch keinen Zaubertrank, und man solle nicht denken, dass sich das von heute auf morgen erledigt habe. Jeder Spieler brauche seine Zeit und seine Ansprache. Im Bedarfsfall steht in Hans-Dieter Hermann ein Psychologe zur Verfügung, der die Nationalmannschaft seit Jahren begleitet und das Vertrauen der Spieler genießt.

Lesen Sie im zweiten Teil, was genau dieses Spiel für die Nationalmannschaft bedeutet.

Gab es einen solchen Fall schon einmal?

Zweiter in der Bundesliga, Verlierer im Pokalfinale und im Endspiel der Champions League – was die Bayern gerade erleben, ist 2002 auch den Spielern von Bayer Leverkusen widerfahren. Jörg Butt, Carsten Ramelow, Michael Ballack, Bernd Schneider und Oliver Neuville reisten als dreifache Vizes zur WM nach Japan und Südkorea. Oliver Bierhoff, damals Kapitän der Nationalelf, meint sich jedoch zu erinnern, dass ihnen diese Serie an Misserfolgen „nicht so nachgehangen“ habe: „Der Vorteil ist, dass man bei einem Turnier unglaublich fokussiert ist und alles andere ausblendet.“ Dass die Leverkusener auch in Asien Zweiter wurden, war gemessen an den vorherigen Erwartungen eher als Erfolg zu werten. Nicht vergleichbar ist die aktuelle Situation mit der vor zwei Jahren, als die Bayern ebenfalls das Finale der Champions League verloren hatten – allerdings waren sie gegen Inter Mailand nicht so favorisiert wie gegen Chelsea. Zudem hatten sie das Double gewonnen und waren für ihr furioses Spiel gefeiert worden. Diesmal steckt der Frust tiefer.

Die acht Bayern sind Stammspieler der Nationalmannschaft. Was bedeutet das für die Statik des Teams?

Nicht zwingend etwas Schlechtes. Die Münchner werden bald erkennen, dass sie die Saison noch mit einem Titel krönen können. Außerdem haben die fünf Dortmunder dank ihrer Erfolge in Meisterschaft und Pokal sehr viel positive Energie und großes Selbstvertrauen mitgebracht. Gestern Abend sind Mesut Özil und Sami Khedira zum deutschen Tross gestoßen. Beide sind mit Real Madrid Meister geworden. Auch an ihnen wird sich der eine oder andere aufrichten können. Oder wie es Joachim Löw sagt: „Ich kenne die Spieler. Es wird ein paar Tage dauern. Aber sie werden sich wieder aufraffen.“

Hat der deutsche Fußball seinen Schrecken verloren?

„Ich glaube, das Ausland hat immer noch großen Respekt vor uns“, sagt Bierhoff, insgesamt sei die Entwicklung des deutschen Fußballs weiterhin positiv. Das ist sicher richtig, genauso richtig ist aber, dass die Deutschen seit dem Champions-League-Triumph der Bayern vor elf Jahren keinen Titel mehr geholt haben, weder mit einem ihrer Vereine noch mit der Nationalmannschaft. Insgesamt sieben Endspiele haben sie seitdem bei WM (2002), EM (2008) und im Europacup (Leverkusen 2002, Dortmund 2002, Bremen 2009 und Bayern 2010, 2012) verloren. Matthias Sammer, Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes, ist deswegen schon länger in Sorge: „Wozu gibt der DFB sein Geld für Nachwuchsförderung aus? Doch nicht dafür, dass wir zuschauen, wie die anderen den Pokal in den Händen halten? Das empfinde ich als persönliche Beleidigung.“ Für Sammer ist die Gier nach Titeln wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Ausbildung. Die Löw-Fraktion gilt eher als Anhänger eines ästhetischen Ansatzes. Doch jetzt sagt auch Oliver Bierhoff: „Schön spielen ist wichtig, aber die Spieler müssen natürlich auch lernen, effizient zu sein.“ Der Manager der Nationalmannschaft glaubt daher, dass die Niederlage der Bayern „ein Warnschuss für die EM“ sein könne. Sie hat gezeigt, dass man als Favorit auch gegen technisch minderbemittelte Mannschaften verlieren kann. „Da müssen wir aufpassen.“

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