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Berlin-Marathon: Anlauf zum Tod

Die Gesundheit der Läufer ist ein höchst emotionales Thema: Neun Menschen sind in diesem Jahr bereits bei Laufveranstaltungen in Deutschland gestorben. Der Berlin-Marathon appelliert nun an die Vernunft

Berlin - Ein abschreckendes Beispiel hatte Lars Brechtel hier nicht erwartet. Es war die Auftaktveranstaltung des Berlin-Marathons und vor Brechtel, dem medizinischen Direktor des Marathons, und einigen Journalisten saß Falk Cierpinski. Der 29 Jahre alte Cierpinski ist eine neue deutsche Laufhoffnung, er könnte sich zu einem Vorbild der Szene entwickeln. „Beim Marathon in Wien im April bin ich 2:21 Stunden gelaufen, trotz einer Erkältung“, berichtete Cierpinski am Montag. Erkältung? Marathon? „Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte gesagt: Was erzählst du da eigentlich?“, sagt Brechtel.

Die Gesundheit der Läufer ist ein höchst emotionales Thema: Neun Menschen sind in diesem Jahr bereits bei Laufveranstaltungen in Deutschland gestorben. Da kann es Brechtel nicht einfach so hinnehmen, wenn ein Läufer in der Öffentlichkeit über einen Risikofaktor hinweggeht. „Wer eine Erkältung hat, sollte nicht bei einem Marathon starten“, sagt der Arzt. In dieser Woche versucht Brechtel wieder, Schlimmeres zu verhindern. Er untersucht gemeinsam mit Kollegen Läufer, die beim Berlin-Marathon mitrennen wollen. Manchen von ihnen wird er sagen: Sie sollten nicht starten, Sie spielen sonst mit Ihrem Leben.

Im vergangenen Jahr seien alle Läufer einsichtig gewesen, bis auf eine Bearbeitungsgebühr bekommen sie auch ihr Startgeld zurück. Beim Halbmarathon im Frühjahr war in Berlin ein Teilnehmer gestorben, mit 38 Jahren. „Wir wissen nicht, woran“, sagt Jürgen Lock, der die medizinische Arbeit beim Marathon koordiniert. Überhaupt kann er über die Todesursache nur spekulieren: „Wir haben kaum Daten, dazu bräuchten wir eine nationale Datenbank. Die werden wir wohl erst in fünf, sechs Jahren haben.“

Es gibt allenfalls Erfahrungswerte, und besonders viel Erfahrung hat Willi Heepe. Der Mediziner ist der Marathonarzt schlechthin in Berlin, seit mehr als drei Jahrzehnten. „Wir haben ein klares Spektrum von Ursachen“, sagt Heepe. Dazu zählen Herzkrankheiten ebenso wie krankhaft hoher Blutdruck. „Jeder Deutsche entwickelt in seinem Leben Bluthochdruck, aber nur wenige behandeln ihn. Da schützt das Laufen nur bedingt“, sagt Heepe.

Laufen berge sogar eine zusätzliche Gefahr: Es vermittle den Sportlern ein gutes Gefühl – ein Grund weniger, um seinen Gesundheitszustand von einem Arzt überprüfen zu lassen. „Es gibt Leute, die wollen mit Natur und Sport alles heilen.“ Falle die Leistung aus unerklärlichen Gründen ab, trainieren sie noch mehr. „Dabei haben sie schon längst eine Angina pectoris, merken es aber nicht, weil sie kaum Beschwerden macht.“ Bei manchen Routineuntersuchungen würden gefährliche Krankheiten auch übersehen.

Das größte Problem für Heepe ist jedoch dies: „Marathon ist eine Modeerscheinung geworden, Leute wollen sich etwas beweisen und bereiten sich mit einem Trainingsplan aus dem Internet vor.“ Die meisten von ihnen trainieren falsch. Heepe wünscht sich, dass Krankenkassen eine sinnvolle Vorsorgeuntersuchung für Läufer anbieten, „als Belohnung für optimales Training“. Auch andere Forderungen stehen zur Diskussion. Etwa die, nur mit Attest starten zu dürfen. Lars Brechtel hält davon wenig: „Wer soll die Atteste auswerten? Und was sagen sie aus?“

Für den Berlin-Marathon müssen die Läufer inzwischen bei der Anmeldung anonym einen Fragebogen ausfüllen. Wenn er bestimmte Risikofaktoren ausweist, wird ein Arztbesuch empfohlen. „Wir versuchen, sanften Druck auf die Teilnehmer auszuüben“, sagt Brechtel.

Der Appell an die Vernunft der Läufer ist nach wie vor eine der wichtigsten Vorsorgemaßnahmen. Es ist für Willi Heepe eine Frage der Einstellung. „Die Leute sollen aufhören, zu sagen: Ich laufe, ich bin gesund. Es muss heißen: Ich bin gesund, also laufe ich.“

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