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Die Stimme hört zu: Karsten Migels (r.) lauscht Reiner Schnorfeil, dem Geschäftsführer des Sechstagerennens.

© Imago

Berliner Sechstagerennen: Kategorie Reibeisen

Karsten Migels, Moderator und Stimme des Berliner Sechstagerennens, vermisst in diesem Jahr die großen Namen.

An seiner Stimme kann man die Renntage abzählen. An diesem Morgen musste sich Karsten Migels nur ein paar mal räuspern, doch im Laufe des Tages erreicht die Stimme des Berliner Sechstagerennens allmählich ihre unverkennbare Klangfarbe: Es läuft der vierte Renntag – und Migels ist endlich heiser. Fünf bis sechs Stunden am Tag moderiert er an jedem Renntag zusammen mit seinem Kollegen Jens Wischnewski. Sie müssen dabei Infos zu den Fahrern parat haben, das Publikum bespaßen und gleichzeitig den nächsten Programmpunkt und Zeitplan im Auge behalten.

Mit elf Jahren landete Migels dank eines Schulfreundes beim Radsport und wurde Deutscher Meister und WM-Neunter im Querfeldeinsport. Seit Ende der Neunziger kommentiert er Radrennen. Tour de France. Giro d’Italia. Und das Berliner Sechstagerennen.

1977 hat Migels als Jugendlicher in Zürich sein erstes Sechstagerennen erlebt, es gewannen die beiden Belgier Eddy Merckx und Patrick Sercu. „Die waren einfach genial, die sind ohne Brille gefahren, ohne Helm. Höchstens einen Sturzring haben die Fahrer damals getragen. Man konnte ihnen noch ins Gesicht schauen und die Anstrengungen wirklich sehen.“

Doch das Sechstagerennen ist ein schwindender Wettbewerb – und Berlin eine der letzten Bastionen: „Es gibt nur noch ein Rennen, bei dem das Publikum genauso mitgeht wie in Berlin – und das ist Gent.“ In der flämischen Heimat von Tom Boonen und Sechstage-Starter Kenny de Ketele passen nur halb so viele Zuschauer in die Halle wie ins Velodrom, „aber die Flamen sind sowieso bekloppt“, sagt Migels. Und bekloppt zu sein ist in diesem Falle eine Auszeichnung.

Doch auch Berlin kämpft mit Problemen: Nach den Abschieden der Publikumslieblinge Franco Marvulli und Robert Bartko sei es schwierig, diese Lücken zu stopfen. „Das Publikum geht dennoch richtig mit, auch wenn die ganz großen Namen fehlen“, sagt Migels. Wenn Jens Voigt dabei gewesen wäre, wäre die Halle noch voller gewesen, glaubt er, „weil die Leute einfach Voigt sehen wollen. Die kommen, um Idole zu sehen. Ich sehe momentan aber keinen Fahrer, der in den nächsten zwei, drei Jahren diese Lücke schließen könnte.“

Bei den Sprintern sieht es etwas besser aus. Dort sei mit Maximilian Levy noch ein Publikumsliebling vertreten, der zudem in dem jungen Cottbuser Erik Balzer einen potenziellen Nachfolger habe, sagt Migels. Beliebt gemacht hat sich auch US-Sprinter Nate Koch: Der als Ersatz für den verletzten Robert Förstemann verpflichtete Koch gewann am ersten Tag den Keirin-Wettbewerb und rollt auch jubelnd über die Bahn, wenn er nicht gewonnen hat. „Er nimmt die Rolle als Stimmungsmacher an, genauso wie Daniel Holloway.“ Vor den großen Jagden führte der Amerikaner Holloway mehrmals das Fahrerfeld über die Rennbahn und animierte dabei die Zuschauer unermüdlich zur Laola, während aus den Lautsprechern „Die Karawane zieht weiter“ ballerte und Migels sich für einige Minuten ein wenig erholen konnte.

In einem Interview hat der 50-Jährige mal gesagt: „Nach drei Wochen Tour de France bin ich mausetot.“ Über seine Aufgabe in Berlin sagt er: „Das ist das Anstrengendste im ganzen Jahr. Danach bin ich kaputt und brauche bestimmt eine Woche, bis ich mich wieder erholt habe.“ Bereits am frühen Nachmittag des vierten Tages hat Migels’ Stimme die nächste Heiserkeitsstufe erreicht und dringt bisweilen auf der nach unten offenen Ulli-Wegner-Skala in die Kategorie Reibeisen vor. „Nach dem vierten Tag ist das Schlimmste überstanden“, hat Karsten Migels am Morgen gesagt, gegrinst und sich noch einmal geräuspert.

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