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Sport: Beben am Bieberer Berg

In Offenbach wird das Pokalspiel gegen Nürnberg zur Reise in die Vergangenheit

Offenbach. Der alte Mann, der seit 40 Jahren auf den Bieberer Berg pilgert und nur dank eines Krückstocks die Tribüne zu erklimmen vermag, winkt ab. „Oh je, der Pokal. Die sollen lieber heute gewinnen und nicht wieder nur unentschieden spielen." Doch sein Klub, Kickers Offenbach, tut ihm den Gefallen nicht. 1:1 endet die Regionalligapartie gegen RW Erfurt. Das sechste Remis in den vergangenen sieben Spielen. Zum Glück gibt es im DFB-Pokal kein Unentschieden. Nur vier Tage nach dem Erfurt-Spiel ist es heute für den OFC wieder einmal so weit: Im deutschen Cup-Wettbewerb geht es gegen den 1. FC Nürnberg.

Im „Erwin“ wird mit spürbar hoffnungsfrohem Unterton bereits gefragt: „Haben wir nicht immer in den dunkelsten Stunden im Pokal die größten Erfolge gefeiert?" Da hat das nach dem Kickers-Idol Erwin Kostedde benannte, landesweit gerühmte Fanmagazin natürlich Recht.

1970 gelang in diesem Wettbewerb der bedeutendste Triumph der Vereinsgeschichte. Der Offenbacher Fußball Club Kickers 1901, damals zweitklassig, bezwang den hohen Favoriten, den 1. FC Köln, im Finale in Hannover mit 2:1. Nie zuvor und nie danach sah man - so geht die Kunde - mehr Menschen auf den Straßen von Offenbach als bei der Pokal-Siegesfeier. Selbst Bezirkskommissar Fritz Zukunft ließ es sich damals nicht nehmen, einen kräftigen Schluck aus dem DFB-Humpen zu nehmen, wie ein Foto, geknipst im Polizeipräsidium, belegt.

Heutzutage ist das Verhältnis zwischen Fans und Polizei nicht gar so entspannt. Die einen, die Fans, feiern, und die anderen, die Polizisten, müssen dabei die Ordnung halbwegs aufrechterhalten. Wegen diverser Zwischenfälle während der Punktspiele gegen die SpVgg. Unterhaching und Jahn Regensburg – die Bilanz: ein umgeknickter Zaun, bengalische Feuer, diverse fliegende Bierbecher, Behinderung polizeilicher Ermittlungen – verdonnerte die Polizei die Kickers zu äußerst „unpopulären“ Auflagen. Unter anderem ist Alkohol auf dem Bieberer Berg bis Saisonende verboten.

„Erwin" befürchtet anhand solcher Verbote, dass die so genannten Sicherheitsrichtlinien die Fußball-Fankultur zu sehr einschränken. Und das gerade in einem Moment, da am Bieberer Berg „wieder das Feuer vergangener Zeiten aufloderte", Zeiten, in denen Spieler wie Hermann Nuber, Sigi Held und Erwin Kostedde durch die Abwehrreihen der Gegner stürmten. Doch wie sie alle heißen mögen, die zum Ruhme des OFC beitrugen, die wahren Stars am Bieberer Berg waren immer die Fans.

Sie stehen auch in der Regionalliga fest hinter ihrer Mannschaft, in diesem reinen, engen Fußballstadion ohne Laufbahn oder ähnlichen Schnickschnack. Der Kontakt zwischen Spielern und Publikum ist hautnah. Auf der Stehtribüne auf der Gegengeraden geht besonders bei Spielen unter Flutlicht der Punk ab. Vom Fußballwahn berauschte Leute schreien, begleitet von einem schrägen Trommelrhythmus, ihr „Kickers! Kickers!", und im roten Lichtschein der bengalischen Feuer verfolgen sie mit glühenden Augen, wie die Rauchwolken gleich ihren Anfeuerungsrufen über das Spielfeld wabern. Dann bebt der Bieberer Berg.

Am Mittwochabend gegen den 1. FC Nürnberg könnte das gefürchtete Stadionfeeling wieder aufleben. Denn mit der Partie gegen Erfurt sind die drei Spiele auf Bewährung, die den Offenbacher Fans von der Polizei zur Beruhigung verordnet wurden, abgelaufen. Davon scheint man auch in Nürnberg gehört zu haben. Würde etwa sonst, obwohl nicht im Hörfunk-Einsatz, die weltbekannte „Stimme Frankens", Günther Koch, trotz triefender Nase anreisen, um „seinem Club" die Daumen zu drücken?

Eine Reise, die er sich sparen kann. Das glaubt jedenfalls Kickers-Vizepräsident Thomas Kalt. Für ihn sind die Gegner in den ersten beiden Pokal-Runden „gar nicht mal so entscheidend, wichtig ist doch, dass wir in der dritten Runde in einem Heimspiel auf die Eintracht treffen." Denn heute wie zu Zeiten des legendären Kickers-Präsidenten Horst Gregorio Canellas, der 1971 den Bundesliga-Skandal aufdeckte, heißt die eigentliche Losung am Bieberer Berg gegenüber dem Erzfeind: „Eintracht Frankfurt darf nie besser stehen als wir!"

Gerd Fischer

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