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Sport: Berliner Flachetappe

Paul Tergat lief auch deshalb Weltrekord, weil die Strecke kaum Anstiege hat und das Wetter optimal war

Von Frank Bachner

und Jörg Wenig

Berlin. Nach dem Rennen erhielt Horst Milde eine besondere E-Mail aus New York. Allan Steinfeld, der Organisationschef des New-York-Marathons, meldete sich, und wenn er es geschafft hätte, dann hätte er sich beim Schreiben bestimmt noch verneigt vor Milde: „Lieber Horst. Das war absolut phantastisch, was in Berlin geschehen ist. Gratulation zu deiner Organisation.“ Und weil eine einfache Gratulation wohl ein bisschen erbärmlich geklungen hätte, schrieb Steinfeld gleich dreimal: „Gratulation“. Die Botschaft aus Übersee endete pathetisch: „Der Lauf von Berlin ist ein historisches Ereignis.“ Leider ist nicht bekannt, ob Horst Milde, der Organisationschef des Berlin-Marathons, vor Rührung eine Träne verdrückt hat, als er die Nachricht las.

Aber der Hinweis mit dem historischen Lauf ist berechtigt. Der Kenianer Paul Tergat hat mit 2:04,55 Stunden nicht bloß einen neuen Weltrekord aufgestellt, er war auch als erster Athlet überhaupt unter 2:05 Stunden geblieben, und in seinem Windschatten unterbot auch sein Tempomacher Sammy Korir (Kenia) die magische 2:05-Stunden- Marke und damit die alte Bestmarke von Khalid Khannouchi (USA/2:05,38). Das ist ein historisches Ereignis.

Aber warum ausgerechnet in Berlin? Warum liefen ausgerechnet hier zwei Athleten schneller als die alte Bestmarke? Weil Berlin einen besonders flachen Kurs besitzt. Die Stadt ist seit vielen Jahren bekannt für eine schnelle Marathonstrecke. Der Kurs hat wenige scharfe Kurven und ist flacher als die meisten anderen Strecken. Es gibt nur wenige und zudem sehr geringe Höhenunterschiede auf den 42,195 Kilometern in Berlin. Es gibt, in der Nähe des Wilden Ebers, bei Kilometer 28, einen lang gezogenen, stetigen Anstieg. Das ist quasi die höchste Erhebung der Strecke. Aber durch die diesjährige Streckenänderung kam dieser Anstieg vier Kilometer früher als in den vergangenen Jahren, das bedeutet, dass die Läufer mehr Kraft an dieser Steigung hatten als früher und sie deshalb auch schneller bewältigten. Ansonsten gab es nur einen kurzen, etwas anspruchsvolleren Anstieg, an der Spree in Richtung Reinhardtstraße. Der Rest der Strecke war flach. In London dagegen ist der Kurs, verglichen mit dem von Berlin, sehr wellig. Auch New York ist erheblich anspruchsvoller. Zum einen gibt es dort mehrere Anstiege zu den Brücken, zum anderen ist der Central Park sehr hügelig. Die Britin Paula Radcliffe stellte im April in London mit 2:15,25 Stunden zwar auch einen neuen Weltrekord auf, aber das zeigt nur ihre Klasse. „Wenn Paula mal in Berlin starten würde, könnte sie 2:13 Stunden laufen“, sagt Paul Tergat.

Hinzu kommt der oftmals entscheidende Wetterfaktor. Beim Berlin-Marathon haben die Spitzenläufer immer wieder sehr gute Witterungsbedingungen, seitdem das Rennen am letzten September-Sonntag stattfindet. Die Temperaturen sind mild. Der Wind weht selten stark, und heftige Regenfälle sind die Ausnahme. Hinzu kommt die hervorragende Atmosphäre durch das Millionenpublikum. Auch dieser Umstand ist für Spitzenläufer bedeutsam. Zudem ist die Organisation gut, vor allem für Weltklasseathleten.

Aus all diesen Gründen entschied sich Tergat zu einem Start in Berlin. In Chicago hätte er am 12. Oktober mehr Geld verdienen können. Auch diese Strecke gehört zu den schnellsten der Welt. Doch das Wetterrisiko ist größer. Nicht ohne Grund spricht man von der „Windy City“. Zudem gibt es in Chicago wesentlich weniger Zuschauer als in Berlin. Auch Rotterdam, Amsterdam und Tokio bieten schnelle Kurse, aber das Risiko mit dem Wetter ist größer als in Berlin.

Aber nicht nur Tergat und Korir lag die Strecke. Insgesamt 30 688 Läufer erreichten das Ziel. So viele waren es noch nie in Berlin.

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