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Sport: „Beim Voodoo-Häuptling wird einem mulmig“

Der frühere Bundestrainer Berti Vogts über seine ersten Erfahrungen als Trainer der nigerianischen Nationalmannschaft

Herr Vogts, es gibt knapp 500 Sprachen in Nigeria. Welche benutzen Sie, um mit Ihren Spielern auf dem Trainingsplatz zu kommunizieren?

Wir sprechen ausnahmslos Englisch miteinander. Nur wenn die Spieler sauer sind, fangen sie mit ihrem Slang an. Dann ist alles zu spät. Das ist ungefähr so, als wenn ein Norddeutscher in Bayern Urlaub macht – der ist verloren.

Ist Ihnen in den ersten neun Monaten in Nigeria das in Afrika verbreitete Phänomen des Aberglaubens oder gar Voodoo begegnet?

Ab und zu kommt das vor. Man steigt nicht in einen Bus, weil vorher ein Voodoo-Häuptling durchgelaufen ist. Das passiert vor allem bei Auswärtsspielen. Aber es gehört zur afrikanischen Kultur. Genauso wie das Beten der Spieler, oder dass man singt. Übrigens beten im Team unterschiedliche Konventionen zusammen, das finde ich großartig. Nur der Voodoo-Häuptling kann einem schon ein mulmiges Gefühl vermitteln.

Welche kulturellen Unterschiede sind Ihnen noch aufgefallen?

Wenn man zum Beispiel eine Trainingseinheit ohne Zuschauer macht, sind immer noch 10 000 Zuschauer da, sonst sind es 20 000 oder mehr. Und die wollen ihre Stars bei Kunststücken zusehen. Bereitet man taktische Dinge vor, sind die Fans nicht begeistert. Deshalb gehen wir zur Vorbereitung des Afrika-Cups 2008 nach Spanien und erst drei Tage vorher nach Ghana. Es ist zudem schwierig, wenn man Trainingstrikots braucht oder bewegliche Tore. Manchmal fühlt man sich in die Sechzigerjahre zurückversetzt.

Das ist sicher eine Umstellung, wenn man zuvor in Europa unter modernsten Bedingungen gearbeitet hat.

Man muss in Afrika bestimmte Dinge akzeptieren. Wir gehen kleine Schritte, etwa beim Abschluss von Freundschaftsspielen. Die Spieler merken so: Wir haben ein Programm und bewegen uns in eine Richtung wie ein europäisches Team. Das ist eine wichtige Botschaft.

In Europa treffen sich die Nationalteams dieser Tage vor den Spielen in noblen Hotels. Wie läuft das in Nigeria ab?

Nicht anders – wenn wir in Nigeria spielen. Wir haben nur keine Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels. Bei Auswärtsspielen gibt es manchmal Probleme, weil der Veranstalter darüber entscheidet, in welchem Hotel wir wohnen. In Uganda hatten wir zwei Tage kein Wasser. Das ist kein Vergnügen, das sage ich Ihnen. Manchmal ist es schwierig, den Spielern eine sportgerechte Ernährung zu garantieren. Die nehmen das auf beeindruckende Weise hin.

Stoßen Sie auf Widerstände, wenn Sie daran etwas ändern wollen?

Wenn ich zum Beispiel morgens um fünf Uhr losfahren will, um Trainingsplätze und Unterkunft vor dem Afrika-Cup anzuschauen, fragt man sich dort ernsthaft, wozu das gut sein soll. Jetzt haben wir das beste Hotel mit einem super Trainingsplatz. Vorher aber glaubt dir keiner, warum es wichtig ist, früh dort zu sein.

Sie haben sich in Gestalt von Uli Stein und Thomas Häßler Hilfe geholt.

Beide machen einen tollen Job, allein Thomas Häßler ist sehr beim 1. FC Köln eingebunden. Durch Steins Arbeit haben wir jetzt drei Torhüter, die für afrikanische Verhältnisse auf einem hohen Niveau sind.

Wie häufig sind Sie in Nigeria?

Ich bin bis zu acht Tage im Monat dort, wo ich dann auch mit jungen Spielern aus der Liga trainiere. Dort gibt es Testspiele gegen Klubteams oder die Olympiamannschaft. Sonst bin ich in ganz Europa unterwegs. Europa ist das Zentrum, die meisten spielen hier.

Wohnen Sie im Hotel?

Ja, in der Hauptstadt Abuja. Ich hoffe, dass auch die deutsche Mannschaft mal auf dem Weg nach Südafrika hierherkommt. Man hat dort ein Stadion wie das in Stuttgart, gebaut von einer deutschen Firma. Überhaupt sollten die Europäer ihr Augenmerk auf Afrika richten. Hier sieht man fast nur englischen Fußball. Allein in Nigeria gibt es 180 Millionen Menschen, es steckt also viel Potenzial in diesem Land. Daran sollte sich die Bundesliga erinnern. Es gibt ja einige Bemühungen, den Bekanntheitsgrad der Bundesliga im Ausland zu steigern. Nur Afrika wird dabei völlig vergessen.

Wo steht der nigerianische Fußball?

Nigeria ist neben der Elfenbeinküste und Ghana das beste afrikanische Team. Leider hat man sich nicht für die WM qualifizieren können, weil man auch organisatorische Fehler gemacht hat. Aber auch Togo ist bei der Qualifikation zum Afrika- Cup nur Dritter geworden. Das zeigt die Qualität des afrikanischen Fußballs.

Kommenden Dienstag treten sie gegen den EM-Gastgeber Schweiz an, im Januar beginnt der Afrika-Cup in Ghana. Freuen Sie sich schon auf Ihr erstes Turnier mit Nigeria?

Man muss akzeptieren, dass es den Afrika-Cup so oft gibt, trotz des ungünstigen Zeitpunktes. Man sollte ihn wie eine EM nur alle vier Jahre spielen. Viele ausländische Klubs denken schon darüber nach, in Zukunft weniger afrikanische Spieler zu verpflichten, weil die Spieler alle zwei Jahre mehrere Wochen fehlen.

Hat der Job in Nigeria den Trainer Vogts weitergebracht?

Die Herausforderung war nicht, Nigeria zu trainieren, sondern der Moment, als ich auf die Liste der Spieler geschaut habe, die ich betreue. Topspieler aus allen großen Klubs der Welt. Mittlerweile bin ich etwas gelassener.

Das Gespräch führte Oliver Trust.

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